URI: 
       # taz.de -- Der Todesschütze von Arizona: Die seltsame Welt des Jared Lee
       
       > Der Todesschütze von Tucson, Arizona, war offenbar ein zuletzt immer
       > merkwürdigerer Mensch. Unterdessen startete in den USA eine Debatte über
       > den laschen Umgang mit Waffen.
       
   IMG Bild: Zeichnung von Jared Lee Loughner.
       
       Drei Tage nach dem Blutbad von Tucson, Arizona werden immer weitere
       Hinweise auf den Charakter und die möglichen Motive des am Tatort
       überwältigten Schützen Jared Lee Loughner bekannt - allerdings nicht durch
       ihn selbst.
       
       Bei seinem ersten Auftritt vor einem Richter am Montag äußerte sich der
       22-Jährige nicht weiter zur Tat. Er bestätigte lediglich seine Identität
       und akzeptierte seine Pflichtverteidigerin Judy Clarke - dieselbe, die vor
       Jahren auch den "Unabomber" Theodore Kaczynski vor Gericht vertreten hatte.
       
       Journalisten US-amerikanischer Medien haben unterdessen einige ehemalige
       Freunde und Bekannte Loughners aufgetrieben. Das Bild, das sich aus ihren
       Erzählungen ergibt, ist das eines jungen Mannes, der noch zu
       Highschool-Zeiten ein ganz normales Teenagerleben geführt hat, dessen
       Verstand sich aber in den letzten zwei, drei Jahren immer mehr verdunkelte.
       Im letzten Jahr hatte er sich von seinen Freunden vollkommen abgekapselt.
       Die Beziehung zu seinen Eltern, wo er wegen Geldmangel weiter wohnte, war
       wegen seiner häufigen unkontrollierten Wutausbrüche gestört.
       
       Ein Reporter des Magazins Mother Jones hat mit Bryce Tierney gesprochen,
       einem früheren Freund Loughners aus Schule und Highschool, der noch in der
       Nacht vor der Tat einen Anruf von Loughner bekam, aber wegen einer
       Fernsehsendung keine Lust hatte, ans Telefon zu gehen. "Hey Mann, hier ist
       Jared. Du und ich, wir hatten gute Zeiten. Peace out", hinterließ Loughner
       auf dem Anrufbeantworter. Als Tierney am nächsten Tag die Nachricht von den
       tödlichen Schüssen beim Bürgertreff mit der Abgeordneten Giffords hörte,
       fürchtete er sofort, Loughner könnte der Täter sein.
       
       Denn Tierney hatte die lang anhaltende Empörung mitbekommen, mit der
       Loughner auf ein Treffen mit der Abgeordneten ungefähr 2007 reagiert hatte.
       Bei einer Bürgerversammlung hatte ihr Loughner die Frage gestellt: "Was ist
       eine Regierung, wenn Worte keine Bedeutung haben?" Als die Abgeordnete dann
       zum nächsten Fragesteller überging, war Loughner wütend. "Er sagte 'Kannst
       du dir das vorstellen, sie hat meine Frage nicht beantwortet!' Ich hab ihm
       gesagt, dass kein Mensch diese Frage beantwortet hätte, aber seither war er
       wütend und hielt Giffords für Fake", erinnert sich Tierrey.
       
       Die Frage, die Loughner gestellt hatte, passt zu den Dingen, mit denen er
       sich in den letzten Jahren offenbar immer mehr beschäftigte. Er bezweifelte
       die Realität, fragte nach der Existenz von Wirklichkeit, von Leben. Er war
       überzeugt von Wachträumen, war besessen von der Idee, diese Träume
       kontrollieren zu können. "Ich bin so begeistert davon, weil ich Dinge
       schaffen und fliegen kann", vertraute er vor rund einem Jahr Freunden an,
       die ihn mit immer größerer Sorge betrachteten.
       
       Und er war überzeugt davon, die Regierung mische sich in seine Parallelwelt
       ein: "Die Regierung kontrolliert unser Denken und unterzieht uns einer
       Gehirnwäsche, indem sie die Grammatik kontrolliert", heißt es in einem
       seiner Youtube-Videos. Ein Hinweis auf eine politische Position Giffords,
       die ihn geärgert hätte, findet sich bislang nirgends.
       
       Unterdessen dreht sich die Debatte in den US-amerikanischen Medien
       inzwischen um die Frage, warum ein offensichtlich mental gestörter Mensch
       eine solch tödliche Waffe kaufen konnte und ob nicht strengere
       Kontrollgesetze nötig seien. Arizona ist einer der Bundesstaaten mit den
       niedrigsten Auflagen für Waffenbesitz.
       
       New-York-Times-Reporter befragten Waffenbesitzer in verschiedenen
       Schießständen in Tucson, ob das Blutbad ihre Ansichten zum Waffentragen
       ändern würde. Nein, sagen die meisten, eher würden noch mehr Menschen
       Waffen haben wollen, um sich verteidigen zu können. Der getötete Richter
       John Roll etwa, sagt Schießstandbesitzerin Barbara OConnell bedauernd,
       "konnte schießen. Aber er war gerade in der Kirche gewesen, und er hatte
       seine Waffe offenbar nicht dabei."
       
       11 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schütze von Arizona: Psychiatrie statt Knast
       
       Vorerst gibt es keinen Prozess gegen den Schützen von Arizona. Er ist nicht
       verhandlungsfähig und muss zunächst in einer geschlossenen psychiatrischen
       Anstalt bleiben.
       
   DIR Nach dem Amoklauf von Tucson: Der Irrsinn geht weiter
       
       Die Tragödie ist erst ein paar Tage her. Doch auf der Waffenmesse in Tucson
       steigt der Umsatz bereits wieder - während das dritte Opfer des Massakers
       beigesetzt wird.
       
   DIR Trauerfeier in Tucson: "Sie entdeckte gerade die Demokratie"
       
       24.000 Menschen gedenken in Tucson der Opfer der Schießerei und huldigen
       ihren neuen Helden. Obama spricht von Hoffnung, Würde und über das
       Schicksal der neunjährigen Christina.
       
   DIR Trauerfeier in Tucson: Obama mahnt zivilen Umgang an
       
       Amerika gedenkt der Opfer von Tucson. Auf einer Trauerfeier betonte der
       US-Präsident die Gemeinsamkeiten und warnte vor Vorverurteilungen. Auch
       Sarah Palin meldete sich zu Wort.
       
   DIR Kommentar Blutbad von Arizona: Das Schweigen der Sarah Palin
       
       Wie Sarah Palin mit der Kritik umgeht, meinen manche Analysten, könnte für
       ihre politische Zukunft entscheidend sein. Deshalb reagiert sie wohl erst
       einmal gar nicht.
       
   DIR US-Netzdebatte nach Arizona-Attentat: Argumente im Fadenkreuz
       
       Warum kam es in Arizona zum Blutbad? Unter US-Bloggern tobt der
       Meinungskampf. Für die Linke liegt die Schuld bei rechten Einpeitschern.
       Die schlagen zurück.
       
   DIR Schweigeminute nach dem Attentat: Einen Augenblick lang ganz still
       
       Ein Land schweigt und betet: In einer Gedenkminute für die Opfer von Tucson
       wird der politische Streit in Washington für einen Moment zu einem
       Geflüster gedämmt.