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       # taz.de -- Korruptionsskandal in Indien: Mit Mobilfunklizenzen Kasse gemacht
       
       > Die Regierung soll Staatseinnahmen in Höhe von umgerechnet 30 Milliarden
       > Euro veruntreut haben. Das Saubermann-Image von Premierminister Singh
       > bröckelt.
       
   IMG Bild: Mobilfunk in Indien: Mit der Lizenzvergabe wurde so richtig Kasse gemacht.
       
       DELHI taz | Er trägt immer einen blauen Turban und ist noch nie laut
       geworden. Indiens seit 2005 regierender Premier Manmohan Singh war bislang
       der Saubermann der Nation, mehr Ökonom als Politiker und ein Mann von
       historische Größe. Er zeichnete schon 1991 als Finanzminister für die
       Marktreformen verantwortlich, die Indien seinen Wirtschaftsboom bescherten.
       Er galt als unbestechlich. Viele Inder, die ihre Politiker für korrupt
       hielten, glaubten zumindest an ihn. Nun steht Singh mitten im womöglich
       größten Korruptionsskandal der indischen Geschichte.
       
       Am Dienstag schrieben zwei der höchsten Richter Indiens vom Obersten
       Gerichtshof in Delhi einen explosiven Brief an Singh: Warum er seit elf
       Monaten nicht auf die Anfrage eines Oppositionspolitikers reagiere? Nach
       "elf Monaten des Schweigens" seien sie "besorgt", schrieben die höchsten
       Richter.
       
       Das ist höchst peinlich für Singh. Er muss bis Donnerstag dieser Woche
       antworten. Wobei die elf Monate alte Anfrage zum Teil gleichen Inhalts wie
       ein neuer Bericht des indischen Rechnungshofes ist, der dem Parlament in
       Delhi am Montag vorgelegt wurde: Der Bericht bezichtigt die Regierung,
       mögliche Staatseinnahmen in Höhe von umgerechnet 30 Milliarden Euro
       veruntreut zu haben. Die Summe entspricht dem indischen
       Verteidigungshaushalt oder dem 6-fachen des indischen Budgets für
       Gesundheit.
       
       Schon jubelt die Opposition: "Einen solchen Verweis des Obersten Gerichts
       an den Premierminister hat es in 60 Jahren dieser Republik nicht gegeben,"
       sagte der Führer der größten Oppositionspartei BJP, Lal Krishna Advani.
       Premier Singh könne von den verloren gegangenen Milliarden unmöglich nichts
       gewusst haben.
       
       Dabei geht es um eine neue, unerhörte Dimension von Korruption in Indien.
       Der unmittelbar Verantwortliche trat am letzten Sonntag zurück. Andimuthu
       Raja war bis dahin Minister für Kommunikation und Informationstechnologie
       unter Singh. Raja ist Mitglied der DMK-Partei aus dem Bundesstaat
       Tamil-Nadu, die für Singh in Delhi ein kleiner, aber wichtiger
       Koalitionspartner ist. Offenbar genoss Raja deshalb Narrenfreiheit im
       Kabinett.
       
       Die eigentlichen Ereignisse liegen schon zwei bis drei Jahre zurück. Raja
       hatte im Mai 2007 sein Amt übernommen und damit auch die Verantwortung für
       die Vergabe neuer Mobilfunklizenzen. Doch kaum im Amt, setzte er
       willkürlich neue Richtlinien für die Vergabe fest. Singh bemerkte das. Er
       schrieb Raja am 2. November 2007 einen Brief, in dem er ein transparentes
       Vergabeverfahren anmahnte. Doch Raja scherte sich nicht darum. Einen
       ehrlichen, standhaften Staatssekretär schickte Raja frühzeitig in Rente.
       Denn er konnte walten, wie er wollte. Von Singh hörte er nie wieder.
       
       Dabei kam aber heraus, was der Rechnungshof den Parlamentariern nun
       akribisch und im Detail vorrechnet. 85 von 122 Lizenzen erteilte Rajas
       Ministerium entgegen den eigenen Vergabevorschriften. Indiens im Ausland
       oft bewunderte Telekommunikationskonzerne wie Reliance halfen dabei mit der
       Fälschung von Dokumenten.
       
       Die Lizenzen kauften die Konzerne zu Marktpreise des Jahres 2001 - also
       weit unter Wert. Viele der Firmen, die Lizenzen erhielten, gab es bis dahin
       nur auf dem Papier. Der Wert der Firma aber stieg mit dem Erhalt der
       Lizenz, worauf viele Firmen die eigenen Aktien teuer ins Ausland
       verkauften. Was sie allein damit einnahmen, geschätzte 20 Milliarden Euro,
       hätte eigentlich dem indischen Steuerzahler gehört.
       
       Nie waren in Indien annähernd hohe Korruptionssummen im Spiel. Im berühmten
       Boforsskandal der 80er Jahre, dem der damals äußerst populäre
       Premierminister Rajiv Gandhi zum Opfer fiel, ging es um einen Waffendeal in
       Höhe von 1,4 Milliarden Dollar und eine Bestechungssumme von 6 Millionen
       Dollar. Das sind Peanuts im Vergleich zum Skandalvolumen von heute. Zudem
       spielt die Geschichte im Telekom-Sektor, der Vorzeigebranche des Landes,
       die als liberalisiert und sauber galt. Genauso wie der Premierminister. Nun
       steht Singh aber in der Schusslinie. Sein Minister ist schon gefallen. Doch
       die vielleicht größte Enthüllungsstory der indischen Nachkriegsgeschichte
       beginnt gerade erst.
       
       17 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Blume
       
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