URI: 
       # taz.de -- Hundert Jahre Frauentag: Die Feministinnen sind an allem schuld
       
       > Glaubt man der veröffentlichten Meinung, hat die bewegte Frau den Mann
       > ins Unglück gestürzt. Aber warum haben Feministinnen einen so schlechten
       > Ruf?
       
   IMG Bild: Das Zähnezeigen lohnt sich.
       
       Hundert Jahre Frauentag - und wo stehen die Frauenrechtlerinnen und
       Feministinnen heute? Am Pranger. Wie sind die da nur wieder hingekommen?
       
       Wirst du gefragt, ob du ne Feministin bist, sag lieber nicht "ja", wenn du
       in keiner Schublade landen willst. Denn derzeit haben Feministinnen einen
       schlechten Ruf. Feministinnen, das sind die, die den Eros vom Sockel gefegt
       haben. Feministinnen, das sind die, die die Männer ins Unglück stürzen,
       weil sie Mädchen einreden, dass sie missbraucht wurden.
       
       Feministinnen, das sind die, die die hohen Scheidungsraten zu verantworten
       haben, weil sie den Gattinnen zuflüstern, dass sie unglücklich seien mit
       ihren Männern. Die niedrige Geburtenrate und der demografische Wandel gehen
       ebenfalls auf ihr Konto. Feministinnen, das sind die, die Karrierefrauen
       den Erfolg neiden.
       
       Verantwortlich dafür, dass Mädchen jetzt zuschlagen und Jungs schlecht sind
       in der Schule, sind sie auch. Feministinnen haben keinen Humor. Und
       Feministinnen, das sind die, die dafür gesorgt haben, dass Mädchen Pink
       lieben, weil sie so sehr dagegen gewettert haben, dass Mädchen Pink lieben.
       
       Quellen für die Thesen gefällig? Kein Problem: Die finden Sie in der taz.
       
       Ha, gehts noch?
       
       ## Rückblende
       
       Rücklauftaste drücken, brrrrröorrröorrüp. Das Jahr 1911: Frauen dürfen
       nicht wählen. Frauen dürfen nicht habilitieren. Frauen dürfen nicht
       abtreiben. Unverheiratete Mütter sind gesellschaftlich nicht geschützt.
       Verheiratete Frauen dürfen ohne Erlaubnis der Gatten nicht arbeiten. Über
       die Finanzen bestimmt er. Seinen Namen tragen die Ehefrauen. Frauen müssen
       in der Ehe gehorsam sein. Bei nicht einvernehmlichen Scheidungen liegt die
       Schuld bei der Frau. Das Sorgerecht für Kinder haben die Väter. Lehrerinnen
       dürfen nicht verheiratet sein.
       
       Zusammenfassung Frau 1911: Zierde, Haussklavin, Gebärmaschine, Arbeitstier,
       Muse. Sicher, Ausnahmen gibts immer. Sie zeigen, dass es auch anders sein
       kann. Besser, freier womöglich.
       
       Damit sich der Status quo damals änderte, mussten zornige Mutbürgerinnen
       gegen die Unterdrückung protestierten. Denn freiwillig verzichten nur
       Masochisten aufs Paradies. Danke, ihr Frauen, ihr Ururgroßmütter,
       Urgroßmütter, Großmütter für eure Widerständigkeit.
       
       Ihr habt den Männern gesagt, dass Ungleichheit Unrecht ist. Ihr wusstet,
       dass eine ungleiche Gesellschaft allen schadet - denen, die bestimmen, und
       denen, die gehorchen müssen. Weil Ungleichheit das Denken korrumpiert.
       
       ## Schnellvorlauf
       
       Vorlauftaste drücken, brrrrröorrröorrüp. Das Jahr 2011: Vor dem Gesetz sind
       Männer und Frauen gleich. Dass es auch im Alltag so ist, darum wird seit
       Jahrzehnten gerungen. Denn ja, es ist ein langer Weg von der Standesehe zur
       Sichtbarkeit von lesbischen Frauen, die sich heiraten können.
       
       Ja, es ist ein langer Weg vom Ausschluss lediger Mütter aus der
       Gemeinschaft hin zu einer Gesellschaft, in der ein Drittel der Mütter
       unverheiratet ist.
       
       Ja, es ist ein langer Weg von der Frau, deren Erwerbstätigkeit von der Not
       oder dem Einverständnis des Mannes diktiert wird, hin zur berufstätigen
       Frau.
       
       Ja, es ist ein langer Weg von der erlaubten Züchtigung der Gattin hin zur
       verbotenen Vergewaltigung in der Ehe.
       
       Hat es der Gesellschaft geschadet?
       
       Viel Herzblut von Frauen ist die letzten hundert Jahre in die
       Gleichberechtigung geflossen. Alles könnte so gut sein.
       
       Und nun der Schock: Irgendwas stimmt nicht. Bei der Zusammenfassung "Frau
       2011" schimmert "Frau 1911" durch. Die Zierde heißt jetzt Model, die
       Haussklavin jetzt Sexobjekt, die Gebärmaschine ist zur Doppellastenträgerin
       geworden, das Arbeitstier zur Hartz-IV-lerin oder Quotenfrau und die Muse
       zu Merkel.
       
