# taz.de -- EU-Kontrollstellen-Chefin über Gentechnik: "Alle arbeiten mit der Industrie"
> Wie lassen sich Gentech-Pflanzen kontrollieren, wenn Monsanto die
> Gutachter bezahlt? EU-Kontrollstellen-Chefin Catherine Geslain-Lanéelle
> sagt: Ihr geht's nur um die Bevölkerung.
IMG Bild: Rechts im Bild: Zwei Kolben des gentechnisch veränderten Maises MON810 von Monsanto.
taz: Frau Geslain-Lanéelle, die meisten Europäer glauben Umfragen zufolge
nicht daran, dass Ämter wie Ihre EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit
(Efsa) beim Thema Gentechnik unabhängig sind. Was machen Sie falsch?
Catherine Geslain-Lanéelle: Wir sind sehr stark auf Experten angewiesen,
die nicht bei der Efsa angestellt sind, sondern von Universitäten und
Forschungsorganisationen kommen. Sie bewerten in unserem Auftrag die
Risiken einer gentechnisch veränderten Pflanze für Mensch und Umwelt. Und
wir wissen, dass diese Experten mehr und mehr mit der Industrie
zusammenarbeiten. Die europäische Forschungspolitik ermutigt
Wissenschaftler öffentlicher Institutionen sogar, mit der Industrie
zusammenzuarbeiten.
Wie können Sie dann Ihre Gutachten für die Zulassungsbehörden überhaupt als
unabhängig bezeichnen?
Jedes Jahr gibt jeder Experte in einer Erklärung alle Tätigkeiten an, die
mit der Arbeit der Efsa zu tun haben könnten. Das können zum Beispiel
Arbeitsverhältnisse und Forschungsprojekte für die Biotechnologie-Industrie
sein. Wir veröffentlichen diese Erklärungen im Internet, nachdem wir sie
ausgewertet haben. Wenn wir einen Interessenkonflikt finden, schließen wir
den Experten völlig oder teilweise von unserer Arbeit aus.
Wie oft passiert das?
2010 ist das 300-mal passiert. Die Betroffenen durften dann beispielsweise
nicht an Beratungen zu dem Thema teilnehmen, wo sie befangen sein könnten.
Der Vorsitzende Ihres Wissenschaftlergremiums für die Gutachten über
Gentech-Pflanzen ist Harry Kuiper. Er hat Studien geschrieben für das
Institut Ilsi, das hauptsächlich von Monsanto und anderen Firmen finanziert
wird. Wie können Sie Kuiper immer von Gentech-Entscheidungen ausschließen,
wenn er der Chef des Gentech-Gremiums ist?
Ja, aber fast alle Wissenschaftler arbeiten heutzutage auf die eine oder
andere Weise mit der Industrie zusammen. Im Übrigen sind unsere
Stellungnahmen beispielsweise zu einer Pflanze nie die einer einzelnen
Person. Sie kommen von einem Gremium aus 21 Experten und werden vorbereitet
von einer Arbeitsgruppe, die aus vielen weiteren Fachleuten besteht. Und
zusätzlich konsultieren wir die wissenschaftlichen Behörden der EU-Staaten.
Lässt sich beweisen, dass Sie keine Wissenschaftler finden können, die
nicht für den US-Gentech-Konzern Monsanto und den Lebensmittelmulti Danone
arbeiten?
Nein. Ich sage, dass die meisten Wissenschaftler mit der Industrie
zusammenarbeiten im Bereich Chemikalien, sogar bei der Pflanzen- und
Tiergesundheit. Ein Interessenkonflikt ist nicht unbedingt dasselbe wie ein
Interesse. Wenn man ein führender Gentechnik-Wissenschaftler ist, ist man
involviert in viele Tätigkeiten. Und dann kommt es darauf an, was für
Tätigkeiten das sind. Wenn ich Monsanto berate zu einem Zulassungsantrag,
kann ich kein Mitglied unseres Gentechnik-Gremiums sein.
