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       # taz.de -- Deutschlandtour von Kylie Minogue: Das Über-Showgirl ist wieder da
       
       > Hurra, hier weiß noch jemand, wie Pop geht: Kylie Minogues Tourauftakt
       > war besser als ein Madonna-Konzert, John Waters' Trash-Trilogie und
       > "Moulin Rouge" zusammen.
       
   IMG Bild: Als schaumgeborene Venus aus einer Muschel steigen: Kylie Minogue beim Konzert in Berlin.
       
       Fünfzehn Sekunden nachdem der letzte Ton verklungen, die letzte
       Wasserfontäne verschossen und die gereckte Hand der Diva hinter der Bühne
       versunken ist, schwärmen die Roadies aus. Heerscharen. Fangen an, die Bühne
       zu demontieren. In rasender Eile werden die Eingeweide unter den Catwalks
       freigelegt, ein verschlungenes Gedärm aus Plastikschläuchen, Folien,
       Elektrik, Netzen, Seilen. Noch völlig benommen von zwei Stunden Kitsch,
       Kunst und Körperkult denkt man: Die Leute in Mannheim, Tokio, New York,
       London haben's gut - die bekommen diesen ganzen Krempel erst noch
       aufgebaut, diese 45 Tonnen Bühnentechnik für viele Millionen Dollar - und
       darauf zwei Stunden Glück.
       
       Zurzeit ist Kylie Minogue mit ihrer Welttournee "Aphrodite - Les Folies" in
       Deutschland. Die 42-jährige Australierin, die als einziger Popstar neben
       Madonna in drei Jahrzehnten Nummer-1-Hits hatte, sie ist wieder wieder mal
       da. Im Laufe ihrer Karriere hat sie über 60 Millionen Tonträger verkauft
       und es vom "Neighbours"-Soapsternchen zur Bubblegum-Pop-Kylie, Indie-Kylie,
       Showgirl-Kylie, "Ich habe den Brustkrebs besiegt"-Kylie und zur
       Über-Showgirl-Kylie gebracht. Nach dem relativen Misserfolg ihres zehnten
       Albums, "X" (2007), wird das jüngste, "Aphrodite", mehrheitlich gelobt und
       gekauft.
       
       Es ist ein rundes Stück Hochglanz-Disco, mit keinem Über-Hit gesegnet, aber
       auch nur mit zwei Flops aus zwölf Songs gestraft. Zoot-Woman-Chef Stuart
       Price, der schon Madonnas "Confessions On A Dancefloor" zum feisten Stomper
       hochproduzierte, hat hier zusammen mit 27 weiteren Autoren ganze Arbeit
       geleistet.
       
       Mit diesem Album - und mehr noch mit der dazugehörenden Liveshow - setzt
       sich Kylie wieder betonfest in den Sattel der Popprinzessin, sie ist und
       bleibt eine Meisterin darin, die Grenze zwischen dem grundsympathischen,
       einsfünfundfünfzig großen Grinsemädchen und der Aura-umflorten Diva und
       Schwulenikone zu verwischen. Und zwar immer tanzbar, immer catchy im Sound.
       
       In der O2 World in Hamburg fand am Montag der Deutschland-Auftakt von "Les
       Folies" statt. Nach Vorband und Werbeblock (Kylie-Parfüms, Australien als
       Reiseland) erschienen eine griechische Tempelkulisse, davor eine Art
       schwarzer Trevi-Brunnen, aus dem pirouettierende Luftakrobaten gezogen
       wurden, Tänzer mit beeindruckenden Körpern und Tuniken, psychedelische
       Projektionen von Schwimmern mit ebenfalls beeindruckenden Körpern - und
       schließlich: Kylie. In einer riesigen goldenen Botticelli-Muschel fuhr sie
       als Schaumgeborene mit gefiederten Hermesschwingen über den goldenen Locken
       herauf und führte das goldene Mikrofon zum Mund. Wahnsinn!
       
       Es schloss sich an: ein Fest für die Sinne, eine perzeptive Überforderung,
       eine sauber durchchoreografierte Revue-Konzert-Show ohne Pause, ohne
       Pannen, mit einer Perfektion, in deren Korsett Kylie Minogue es
       absurderweise auch noch schaffte, nicht roboterhaft, sondern natürlich und
       wahrhaft motiviert zu wirken.
       
       Der Fokus der Show lag auf dem Material des neuen Albums, zwischengefüttert
       wurde ein Best-of der letzten 23 Jahre. Sieben Akte gab es und sieben
       Kostümwechsel. Das visuelle Ausgangsmotiv, "Antikes Griechenland", wurde ad
       libitum bespielt. Das semiotisch eher intuitiv, aber trotzdem hochbegabt zu
       Werke gehende Produktionsteam und die für die Garderobe verantwortlichen
       Dolce & Gabbana quirlten ohne Angst vor Inkongruenz hinein, was ihnen aus
       der Wunderkiste der camp überhöhbaren kulturgeschichtlichen Sujets in den
       Kram passte. So traten unter anderem auf: Kylie auf einem goldenen Pegasus,
       Kylie auf einem von vier aufgezäumten Muskelmännern gezogenen Streitwagen.
       Es kamen Tänzerinnen in Roben, die aus Burgfräulein-Mode, Karneval in Rio
       und Douglas-Geschenkverpackung gesampelt waren. Es kamen Tänzer in knappen
       Höschen, Smokings, Ordensschwester-Hüten und als trojanische Krieger vor
       dorisch gerahmtem Vollmond.
       
       Äußerst gelungen war die Darbietung von "Slow" als schwüler
       Bar-Swing-Nummer, bei der Trocken-Synchronschwimmerinnen mit Federfächern
       rund um Kylie Präzisionsarbeit leisteten. Toll camp drüber, wie Kylie im
       Po-kurzen Kettenhemd einen schwarzen Engel mit weißen Flügeln herbeisang,
       der sie bei "Closer" auf dem Rücken im Luftritt durch die halben Halle
       transportierte. Selbstironisch: "Better The Devil You Know" als
       Ghettotech-Nummer und mit einer Kylie in Hotpants und Flokati-Bolero als
       augenzwinkernde Wiedergängerin ihres Eighties-Aggregatzustands. Souverän:
       die Erfüllung des fast in intimer Situation geforderten Publikumwunschs als
       A-cappella-Solo, das lässig den Beweis erbrachte: Kylie kann singen, auch
       ohne stimmunterstützendes Klimbim.
       
       So richtig erwartet hatte man's nicht, aber: Das war besser als ein
       Madonna-Konzert, John Waters' Trash-Trilogie und "Moulin Rouge" zusammen.
       Hurra, hier da weiß noch jemand, wie Pop geht.
       
       Kylie Minogue live: 4. 3. Leipzig, 5. 3. München, 6. 3. Mannheim, 9. 3.
       Zürich, 18. 3. Oberhausen
       
       2 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kirsten Riesselmann
       
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