# taz.de -- Querdenker Joachim Sikora im Interview: "Zurück zum menschlichen Maß"
> Joachim Sikora ist einer der wichtigsten Vordenker der regionalen
> Wirtschaft. Er fordert einen Rückbau der Globalisierung, auch durch Zeit-
> und Regiowährungen.
IMG Bild: Der Welthandel muss mehr kontrolliert werden.
taz: Herr Sikora, wir sprechen jetzt günstig über eine Flatrate per Telefon
miteinander, vorher haben wir uns per e-Mail verabredet. Wenn sich Ihre
Ideen schon durchgesetzt hätten, wäre das alles nicht möglich gewesen,
oder?
Joachim Sikora: Wie kommen Sie denn darauf?
Weil Sie auf die regionale Wirtschaft setzen, mitten in einer
globalisierten Welt. Sie wollen Schutzräume statt weltweiten Wettbewerb.
Dabei hat gerade der dafür gesorgt, dass günstiges Telefonieren und
Internetrecherchen quer durch die ganze Welt möglich sind. Davon haben wir
doch alle was, oder?
Ja natürlich, das können Sie ja auch weiterhin nutzen, wenn Sie die
regionale Wirtschaft stärken wollen. Die Globalisierung hat auch einige
positive Seiten, eine weltumspannende Infrastruktur gehört gewiss dazu. Und
wer unbedingt Äpfel aus Neuseeland im Sommer und Erdbeeren aus Chile im
Winter in seinem Supermarkt haben will, kann das auch als Bereicherung
seines Lebens sehen. Aber das alles ist sekundär. Insgesamt geht es bei der
Globalisierung um etwas ganz anderes.
Nämlich?
Ihr Ziel ist vor allem die massive Ausbeutung der Welt und damit verbunden
die Steigerung des Profits von großen Unternehmen und Spekulanten. Die
Märkte, die Produktionsabläufe und damit auch der Wettbewerbsdruck werden
auf die ganze Welt ausgeweitet. Und damit nützt die Globalisierung nur
wenigen. Wir erleben doch, dass die Gesellschaften sich immer weiter in
reich und arm spalten, hierzulande und weltweit.
Und das liegt an der Globalisierung?
Zumindest an der damit verbundenen organisierten Verantwortungslosigkeit.
Wir schaffen es doch nicht, global den notwendigen wirtschaftlichen und
politischen Rahmen zu schaffen. Früher hatten wir Landesgrenzen, die
Rechts-, Wirtschafts- und Sozialräume schufen. Heute haben wie einen
globalen Wirtschaftsraum, in dem Intransparenz und Verantwortungslosigkeit
herrschen - wie wir in der Finanzkrise leidvoll erfahren mussten. Ich sehe
keinen wirksamen Sanktionsmechanismus, der aber dringend nötig wäre.
Sie selbst wohnen in Troisdorf. Könnten die 75.000 Einwohner von Landwirten
aus der Region versorgt werden?
Es geht doch erst einmal darum, ob diese Landwirte überhaupt ein
zusätzliches Angebot an die Bürger der Stadt machen oder ihre Produkte nur
über die Agroindustrie weltweit vermarkten. Es gibt zum Beispiel einen
Vermarktungsring "Unser Land", der sich in und um München herum gebildet
hat und durch den die Landwirte und Lebensmittelproduzenten jede Woche auf
dem Markt in der Stadt vertreten sind. Die darin organisierten Landwirte
versorgen die Stadt und das Umland mit ihren wunderbaren Produkten.
Und woher bekommt die Schneiderin in der Kleinstadt die Baumwolle für eine
neue Jeans?
Natürlich aus den Ländern, in denen sie wächst. Niemand will den Welthandel
verbieten. Aber auch der braucht - wie alle gesellschaftliche Systeme -
Grenzen, wir sprechen von Membranen. Ich habe nichts dagegen, dass wir
Autos ins Ausland verkaufen oder Baumwolle aus Burkina Faso importieren,
wenn dies zu fairen Preisen geschehen würde und auch die Bauern in Burkina
Faso davon profitieren würden. Die Frage ist aber: Wird damit die regionale
Ökonomie auf beiden Seiten gefördert? Und wie nützlich ist das für die
Menschen, die in dem System arbeiten und leben?
Bietet denn eine auf die Region ausgerichtete Wirtschaft genug
Arbeitsplätze für alle?
Das Problem ist: Bei uns zählt nur die außerhäusliche Erwerbsarbeit,
daneben gibt es aber eine Vielzahl für das Gemeinwohl wichtige Tätigkeiten,
die wir als gleichwertig anerkennen müssen. Das kann man nicht unter
Familienpflichten, Hobby oder Ehrenamt subsumieren und der Arbeit
unterordnen. Das ist doch unsinnig. In jeder Stadt und in jedem Dorf wird
erzogen, gepflegt, betreut. Es werden kulturelle Leistungen vollbracht.
