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       # taz.de -- Russischer Präsident besucht Polen: "Die Dürrezeit ist vorbei"
       
       > Um die Beziehungen zwischen Russland und Polen steht es nicht zum Besten.
       > Jetzt wollen die beiden Länder Streitlinien überwinden - und
       > unterzeichnen viele Verträge.
       
   IMG Bild: Bronislaw Komorowski (rechts) und Dimitri Medwedew (links) in Warschau im Gespräch über alte Konflikte zwischen den beiden Ländern.
       
       WARSCHAU taz | "Wir schlagen ein neues Kapitel auf und hegen die große
       Hoffnung, dass der nun begonnene Dialog uns einander näher bringt",
       erklärte Polens Präsident Bronislaw Komorowski nach zweistündigen
       Beratungen mit Russlands Präsident Dmitri Medwedew und seiner großen
       Delegation. Die Geschichte soll die beiden nicht länger trennen, so
       Komorowski. "Die Dürrezeit ist vorbei".
       
       Um den Worten gleich Taten folgen zu lassen, unterzeichneten Minister
       beider Regierungen direkt am Anschluss einen ganzen Schwung an Verträgen
       zur Zusammenarbeit. Fast kein Sektor bleib ausgespart: Wirtschaft,
       Infrastruktur, Energiefragen, Jugendaustausch, Kultur. Das sei erst der
       Beginn, so Medwedew. "Wir haben die Gespräche in einer sehr
       vertrauensvollen Atmosphäre geführt", betonte er. "Das ist wohl das
       wichtigste. Der Dialog geht nun weiter."
       
       Einen zentralen Punkt in den Gesprächen nahm das bis heute noch nicht
       vollständig aufgeklärte Massaker von Katyn ein. 1940 hatte der sowjetische
       Geheimdienst rund 22.000 polnische Offiziere und Intellektuelle erschossen.
       Noch immer wissen viel Angehörige der Opfer nicht, wo ihre Väter und Brüder
       ermordet und beerdigt wurden. Auch die Rehabilitation der angeblich
       "erbitterten Feinde der Sowjetunion" steht noch aus.
       
       Zwar kündigte Medwedew nur an, dass die Menschen in Polen wie auch in
       Russland "die ganze Wahrheit" dieser Tragödie erfahren sollten, doch
       Komorowski sieht genügend Signale für eine allmähliche Überwindung der über
       Jahrzehnte trennenden Geschichte. "Die Erklärung der Staatsduma zu Katyn
       vor wenigen Tagen erlaubt eine positive Prognose. Noch haben wir einen
       langen Weg vor uns. Aber wir werden ihn nun gehen."
       
       Medwedew erinnerte allerdings auch an das Schicksal der rund 18.000 bis
       20.000 Rotarmisten, die in den zwanziger Jahren in polnischer
       Kriegsgefangenschaft starben. Auch dieses Kapitel sei noch nicht zu aller
       Zufriedenheit geklärt. Doch der Präsident Russlands stellte die
       pragmatische Zusammenarbeit in den Vordergrund.
       
       Schon in einem großen Interview für die polnische Zeitschrift Wprost
       erklärte er, dass man nicht zur Geisel der Geschichte werden dürfe. Sicher
       sei es wichtig, aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen, doch
       man solle Geschichte und Gegenwart trennen. Polen als EU- und Nato-Mitglied
       sei ein wichtiger Gesprächspartner für Russland.
       
       Auch wirtschaftlich habe Polen für Russland einiges zu bieten. Die
       Handelsbilanz könne sich sehen lassen. Fördern wollte man künftig
       insbesondere Investitionen kleiner und mittlerer Unternehmen Polens in
       Russland und umgekehrt. Russland habe Interesse am Kauf des polnischen
       Energiekonzerns Lotos. Beide Präsidenten übernahmen die Schirmherrschaft
       über den Jugendaustausch. Erste Projekte sollten bereits im Frühjahr
       starten, sagte Komorowski. Dafür sollen zwei neue Einrichtungen zuständig
       sein, die 2011 in Warschau und Moskau die Arbeit aufnehmen.
       
       Ein anderes wichtiges Thema waren die Ermittlungen zur Flugzeugkatastrophe
       in Smolensk. Im April dieses Jahres waren Polens damaliger Präsident Lech
       Kaczynski und 95 weitere Menschen auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung
       ums Leben gekommen. Das vorläufige Abschlussprotokoll er Ermittlungen liegt
       Polen bereits seit einigen Wochen vor. Änderungswünsche der polnischen
       Staatsanwaltschaft sollen in die endgültige Fassung eingearbeitet werden.
       
       Ob die Blackbox je nach Polen zurückkehren wird, ließ Medwedew offen. Die
       beiden Präsidenten übernahmen die Schirmherrschaft über ein Denkmal, das
       zum ersten Jahrestag am Ort der Katastrophe aufgestellt werden soll.
       Medwedews Visite ist der erste Staatsbesuch eines russischen Präsidenten in
       Polen seit 2002. An diesem Dienstag will er noch einen Kranz am russischen
       Soldatenfriedhof in Warschau niederlegen und dann nach Brüssel zum
       EU-Russland-Gipfel weiterfliegen.
       
       6 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabrielle Lesser
       
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