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       # taz.de -- Ex-Schulleiterin zu Missbrauch: "Ich habe nichts vertuscht"
       
       > Enja Riegel, Ex-Schulleiterin der reformpädagogischen
       > Helene-Lange-Schule, streitet vehement ab, einen pädophilen Lehrer an
       > ihrer Schule gedeckt zu haben.
       
   IMG Bild: Schülerinnen und Schüler der reformpädagogischen Helene-Lange-Schule in Wiesbaden.
       
       taz: Frau Riegel, jahrelang waren Sie "every teachers darling". Jetzt
       stehen Sie unter Verdacht, einen pädophilen Lehrer gedeckt zu haben. Haben
       Sie das getan? 
       
       Enja Riegel: Nein, ich habe ihn nicht gedeckt. Als 1989 herauskam, dass der
       Kunstlehrer Hajo Weber Jungen sexuell missbraucht hat, habe ich ihn sofort
       aus der Schule genommen. Ich habe versucht, ihm keinerlei Zugang zu
       Schülern mehr zu gewähren. Heute weiß ich: Es hat nicht gereicht.
       
       Was heißt, Sie haben alles getan? Weber durfte weiter unterrichten, er fuhr
       sogar mit auf Klassenfahrten. 
       
       Das ist falsch. Ich habe Hajo Weber sofort beurlaubt und alle Gremien, die
       Eltern und den Schulrat informiert. Innerhalb von 10 Tagen waren 1.000
       Menschen damit befasst.
       
       Die Frage war: Hat Weber weiter unterrichtet? 
       
       Nein, hat er nicht. Er wurde abgeordnet ans Hessische Institut für
       Lehrerfortbildung und kam in dieser Funktion zu ausgewählten Terminen an
       die Schule - zur Fortbildung, nicht in den Unterricht. Weber fuhr auch
       nicht mit auf Klassenfahrt. Er wurde ein einziges Mal nach seinen
       Missbräuchen für einen Tag an die Nordsee geschickt, um eine Wattwanderung
       fotografisch zu dokumentieren. Er schlief im Hotel, nicht bei der Klasse.
       
       Entschiedene Aufklärung sieht anders aus. 
       
       Heute weiß ich das auch. Damals habe ich einen Fehler begangen.
       
       Welchen? 
       
       Ich habe hingenommen, dass Weber mit der Schule in Berührung blieb. Heute
       würde ich sagen: Hajo, tut mir leid, Sie mögen ein guter Lehrer sein, aber
       das ist mit Ihrer Neigung nicht zu vereinbaren. Sie kommen nicht mehr über
       die Schwelle dieser Schule.
       
       Warum sind Sie nicht schon damals auf die Idee gekommen? 
       
       Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens war das nicht meine Entscheidung,
       sondern die der Schulbehörde. Ich hatte nicht die Möglichkeit, jemanden zu
       entlassen, das konnte nur die Schulaufsicht. Die hatte entschieden, dass
       Weber in die Lehrerbildung geht. Ich hätte mich trotzdem dagegen zur Wehr
       setzen sollen.
       
       Und der zweite Grund, mit dem pädophilen Lehrer nicht gebrochen zu haben? 
       
       Es war eine andere Zeit damals. Wir waren alle, auch ich, zu naiv und zu
       schlecht informiert darüber, was Pädophilie bedeutet und wie ein Pädophiler
       vorgeht. Ich dachte, das ist eine Spielart der Homosexualität und sie ist
       heilbar. Heute sind wir alle klüger. Hajo Weber musste damals sogar eine
       Therapie machen, das hat mich in Sicherheit gewiegt. Nur: Therapie mag
       wichtig sein, aber es ändert nichts daran, dass ein Pädophiler auf keinen
       Fall Lehrer sein darf.
       
       Warum haben Sie dann mit Hajo Weber noch ein Buch gemacht? Und zugleich mit
       Gerold Becker, dem pädophilen Schulleiter aus dem Odenwald? 
       
       Hajo Weber war ein anerkannter, guter Fotograf. Ich wollte ihn nicht
       vernichten. Hajo Weber war nach den Vorfällen ein gebrochener Mann. Aus
       einem wirklich guten Lehrer, der die Schule mit aufgebaut hatte, war
       plötzlich ein Geächteter geworden. Jetzt erscheint er allen als ein
       Monster, dem man an der Nasenspitze ansieht, dass es Kinder missbraucht.
       Aber das ist ein falsches Bild. Er war ein wahnsinnig netter Mensch, er
       konnte unglaublich gut mit Kindern umgehen. Das ist ja die Gefahr. Wir
       müssen verstehen, dass Pädophile charismatische und gefühlvolle Menschen
       und Lehrer sein können und dennoch Verbrechen begehen. Die Öffentlichkeit
       macht es sich damit viel zu leicht.
       
       Und Gerold Becker? Warum mit ihm das Buch? 
       
       Im Jahr 1997 wusste ich nicht, dass er pädophil war, das kam erst 1998,
       1999 heraus.
       
       Aber auch mit ihm haben Sie weiter zusammengearbeitet. 
       
       Ich habe ihn gefragt: Gerold, was ist da dran? Er hat mir versichert, dass
       er kein Kind beschämen oder ihm etwas zu Leide tun könne.
       
       Was kann man aus diesen Geschichten lernen? 
       
       Wir müssen Kinder noch besser aufklären darüber, dass auch ein netter
       Mensch etwas Böses im Schilde führen kann. Schüler brauchen einen
       Ansprechpartner in der Schule, dem sie sich vorbehaltlos anvertrauen
       können. Und die Institutionen, besonders die Schulen, müssen alle Naivität
       im Umgang mit Pädophilie ablegen.
       
       12 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Füller
       
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