Heißt das, dass jeder führende Wissenschaftler Geld von der Industrie
bekommt?
Nein. Wenn Sie immer alle Experten ausschließen, die irgendwann einmal für
die Industrie gearbeitet haben, werden Sie nicht viele Experten haben. Ich
sage nicht, dass Sie keine Experten haben werden.
Wie viele der 21 Mitglieder Ihres Gentech-Gremiums haben Verbindungen zu
Nichtregierungsorganisationen, die Gentech-Pflanzen kritisch
gegenüberstehen?
Das weiß ich nicht. Ich suche nicht nach Experten, die für
Nichtregierungsorganisationen oder für die Industrie arbeiten. Ich suche
Experten, die die richtige Expertise haben. Und dann muss man die
Interessenerklärungen überprüfen. Wir haben ein Gremium für Tierschutz. Da
ist es sehr schwierig, Fachleute zu finden, die keine Tätigkeiten bei
Tierschutzorganisationen haben.
In die Kritik ist auch Ihr Verwaltungsrat geraten, der die Wissenschaftler
auswählt. Diána Bánáti ist seine Vorsitzende. In einer Interessenerklärung
gab sie an, dass sie Beraterin des Ilsi sei. In Wirklichkeit war sie sogar
im Verwaltungsrat des Instituts. Warum hat selbst diese Fehlinformation
keine Konsequenzen?
Sie haben Recht, dass Diána Bánáti erst Ende September erklärt hat, dass
sie nicht nur ein Mitglied des wissenschaftlichen Gremiums des Ilsi war,
sondern auch ein Mitglied des Verwaltungsrats. Also, sie hat es ein
bisschen spät erklärt. Unser Verwaltungsrat hat die Vorsitzende vor ihrer
Wiederwahl gebeten, sich zu entscheiden zwischen Ilsi und Efsa. Und dann
hat sie diese Tätigkeit beim Ilsi im Oktober 2010 aufgegeben.
Aber Sie haben sehr viele Leute vom Ilsi: im Verwaltungsrat auch Milan
Kovac, als Gutachter neben Kuiper auch Susan Barlow und Gijs Kleter.
Im Verwaltungsrat haben wir 15 Mitglieder. Vier kommen aus der
Nahrungskette. Zum Beispiel Matthias Horst, der Direktor des Verbands der
deutschen Lebensmittelwirtschaft BLL. Und er ist dort, weil er Wissen über
Nahrungsmittel, Lebensmittelsicherheit und die Lebensmittelindustrie hat.
Das Konzept von Unabhängigkeit ist hier anders. Der Verwaltungsrat hat aber
keinen Einfluss auf die wissenschaftlichen Stellungnahmen der Efsa.
Wie gehen die Wissenschaftler eigentlich vor, wenn sie für die Efsa eine
Pflanze untersuchen?
Wenn ein Unternehmen etwa eine Lebensmittelfarbe verkaufen will, muss es
von Gesetz wegen Efsa Daten liefern, dass das Produkt sicher ist. Das
Unternehmen führt dazu eine Studie durch, die es selbst bezahlt. Denn warum
sollte der Steuerzahler für ein Produkt zahlen, von dem eine Firma
profitiert? Wir überprüfen dann die Ergebnisse und den Aufbau der Studie.
Die Fütterungsversuche, die Sie bei Gentech-Pflanzen verlangen, dauern
höchstens 90 Tage. Ist das wirklich genug?
Das ist das, was die meisten Wissenschaftler sagen. Im Moment ist das der
Konsens darüber, was nötig ist.
Sehen Sie sich als eine Organisation zum Schutz der Verbraucher oder der
Wirtschaft?
Der Efsa geht es darum, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Das ist
das einzige Interesse, das wir haben. Wir sind weder an der Wirtschaft noch
an sozialen Folgen unseres wissenschaftlichen Rates interessiert.
31 Jan 2011
## AUTOREN
DIR Jost Maurin
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