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       # taz.de -- Pflegefälle in der Familie: Zwei Stunden Würde für 8.000 Euro
       
       > Der Film "Wohin mit Vater?" beleuchtet, was mit einer Familie geschieht,
       > wenn ein wichtiger Mensch zu einem Pflegefall wird. Und es ist grandios
       > gelungen
       
   IMG Bild: Thomas (Hans-Jochen Wagner, r.) findet seinen Vater auf dem Boden liegend. Michael (Dieter Mann, l.) kann kaum laufen, verweigert allerdings jegliche Hilfe.
       
       Mit auf Sachbüchern basierenden Spielfilmen ist das so eine Sache. Allzu
       oft bewirkt die dramaturgische Aufbereitung das Gegenteil des Gewollten,
       gerät die Fiktion pädagogischer, als die nüchternste Dokumentation es sein
       könnte. Die Figuren agieren chargenhaft, weil sie prototypisch angelegt
       sind. Gerade das verhindert jegliche Einfühlung. Belehrung statt
       Emotionalisierung.
       
       Das ist die große Gefahr, auf die hier nur hingewiesen sei, um das Risiko
       aufzuzeigen, dem sich Laila Stieler und Tim Trageser ausgesetzt haben. Die
       Drehbuchautorin und der Regisseur haben sich das viel beachtete
       Pflegenotstand-Selbsterfahrungsbuch eines anonymen Verfassers vorgenommen,
       um daraus einen ZDF-"Fernsehfilm der Woche" zu machen. Es ist ihnen -
       überraschenderweise - grandios gelungen.
       
       Nichts wirkt konstruiert, wenn plötzlich die Mutter stirbt, von der es
       niemand erwartet hat, die noch so fit war, sich um den gebrechlichen Vater
       gekümmert hat, der auf sie angewiesen war.
       
       Was Mutter leisten musste, merken der Sohn und die Tochter, beide erwachsen
       und lange aus dem Haus, erst jetzt, sie sind hoffnungslos überfordert.
       Vaters Toilettengang etwa, eine qualvolle Prozedur, für alle. Die Nerven
       liegen blank, zum Trauern um Mutter bleibt gar keine Zeit.
       
       Was tun, wohin mit Vater? Pflegedienst, Rundumbetreuung: "Für 8.000 Euro im
       Monat kommen sie länger als zwei Stunden am Tag." Pflegeheim,
       Zweibettzimmer: "In der Pflegeabteilung kostet ein Platz 3.400 Euro im
       Monat, Extras wie Getränke, Friseur und so weiter natürlich ausgenommen."
       Verlust der Würde, teuer bezahlt. Die Tochter könnte zu Vater ziehen: "Das
       kannst du nicht!" / "Stimmt, ich kanns nicht. Aber ich kanns auch nicht
       nicht." Ohnmacht und Gewissenskonflikte. Vorwürfe und Selbstvorwürfe.
       
       Wer persönlich betroffen ist, dem muss der Pragmatismus der
       Pflegedienstleister kalt vorkommen: "Unsere Eltern werden alt und sterben,
       war von Anfang an klar. Wir sind hier nicht bei ,Wünsch Dir was', wir sind
       hier bei ,So isses'."
       
       Der das sagt, ist dabei kein bisschen zynisch. Das ist eine der Qualitäten
       des Films. Es gibt keine sadistische Heimleiterin und keine Kinder, die nur
       auf das Erbe scharf sind. Niemand ist hier böse; böse sind nur die
       Umstände, das Leben. Die Zeiten, in denen mehrere Generationen an einem Ort
       unter einem Dach zusammengelebt und einander umsorgt haben, sind vorbei. So
       isses - und so wird es bleiben. Da gibt es keine Lösung, keine, die fair
       wäre. Irgendeiner bleibt auf der Strecke, muss sein bisheriges Leben
       aufgeben, auf unbestimmte Zeit. So kommt es auch hier, Vater, Sohn und
       Tochter lösen am Ende ihr individuelles, nicht aber das gesellschaftliche
       Dilemma. Gut so, für den Film.
       
       Erst jetzt, nach einer Woche, die ihm vorkam wie ein Jahr, kann der Sohn um
       die tote Mutter trauern, um sie weinen. Gespielt wird er von Hans-Jochen
       Wagner, der unter ausnahmslos guten Darstellern (Anna Loos, Dieter Mann)
       der beste ist. Ein Typ wie ein Kleiderschrank, wird er regelmäßig für die
       besonders sensiblen Männerrollen besetzt; seine erste Filmhauptrolle hatte
       er 2003 in "Sie haben Knut" von Stefan Krohmer (Regie) und Daniel Nocke
       (Buch). Genau dieses Duo dreht in diesen Tagen einen Film mit dem Titel
       "Die fremde Familie". Es geht darum, wie Tochter (Katja Riemann) und Sohn
       damit umgehen, dass der Vater plötzlich zum Pflegefall wird … ("Wohin mit
       Vater?", Mo. 20.15 Uhr, ZDF)
       
       28 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
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