URI: 
       # taz.de -- Tumulte bei Schönfließ-Urteilsspruch: Polizist zu Bewährungsstrafe verurteilt
       
       > Ein Berliner Polizist ist wegen der tödlichen Schüsse auf einen
       > Kleinkriminellen im brandenburgischen Schönfließ zu zwei Jahren auf
       > Bewährung wegen Totschlag verurteilt worden.
       
   IMG Bild: Kriminalbeamte stehen in Schönfließ bei Berlin neben dem Auto, in dem am Silvesterabend 2009 ein gesuchter Straftäter erschossen wurde.
       
       NEURUPPIN dpa | Ein Berliner Kriminalpolizist ist wegen eines tödlichen
       Schusses auf einen Kleinkriminellen zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung
       verurteilt worden. Das Landgericht Neuruppin sah den Vorwurf des Totschlags
       in einem minderschweren Fall als erwiesen an. Der Kommissar habe mit
       bedingtem Tötungswillen und nicht in Notwehr gehandelt, sagte der Richter
       am Samstag. Zwei weitere Polizisten, die bei der gescheiterten Festnahme
       mit tödlichem Ausgang dabei waren, wurden wegen falscher Aussagen und
       versuchter Strafvereitelung im Amt zu Geldstrafen von 10 800 und 8400 Euro
       verurteilt. Die Verteidiger kündigten Revision beim Bundesgerichtshof an.
       
       Der Kommissar, der jetzt entlassen werden muss, hatte den gesuchten Mann am
       Silvesterabend 2008 im brandenburgischen Schönfließ aus nächster Nähe durch
       die Seitenscheibe eines Autos erschossen. Die Urteilsverkündung wurde von
       Tumulten, Protesten und "Mörder"-Rufen von Freunden des Getöteten aus
       Berlin-Neukölln begleitet.
       
       Richter Gert Wegner folgte nicht der "Hinrichtungstheorie" der Nebenklage.
       Der Kommissar habe den Kleinkriminellen nicht mit Vorsatz in einem
       stehenden Auto töten wollen. Er habe durch den Schuss aus 1,50 bis 3 Metern
       Entfernung auf den Oberkörper des Mannes in dem langsam fahrenden Jaguar
       aber in Kauf genommen, ihn zu töten. "Der Schuss war extrem
       lebensgefährlich."
       
       In der brenzligen Situation, die bei der versuchten Festnahme durch den
       Fluchtversuch des Gesuchten mit dem Auto entstand, habe der Polizist ihn
       "auf der Stelle" stoppen wollen, "koste es auch sein Leben". Diesen
       Entschluss habe er in "Sekundenbruchteilen gefasst und umgesetzt". Die
       Motivation des Polizisten zur Festnahme sei "von einem bedingten
       Tötungswunsch überlagert" gewesen.
       
       Der Schütze habe nicht aus Notwehr gehandelt, weil das Auto nicht auf ihn
       zufuhr. Auch der neben dem Auto gestürzte Kollege sei bei der Abgabe des
       Schusses nicht akut in Gefahr gewesen. Schüsse nur zur Verhinderung der
       Flucht seien in diesem Fall - bei einem unbewaffneten Kleinkriminellen -
       nach dem brandenburgischen Polizeigesetz nicht erlaubt.
       
       Die beiden anderen Polizisten, die als Zeugen nicht viel gesehen oder
       gehört haben wollten, logen laut Urteil, um ihren Kollegen zu decken.
       "Dieses vorgegaukelte Teilwissen ist einfach nicht glaubhaft", sagte der
       Richter. Die extrem lauten Knallgeräusche einer Pistole in nächster Nähe
       seien besonders für Polizisten "eindeutig als solche erkennbar". Alle
       anderen Ereignisse, etwa die Fahrbewegung des Autos, hätten die Polizisten
       übereinstimmend und den Spuren entsprechen richtig beschrieben. "Nur bei
       den belastenden Dingen fehlten Ihnen angeblich die Wahrnehmungen." Der
       Richter sagte, es gebe eine "natürliche Hemmschwelle", Kollegen, die in
       Gefahr überreagierten, zu belasten.
       
       Zu Gunsten des Hauptangeklagten sah das Gericht bei der Strafzumessung
       einen "erheblichen Stress", den der gesuchte und unter Kokain stehende
       Kriminelle durch seinen Fluchtversuch verursacht habe. Bestraft sei der
       Kommissar auch, weil er seinen Beruf als Polizist verlieren werde und
       "seine Lebensperspektive zerstört" sei, sagte Wegner.
       
       Die Anklage hatte für den Hauptangeklagten drei Jahre und sechs Monate
       Gefängnisstrafe gefordert. Die Verteidigung hatte auf Freispruch wegen
       Notwehr plädiert und auch für die anderen beiden Polizisten einen
       Freispruch verlangt. Der ganze Prozess sei besonders durch die sich
       widersprechenden Zeugen schwierig gewesen, hatte der Richter vor der
       Urteilsverkündung festgestellt.
       
       4 Jul 2010
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Urteil im Polizeischuss-Prozess: Eine Chance für die Polizei
       
       Die Polizei kann nun mit Fug und Recht behaupten, dass auch ihre
       Mitarbeiter für ihre Taten geradestehen müssen. Und nur so kann sie das
       notwendige Vortrauen der Bürger gewinnen.
       
   DIR Prozess gegen Todesschützen: Berliner Polizei im Visier
       
       Im Prozess gegen den Todesschützen von Schönfließ beklagt der Staatsanwalt
       den "berühmten Korpsgeist der Berliner Polizei". Verteidiger wollen
       Freispruch.
       
   DIR Prozess um tödliche Polizeischüsse: Ein Superbulle namens Rotti
       
       Der Zivilfahnder Reinhard R. steht vor Gericht, weil er einen Kriminellen
       erschossen hat. Intern gilt er als leistungsstark, sein kalter Blick
       beeindruckt die Freunde des Getöteten.
       
   DIR Prozess um tödliche Polizeischüsse: Die Rätsel von Schönfließ
       
       Im Prozess um die Todesschüsse sorgen Gutachten kaum für Klarheit. Chemiker
       sagt: Schuss kam aus nächster Nähe. Waffenexperte meint: Schuss war aus
       jeder Position möglich.
       
   DIR Schüsse an Sylvester: Gutachten entlastet Polizisten
       
       Gutachten im Fall des Schönfließer Sylvesterschützen: Der Polizist könnte
       in Notwehr geschossen haben. Doch für den Nebenklagevertreter ist das ein
       "reines Spekulationsgutachten".