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       # taz.de -- Verhandlung beim Europäischen Patentamt: "Es darf nicht nur um Technik gehen"
       
       > Großkonzerne wollten mit Patenten auf Pflanzen und Tiere die Kontrolle
       > über unsere Ernährung erlangen, sagt der SPD-Abgeordnete Matthias
       > Miersch.
       
   IMG Bild: Patentierung zulässig? Getreide der Sorte Triticale, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen, auf einem Feld in Nordrhein-Westfalen.
       
       taz.de: Herr Miersch, das Europäische Patentamt verhandelt am Dienstag
       darüber, ob weiter auch ohne Genmanipulation gezüchtete Pflanzen patentiert
       werden dürfen. Mit welcher Entscheidung rechnen Sie? 
       
       Matthias Miersch: Die Entwicklung der Patenterteilung durch die Behörde
       geht aktuell leider in eine negative Richtung. So hat das Patentamt vor
       einiger Zeit zum Beispiel ein Patent auf Sonnenblumen erteilt. Im aktuellen
       Fall sind sogar das Verfahren konventioneller Züchtung, alle daraus
       resultierenden Pflanzen, die Samen und die essbaren Teile betroffen. Ich
       halte alle diese Punkte nicht für vereinbar mit dem EU-Recht und hoffe,
       dass die Große Beschwerdekammer des Patentamts das auch so sieht.
       
       Was ist an Patenten auf Pflanzen so schlimm? 
       
       Das Patentrecht wird dazu missbraucht, den elementaren Bereich der
       Ernährung in die Hände weniger Großkonzerne zu legen. Und wenn die im
       Besitz zum Beispiel von Züchtungsverfahren sind, dann haben sie die Quelle
       der Ernährung unter Kontrolle. Dann können sie allein entscheiden, wer -
       natürlich nur gegen Geld - auf diese Verfahren zurückgreifen darf. Das kann
       katastrophale Folgen für die Landwirtschaft haben.
       
       Und für den Verbraucher? 
       
       Solche Patente beeinträchtigen die Vielfalt des Lebensmittelangebots.
       Schließlich darf man nicht mehr alles züchten. Natürlich entsteht durch die
       Monopolisierung der Saatgutproduktion auch eine Preistreiberei.
       
       Wir führen nur Gesetze aus, sagt das Patentamt. 
       
       Gesetze sind immer auslegungsfähig. Das Europäische Patentamt finanziert
       sich vor allem durch Gebühren für die Patenterteilung. Das heißt: Die
       Neigung, kritisch an das Patentproblem heranzugehen, ist in der Behörde
       offenkundig nicht ganz ausgeprägt.
       
       Was muss die Politik tun? 
       
       Wir dürfen nicht darauf warten, bis das Europäische Patentamt die
       Rechtsentwicklung in eine Richtung ausgelegt hat, die der Gesetzgeber eben
       nicht wollte. Stattdessen müssen wir jetzt die Gesetze so präzisieren, dass
       diese Form der Auslegung nicht mehr möglich ist.
       
       Wie müssten die Gesetze geändert werden? 
       
       Das nationale Patentrecht sollte auch bio- und sozialethische Aspekte
       berücksichtigen. Es darf nicht nur um Technik gehen, wenn ein Patent
       erteilt wird. Deutschland muss auch eine Führungsrolle übernehmen, um das
       Europäische Patentrecht zu ändern. Da muss ganz klar verboten werden,
       klassische Züchtungsverfahren zu patentieren. Auch Pflanzen und Tiere
       dürfen nicht patentiert werden. Bisher sind nur Patente auf Pflanzensorten
       und Tierrassen verboten, sodass sich ganze Baumgruppen, ganze
       Sonnenblumenarten doch patentieren lassen.
       
       Reicht das? 
       
       Das Europäische Patentamt muss durch Steuern finanziert werden, damit es
       unabhängiger von den Patentantragsteller wird. Und wir brauchen ein
       Prozesskostenhilfesystem für Verbraucher und Verbände, weil die
       Einspruchsverfahren gegen Patente sehr teuer sind. Außerdem müssen die
       Patente künftig von unabhängigen Richtern überprüft werden und nicht von
       Kammern des Patentamts selbst.
       
       Wie wollen Sie das als Oppositionspartei durchsetzen? 
       
       Zu entsprechenden Anträgen von uns und den Grünen haben alle
       Bundestagsfraktionen Wohlwollen signalisiert. Wir haben deshalb mit den
       anderen verabredet, noch in der Sommerpause zu einer gemeinsamen
       Beschlussfassung zu kommen.
       
       20 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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