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       # taz.de -- Wie Lobbyisten die Katastrophe kleinreden: "Keine Anzeichen für Kernschmelze"
       
       > "Unsere Zukunft" sei die Atomkraft – und das gelte nach Fukushima weiter.
       > Die Strahlenwerte seien "erhöht, aber nicht gefährlich". Die Atomlobby
       > redet die Katastrophe klein. Ein Überblick.
       
   IMG Bild: Auf den Papieren der Atomlobbyisten ist alles gut in Fukushima.
       
       Glaubt man der internationalen Atomlobby-Organisation World Nuclear
       Association (WNA, ehemals Uran-Institut), ist die Situation in den
       havarierten Reaktoren in Japan weitgehend unter Kontrolle. "Stabilisierung
       in Fukushima Daiichi" wird regelmäßig auf ihrer Website "World Nuclear
       News" eingeblendet. Ja, die Reaktorkerne seien "vermutlich beschädigt",
       räumt Sprecher Ian Hore-Lacy gegenüber der Nachrichtenagentur dapd ein.
       
       "Aber für eine Kernschmelze gibt es keinerlei Anzeichen." Seit zwölf Tagen
       präsentieren Ian Hore-Lacy und sein Chef, Generaldirektor John Ritch, in
       Zeitungen, Fernsehen und Radio ihre Wahrheit: Die Situation in Japan ist
       schlimm, aber von einer Katastrophe wie in Tschernobyl weit entfernt. Und
       vor allem: Die Zukunft der Kernenergie ist dadurch "absolut nicht
       gefährdet".
       
       Beim TV-Sender Bloomberg sagt Hore-Lacy, die Strahlenwerte seien "erhöht,
       aber nicht gefährlich". Bei ABC News antwortet er zum Thema Fukushima auf
       die Frage, was ein beschädigter Reaktorkern bedeute: "Ich sehe keinen Grund
       dafür, zu glauben, dass die Radioaktivität nicht aufgehalten werden kann."
       
       Auch Generaldirektor John Ritch zeigt auf CNN keine Spur von betretener
       Zurückhaltung angesichts der katastrophalen Auswirkungen der von ihm
       angepriesenen Technologie. Er betont, man müsse "die richtigen Lehren" aus
       den Vorkommnissen in Japan ziehen. Die Situation in Japan sei entstanden,
       weil "die Behörden die falschen Fragen gestellt haben", sagt John Ritch.
       Soll heißen: Die Behörden haben geschlampt, als sie ein veraltetes
       Kühlsystem nicht kritisierten. Fukushima Daiichi: ein bedauerlicher
       Einzelfall.
       
       Das Erdbeben der Stärke 9,0 hätten die Reaktoren schließlich unbeschädigt
       überstanden. "Sie sind heruntergefahren, kein Schaden, kein Problem", fasst
       Sprecher Hore-Lacy seine Sicht auf die Geschehnisse am 11. März zusammen.
       "Die Notkühlungen sind zunächst angesprungen, alles war gut." Wie gut die
       AKWs gewappnet waren, zeige sich also daran, dass sie das Erdbeben
       überstanden hätten. Dann allerdings kam der Tsunami und beschädigte die
       Kühlsysteme. So weit die Sicht der Atomlobby.
       
       "Wenn ich diese Kommunikationsstrategie der Atomindustrie höre, kriege ich
       die Krise", sagt der international als Berater in Sachen Atompolitik tätige
       Mycle Schneider. Für ihn ist das Kalkül allzu durchsichtig: Wenn die
       Atomlobby demonstrieren kann, dass nicht das Erdbeben für die Schäden
       verantwortlich ist, heiße das "Entwarnung" für alle anderen Betreiber,
       zumindest in Europa. "Das soll bedeuten: Wenn der Tsunami die Schäden
       verursacht hat, sind die Atomkraftwerke in Europa sicher. Schließlich gibt
       es keine Tsunamis in Europa", sagt Schneider. Ob allerdings die Reaktoren
       nicht doch bereits beim Erdbeben beschädigt wurden, sei derzeit "völlig
       unklar", sagt Schneider.
       
       Während solche Details wohl noch lange ungeklärt bleiben, und während in
       einigen Staaten die Grundsatzdebatte über die Nutzung der Kernenergie in
       vollem Gang ist, geht die Londoner World Nuclear Association in die
       Offensive: "Kernenergie ist unsere Zukunft", sagt Hore-Lacy. "Das gilt
       jetzt genauso, wie es vor Fukushima galt."
       
       23 Mar 2011
       
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   DIR Schwerpunkt Atomkraft
       
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