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       # taz.de -- die Wahrheit: Des Spottes Freund
       
       > NACHRUF Zum Tod des Wahrheit-Autors Michael Quasthoff
       
       ",Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich', heißt es bei Lukas, und siehe, es
       ist wahr." So beginnt die blitzsaubere Papst-Satire "Das Wurstwunder von
       Paritondo" von Michael Quasthoff. Dem Echo auf die traurige Nachricht
       seines Todes am vergangenen Freitag nach zu urteilen, müssen viele, viele
       Menschen gedacht haben, es sei unmöglich, dass der unermüdliche,
       unverwundbare, unerschütterliche Freund und Kollege Michael Quasthoff
       jemals stirbt. Es gibt nämlich Nachrichten, die möchte man nicht wahrhaben,
       aber, bei Gott, es ist leider wahr.
       
       Die Bestürzung angesichts seines Todes nach schwerer Krankheit rührt auch
       daher, dass Michael so viele Leben gelebt, so viel getan hat: Er war
       Musiker, Bandleader, Komponist, Buchautor, Dichter, Satiriker,
       Pressesprecher, Redakteur, Journalist, und all das war er mitreißend und
       mit Hingabe, im schönsten Sinne professionell, und vor allem:
       unverwechselbar. Um seine Talente, seinen Witz, seine Stilsicherheit hätte
       man ihn wohl beneiden können, wäre er denn ein Mann gewesen, der hässliche
       Gefühle auf sich zieht. Doch sein angenehm jungenhafter Charme, seine
       niemals gespielte Freundlichkeit und Aufmerksamkeit machten ihn zu einem
       Menschen, mit dem jeder gern zusammensitzt, der kein komplettes Arschloch
       ist.
       
       Der Beiseitespötter Quasthoff hatte es weniger mit dem Niedermachen als mit
       dem Niederlachen 
       
       Er besaß nämlich eine feine Witterung für die Blender und Dummschwätzer,
       Knallköpfe und Poseure, von denen es im Kulturbetrieb wimmelt, und ließ sie
       nie näher an sich heran, als es die Höflichkeit und die Situation geboten.
       Begreifen konnten die Chargen ihn freilich nie, seinen feinen Sarkasmus,
       seinen Spott, den Blickwinkel des Beiseite-Denkers, seinen messerscharfen
       Verstand, seine Belesenheit. Ungeheuer liebevoll konnte er sein und reden
       über das, was ihm am Herzen lag - Musik, Literatur, Film und Sport,
       insbesondere Fußball, oder, nur ein Beispiel, seine Passion, über Berge zu
       kraxeln. Gleichwohl, Hass und Entrüstung über Unrecht und
       Geschmacklosigkeit empfand er ebenso leidenschaftlich und sprach sie
       deutlich aus. Den Zumutungen durch Politik und Wirtschaft rückte er zuletzt
       auch als Reporter der taz-nord-Redaktion auf den Leib, und zwar mit
       Vergnügen. Das Vergnügen war auch auf Seiten der Leser. Immer wieder hörte
       man jemand sagen, er lese den Regionalteil wegen Michaels Beiträgen.
       
       Michael Quasthoff wollte niemandem auf den Geist gehen, der einen hat.
       Gerade er, der mit so vielen Pfunden hätte wuchern können, machte kein
       Aufhebens von seiner Kunst und seinen Stücken. Nein, nein, erwiderte er,
       wenn man seine Zurückhaltung als übertriebene Bescheidenheit tadelte. Nein,
       er sei keineswegs bescheiden. Er mache halt sein Ding. Bloß verstehe er
       sich gar nicht als Künstler, er kenne nichts, was er dringlich und
       notwendig erschaffen müsse, aber manches bringe halt Spaß. Spaß brachte es
       nicht nur ihm, sondern allen, die Augen, Ohren und Hirn besitzen, um seine
       ebenso intimen wie ironischen Chansons zu goutieren, seine raffinierten
       Kompositionen, seine gewichtigen Bücher über Bruder Thomas, den berühmten
       Bariton, oder über die Ballade und nicht zuletzt die Shortstorys, Parodien,
       Polemiken, die er auf der Wahrheit-Seite veröffentlicht hat. Hier bewies
       Michael, dass er, wenns sein musste, kräftig austeilen konnte, etwa in der
       grandiosen Serie "Heruntergekommene Berufe", aus der auch sein letzter
       Beitrag für die Wahrheit stammt ("Die Quarkkneter", taz vom 12. 7. 2010).
       
       Selbst wenn er grimmig wurde, ging Michael einem guten Witz nie aus dem
       Weg. Er hatte es weniger mit dem Niedermachen als mit dem Niederlachen. Wer
       ihn je vor Publikum lesen hörte, der konnte sehen, wie sehr er es genoss,
       die Leute zu erheitern und manchmal, mitgerissen von der Stimmung im Saal,
       mit ihnen zu kichern. Noch lieber hat er über die Scherze anderer gelacht.
       Mit der Fitzoblongshow, der literarisch-musikalischen Nummernrevue, die er
       und Dietrich zur Nedden seit 1993 an wechselnden Spielstätten in Hannover
       veranstalteten, wurde ein veritables Forum für komische, skurrile,
       eigenwillige Künstler jeden Genres etabliert. Wer dort eingeladen wurde,
       durfte sich freuen über die Warmherzigkeit und aufrichtige Bewunderung, die
       Michael ihm schenkte.
       
       Eines der selbstredend ironischen Motti der Fitzoblongshow, inspiriert von
       einer Sentenz Herbert Achternbuschs, lautet: "Diese Stadt hat uns kaputt
       gemacht, und wir bleiben so lange, bis man ihr das anmerkt." Michael
       Quasthoff blieb so lange, dass man nicht nur dieser Stadt, sondern
       zahllosen Freunden aus allen Himmelsrichtungen, Kollegen, Lesern und Hörern
       anmerkt, wie sehr er nun fehlt.
       
       In einer Serie hinreißender Haiku-Parodien dichtete Michael: "Wenn ich mal
       tot bin / Bitte schreibt auf den Grabstein / ,Bin gleich wieder da'." Bis
       gleich also, Micha - wann immer das wo immer auch sein wird!
       
       12 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kay Sokolowsky
   DIR Dietrich zur Nedden
       
       ## TAGS
       
   DIR Avantgarde
       
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       1993 gründeten Michael Quasthoff und Dietrich zur Nedden in Hannover die
       Fitzoblongshow und waren mit dem Format vorne mit dabei. Nun fällt der
       letzte Vorhang.