Alle solche Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen, müssten genauso als
Arbeit anerkannt und honoriert werden. Dann würde auch klar, wie groß die
wirtschaftlichen Leistungen sind, die innerhalb eines regionalen
Wirtschaftskreislaufes erbracht werden. Wir müssten uns von einer
Erwerbsarbeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft
weiterentwickeln.
Aber all die ehrenamtliche Arbeit kann doch gar nicht bezahlt werden …
Vielleicht nicht, wenn man immer nur in Euros und Cent denkt. Aber wir
könnten andere Zahlungsmittel nutzen. Zum Beispiel: Zeit- oder Regiogeld.
Damit kann eine Region sich selbst das Geld kreieren, mit dem die dort
geleistete Arbeit finanziert wird. Und weil dieses Geld auch nur dort gilt,
kann es nicht zu weltweiten Spekulationen verwendet werden. Außerdem kennt
das Regiogeld in der Regel keine Zinsen, ist deshalb uninteressant für
international tätige Spekulanten. Das schützt und fördert im Gegenzug die
regionale Wirtschaft.
Klingt theoretisch gut. Aber wer hat denn tatsächlich Regiogeld im
Portemonnaie?
Es gibt bundesweit über 60 Initiativen mit zum Teil beeindruckenden Zahlen.
Beim Chiemgauer zum Beispiel liegt das Umlaufvermögen bei rund 3 Millionen
Euro. Aber in der Tat gibt es in Deutschland Vorbehalte gegen solche
Initiativen. Auch die Bundesbank sieht Regiogeld kritisch und nimmt für
sich das Monopol der Geldausgabe in Anspruch - wobei die eigentliche
Geldschöpfung bei den Banken liegt. In Japan zum Beispiel ist das anders.
Dort gibt es Hunderte von Regiogeld-Initiativen, die auch vom Staat
gefördert werden. Wenn hierzulande Sparkassen und Raiffeisenbanken bei der
Einführung von Regiogeld mitmachen würden, wäre das ein wichtiger Impuls.
Was macht ein Mittelständler, der irgendwelche Spezialmaschinen weltweit
verkauft und damit Gewerbesteuern und Arbeitsplätze erbringt? Muss der
künftig in Regiogeld abrechnen?
Natürlich nicht, der Euro soll ja nicht abgeschafft werden. Es geht beim
Regiogeld um ein komplementäres Geldkonzept. Wir wollen ein Gegengewicht
schaffen zum ewigen Mantra der Globalisierung und dem Wettbewerb mit allen
anderen auf der Welt. Wir brauchen Schutzmauern vor diesen entgrenzten
Ansprüchen. Wir müssen zurück zum menschlichen Maß.
Das alles lässt sich leicht fordern, wenn man sich nicht am internationalen
Markt behaupten muss. Sie selbst haben lange in einer kirchlichen Akademie
gearbeitet, also in einem geschützten ökonomischen Raum. Können Sie auch
Unternehmer für das Konzept der regionalen Wirtschaft gewinnen?
Ohne die würde es ja gar nicht gehen. Sie brauchen die am Ort ansässigen
Firmen, damit so etwas Sinn macht. Und viele von ihnen profitieren von
einem solchen ergänzenden Ansatz. Die meisten Unternehmen in Deutschland
agieren doch gar nicht auf dem weltweiten Markt, sondern sind Handwerker
oder kleine Unternehmen, die vor allem in der Region arbeiten.
Hat Ihnen die Finanzkrise geholfen? Ist das Interesse an einem "regionalen
Aufbruch" gewachsen?
Die Zahl der Menschen, die für solche alternativen Ansätze aufgeschlossen
sind, ist gestiegen. Das ist keine Frage. Aber wir erreichen noch nicht die
breite öffentliche Diskussion oder gar die politische Programmatik einer
Partei.
Sie könnten selbst eine Partei gründen.
Das ist zurzeit nicht unser Ziel. Wir wollen eine Plattform sein und
Ideenlieferant. Wir denken aber auch darüber nach, ein entsprechendes
Institut zu gründen.
Was wollen Sie noch tun, damit mehr Menschen von Ihren Ideen erfahren?
Wir haben zum Beispiel gerade ein Onlinecomputerspiel unter dem Titel
"Visions of Politics" entwickelt und unter [1][www.visionsofpolitics.de]
online gestellt. Ziel ist es, mithilfe des Computerspiels eine alternative
Politikarchitektur zu entwickeln. Und dabei sollen - mithilfe dieses
"Spieles" - viele einzelne Ideen zusammengeführt werden, die allein eben
nicht bis in den Mainstream durchdringen. Dabei könnten sie wichtige
Bausteine sein. Denn nach 60 Jahren Bundesrepublik brauchen wir dringend
eine Grundsanierung unserer politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Systeme. Ständige Reparaturen oder sogenannte Reformen bringen uns nicht
wirklich weiter - ein gesellschaftlicher "Architekturwettbewerb" ist
dringend gefordert.
21 Nov 2010
## LINKS
DIR [1] http://www.visionsofpolitics.de
## AUTOREN
DIR Stephan Kosch
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