       Und Bascha Mika sagt, die Frau ist feige.
       
       ## Suchlauf
       
       Das alles erklärt nicht, warum nun plötzlich ausgerechnet die Feministinnen
       schuld sein sollen am sexuellen Missbrauch und an den schlechten
       Ergebnissen der Jungen in der Schule. Schuld sein sollen an den
       geschiedenen Gatten, den gewalttätigen Mädchen und der Farbe Pink.
       
       Aber warum bringen Heerscharen von Buchautoren und Artikelschreibenden so
       viel Energie auf, genau solche Behauptungen in die Welt zu setzen? Und was
       sagt es über eine Gesellschaft, wenn sie diese Behauptungen goutiert, als
       handelte es sich um den allerletzten Stein der Weisen?
       
       Es ist notwendig, ein wenig vor- und zurückzuspulen, um die Antwort zu
       finden. Und die Antwort lautet: Furcht. Es darf nicht verstanden werden,
       dass Model, Sexobjekt, Doppellastenträgerin, Hartz-IV-lerin, Ouotenfrau und
       Merkel nicht der siebte Himmel der Emanzipation ist, in den wir Frauen
       wollten.
       
       Nein, nein, es ist ein Emanzipationsvorhof und für manche eine
       Emanzipationsvorhölle. Käme das raus, ginge es der Wirtschaft und den
       Männern schlechter.
       
       Wer aber wäre in der Lage, das rauszuschreien? Die Feministinnen! Deshalb
       müssen sie im Zaum gehalten und mundtot gemacht werden. Wie? Durch
       Manipulation. Indem man Nebenschauplätze aufmacht und die Feministinnen mit
       absurden Behauptungen diskreditiert. Solange sie damit beschäftigt sind,
       das Gegenteil zu beweisen, kann der Rest der Gesellschaft in Ruhe an Model,
       Sexobjekt, Doppelbelastung, Hartz IV, Quote und Merkel weiterdrehen.
       Feministinnen sollen sich mit grandiosem Blödsinn beschäftigen, damit alles
       bleibt, wie es ist.
       
       Der Trick mit dem Ablenken ist eine Falle. Geh ich zum Chef und sag: "Ich
       will mehr Mitsprache und mehr Geld", antwortet der: "Was haben Sie da für
       einen Fleck im Gesicht, sind Sie krank?" "Äh, wo ist ein Fleck? Vorhin war
       da noch keiner. Entschuldigen Sie, kann ich mal in den Spiegel schauen …"
       
       Hallo, nicht ablenken lassen. Mit einem Blick in den Spiegel darf dieser
       Artikel nicht enden. Es ging um Mitsprache und Geld. Es ging um
       Zähnezeigen. Es ging um mutige Frauen. Es ging um widerspenstige, zornige
       Frauen, ja Feministinnen. Ich liebe sie. Sie können gar nicht zornig genug
       sein. Nur so wird sich was ändern. "Mutbürgerinnen, bravo!" Applaus.
       "Encore, encore!"
       
       5 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Frauentag in Berlin: Zetkin zurück aufs Schild
       
       Die Grünen wollen die Dorotheenstraße symbolisch der Frauenrechtlerin Clara
       Zetkin widmen. Der dauerhaften Umbenennung steht ein Hellersdorfer
       Straßenschild im Weg.
       
   DIR Debatte Frauenquote: Wer von der Quote profitiert
       
       Eine Frauenquote für Aufsichtsräte zu fordern ist fragwürdig. Besser wäre
       es, wenn traditionelle Frauenberufe besser entlohnt würden.
       
   DIR Umfrage zum Frauentag: Wären Sie gerne eine Frau, Herr ...?
       
       Es gibt Männer, die haben im Beruf vor allem mit Frauen zu tun – so dass
       man sich fragen kann, ob den Job nicht besser eine Frau machen würde. Sie
       selbst sehen das anders, wie fünf von ihnen der taz erklären.
       
   DIR Protest am Frauentag: Verkäuferinnen leben gefährlich
       
       Mitarbeiterinnen demonstrieren am Brandenburger Tor gegen miese
       Arbeitsbedingungen - vor allem bei der Drogeriekette Schlecker. Dort
       müssten Verkäuferinnen sogar Angst vor Überfällen haben.
       
   DIR Taz-Sonderseiten zum Frauentag: Die Männer-Rechte
       
       Männer machen Front gegen den Feminismus. Jetzt müsse Schluss sein mit der
       "Besserstellung der Frau". Selbst vor Kooperationen mit Rechtsradikalen
       schrecken einige nicht zurück.
       
   DIR Debatte Symbolpolitik in Südafrika: Frauentag am Kap
       
       In Südafrika gehört das Gedenken an den Widerstand von Frauen gegen die
       Apartheid zur Staatsraison. Ihre aktuelle Lage aber ist fatal.