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       # taz.de -- Opposition fordert Untersuchungsausschuss: Schlagabtausch nach Mord in Lodz
       
       > Nach der Erstürmung eines Büros seiner Partei und einem Toten erhebt
       > Jaroslaw Kaczynski, Chef der polnischen Nationalkonservativen, schwere
       > Vorwürfe.
       
   IMG Bild: Nach der Attacke: Polizisten vor dem Parteibüro in Lodz.
       
       WARSCHAU taz | "Mord aus Hass", "Der erste Mord im polnisch-polnischen
       Krieg" und "Mörderische Hassspirale" titelten gestern Polens Zeitungen.
       Tags zuvor war ein Mann in das Lodzer Büro der nationalkonservativen Partei
       "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) gestürmt, hatte den Assistenten eines
       EU-Abgeordneten erschossen und dabei gebrüllt: "Ich werde Kaczynski töten!"
       Danach stach er mit dem Messer auf einen zweiten Mann ein.
       
       Die Polizei war sofort zur Stelle, auch das polnische Fernsehen. Bei seiner
       Verhaftung sagte der 62-jährige Mörder wie auswendig gelernt in die
       Kameras: "Ich wollte Kaczynski töten, aber meine Waffe war zu klein. Ich
       bin ein Gegner der PiS und wollte Kaczynski ermorden."
       
       Obwohl alles darauf hindeutet, dass der Taxifahrer aus dem südpolnischen
       Tschenstochau kein politischer Attentäter ist, forderte gestern Jaroslaw
       Kaczynski, PiS-Chef und ehemaliger Premier Polens, die Einrichtung eines
       parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
       
       "Man darf den Mord nicht auf den Wahnsinn des Täters zurückführen", so
       Kaczynski. Vielmehr müssen auch andere Hypothesen geprüft werden wie der
       Versuch, die Opposition einzuschüchtern." An der Spitze der Kommission
       müsse ein PiS-Abgeordneter stehen, da seine Partei "Zweifel" habe, was die
       Arbeit der Polizei und deren Willen zur Aufklärung der Tat angehe.
       
       Bereits am Dienstag, direkt nach dem Verbrechen, erklärte Kaczynski vor der
       Presse: "Was geschah, ist ein Ergebnis der großen Hasskampagne, die seit
       langem gegen die PiS geführt wird." Ab sofort trage die Regierung die
       "Verantwortung für die Sicherheit der PiS-Büros und ihrer Angestellten in
       ganz Polen". Bei den Kommunalwahlen im November kämpfe seine Partei für
       eine "normale politische Ordnung, ohne den Wahnsinn, den wir seit Jahren im
       Zusammenhang mit der PO-Regierung beobachten".
       
       Premier Tusk ging auf die erneute Attacke seines Amtsvorgängers gegen ihn
       nicht ein. Der Mord in Lodz sei der erste politisch motivierte Anschlag im
       freien Polen. Er mahnte: "Wir alle müssen unsere Emotionen im Griff
       behalten." Die Hitze des politischen Streits solle auf Normalmaß reduziert
       werden - jetzt sei die letzte Möglichkeit dazu.
       
       Die Spirale aus Missgunst, Hass, Selbstgerechtigkeit und Arroganz dreht
       sich seit 2005, als die Kaczynski-Brüder die Macht im Land übernahmen. Die
       beiden wollten mit einer "moralischen Revolution" die seit 1989 bestehende
       Ordnung in Polen stürzen und eine "IV. Republik" errichten, in der nur noch
       "Recht und Gerechtigkeit" herrschen sollten. Sie säuberten die staatlichen
       oder halbstaatlichen Medien von Oppositionellen und begannen eine
       unbarmherzige Hetzjagd auf tatsächliche oder angebliche Kommunisten,
       Verbrecher und Andersdenkende.
       
       Nach dem Absturz der Präsidentenmaschine im April dieses Jahres trat
       Jaroslaw Kaczynski bei den Wahlen an. Er trat mit der Maske des Geläuterten
       auf und kam in die Stichwahl. Doch dann verlor er die Präsidentenwahl gegen
       den PO-Politiker Bronislaw Komorowski. Bis heute weigert sich Kaczynski,
       das Ergebnis anzuerkennen. Schuld an der Flugzeugkatastrophe sei die
       "verbrecherische Politik" der von Tusk geführten Regierung. Sie trage die
       "moralische und politische Verantwortung" für das Unglück, bei dem 96
       Menschen starben.
       
       20 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
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