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       # taz.de -- Missbrauch: Die Sünden der Kirche
       
       > Als erster katholischer Bischof Deutschlands bekannte Franz-Josef Bode
       > von Osnabrück die Mitschuld der heiligen Kirche an sexuellen Übergriffen
       > ihrer Mitarbeiter.
       
   IMG Bild: Mit einer Geste der Karfreitags-Liturgie tut Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode am ersten Advent Buße.
       
       Lang hingestreckt, die Hände vorm Gesicht, liegt Bischof Franz-Josef Bode
       vor dem Triumphkreuz. Das hängt überm Altar des Osnabrücker Doms. Bestimmt
       eine Minute verharrt er in dieser Haltung, und Stille herrscht.
       
       Prostratio, Unterwerfung, nennt die katholische Liturgie diese
       Maximal-Geste. Karfreitag, der Todestag Jesu, ist ihr fester Platz in deren
       Jahreskreis. Sie bedeutet Trauer, Buße und Ohnmacht vor Gott. Der erste
       Adventssonntag hingegen ist theologisch ein Fest der Freude und des
       Aufbruchs. Er heißt "Ad te levavi", also "Ich erhebe mich zu dir". Er
       eröffnet das neue Kirchenjahr, und zwar traditionell mit allem Pomp,
       Latein, Weihrauch und viel Orgelgetös.
       
       Doch statt eines feierlichen Hochamts gabs am Morgen eine schlichte Messe
       und abends diese Andacht, und das komme "nicht von ungefähr", sagt der
       Bischof. Einen Weg zum Weihnachtsfest könne es nicht geben, "ohne all das
       mitzunehmen, was uns in den vergangenen Monaten bewusst geworden ist", so
       führt er in den Bußgottesdienst ein. Mit dem legt Bode ein Schuldbekenntnis
       zu den Fällen sexuellen Missbrauchs ab - stellvertretend für die
       Institution Kirche, die der Bischof in seiner Diözese verkörpert.
       
       Die Anregung dazu stammte aus dem Priesterrat, sie findet den Zuspruch der
       Laien: Über 600 Menschen sind zur Andacht in den Dom gekommen. Bode bezeugt
       als erster katholischer Bischof Deutschlands auf diese Art eine Mitschuld
       der Kirche, die sich selbst als heilig versteht, an sexuellen Gewalttaten
       ihrer Mitarbeiter. Schon im Sommer hatte Bode sich per Brief bei den Opfern
       entschuldigt. Im Bistum Osnabrück ist von 28 Hinweisen auf insgesamt 21
       Fälle die Rede - von der Kindszüchtigung bis zum Verdacht auf
       Vergewaltigung. Ähnliche Werte stammen aus der Diözese Hildesheim. Hoch
       bleibt überall die Dunkelziffer: Im Erzbistum Hamburg spricht man von
       "Vorfallsanzeigen" gegen zehn Priester, ein Verdachtsfall sei unhaltbar
       gewesen. Belastbare Zahlen erwarte man, "wenn die Bischofskonferenz die
       statistischen Kriterien ausgearbeitet hat", so ein Bistums-Sprecher.
       
       Der Bußgottesdienst verläuft schlicht. Es gibt kein Evangelium, keine
       Eucharistiefeier. Schweigend ist das Domkapitel zuvor in die Kirche
       eingezogen. Der Bischof trägt einen violetten Chormantel mit schwarzer
       Stola, verzichtet hat er auf Insignien wie den Stab. Wichtigster Teil des
       Gottesdienstes ist das Bekenntnis-Gebet. Den Rücken zur Gemeinde spricht
       Bode darin von der "Scham und Erschütterung über die schweren
       Verfehlungen". Denn "einen Nährboden und ein Klima", in denen diese
       "gedeihen konnten", habe die Kirche selbst und "besonders die
       Verantwortlichen in ihr" geschaffen. Brüchig klingt die Stimme, als der
       Bischof sagt: "Um des Ansehens der Kirche willen wurden Täter geschützt und
       Opfer ein zweites Mal geopfert." Danach kniet er nieder und die Gemeinde
       mit ihm. "Das ist ein Bekenntnis vor Gott", hatte Bistumssprecher Hermann
       Haarmann die Intention der Andacht im Vorfeld erläutert.
       
       Klar, dass sie dennoch auch als kirchenpolitisches Signal verstanden - und
       kritisiert wird. Erwartbar schrille Anwürfe hagelte es aus dem
       katholisch-rechtsextremistischen Spektrum, wo Bode des "Missbrauchswahns"
       geziehen wird. Schwerer wiegt, dass auch Opfer die Geste für wenig
       glücklich halten: Ein Betroffener postete im einschlägigen Internet-Forum
       "netzwerkB" einen offenen Brief. Der weist darauf hin, dass auch Opfer,
       wenn sie am Gottesdienst teilnähmen, um Vergebung bitten würden, ebenso wie
       jene, die wirklich "Schuld auf sich geladen haben". Wäre diese Person also,
       fragt der Autor, "schuldig, weil sie missbraucht wurde"? Zugleich mahnt er
       an, dass "der einfachste Weg" vermieden worden sei - nämlich das direkte
       Gespräch "unter vier oder sechs Augen".
       
       Mindestens vereinzelt gab es allerdings solche Kontakte. In seiner Predigt
       zeigt Bode sich bewegt von den Geschichten, die er von Missbrauchsopfern
       gehört hat, und er wiederholt seine öffentliche Entschuldigung. Ob die
       "konkreten Hilfen", die er "ganz ausschöpfen" wolle, auch
       Entschädigungs-Zahlungen beinhalten? Letztlich sei der Schaden, den die
       Missbrauchsopfer erlitten haben, nicht gutzumachen, stellt er zugleich
       fest.
       
       Radio Vatikan immerhin hatte die Osnabrücker Initiative gelobt - und Bode
       als Vorbild empfohlen: Er mache "den Anfang", meldete "die Stimme des
       Papstes" vergangene Woche. Nachahmer sind im Norden trotzdem nicht in
       Sicht. Weder das Bistum Hildesheim, wo aus dem Berliner Canisius-Kolleg
       strafversetzte Patres in der Jugendarbeit eingesetzt wurden, noch Hamburgs
       Erzbischof planen bislang vergleichbare Andachten.
       
       29 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Reinert
   DIR Benno Schirrmeister
       
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