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       # taz.de -- Neues "Die Sterne"-Album: Unverschämtes Gegroove
       
       > Die Sterne sind mit ihrem neuen Album "24/7" beim Disko angekommen. Und
       > machen immer noch das, worauf sie Lust haben: tanzen und kritisieren.
       
   IMG Bild: Grooven noch immer: Die Sterne.
       
       Die Sterne machen jetzt in Disko. Gitarren sind fast vollständig aus dem
       Klangbild verschwunden, die Hooklines kommen aus dem Synthesizer, und Frank
       Spilker hat viel Hall auf sein Gesangsmikro gelegt. Elektronische Beats und
       repetitive Bässe besorgen das Fundament.
       
       Das neue Werk, "24/7", ist eine Zäsur für die Hamburger Indieband. Schon im
       vergangenen Oktober kündigte eine auf dem Münchner Elektrolabel Gomma
       veröffentlichte Sterne-EP mit dem programmatischen Titel "Der Riss" dies
       an.
       
       Frank Spilker schrieb aus diesem Anlass, die Grenzen zwischen Bühne und
       DJ-Pult seien verschwunden. Den neuen Sterne-Songs hört man in der Tat kaum
       an, ob sie am Laptop oder im Proberaum entstanden sind. Großen Anteil daran
       hat Matthias Modica alias Munk. Der Münchner DJ und Produzent, der das
       Neo-Disco-Label "Gomma" gründete, kommt aus der Clubkultur, die sich vom
       Umfeld der Hamburger Schule unterscheidet.
       
       Hier das protestantische Hamburg mit seinem deutschsprachigen und
       unbequemen Indie-Rock, dort das katholische München mit glamouröser
       internationaler Diskogeschichte. Munk schafft es auch auf "24/7", diese
       beiden Pole zusammenzuführen.
       
       Und so herrscht einerseits ein fast schon unverschämter Groove,
       andererseits ragen Spilkers sozial-, gesellschafts- und zeitgeistkritische
       Texte daraus hervor. Dass sich Tanzen und Inhalte für Die Sterne nicht
       ausschließen, ist bekannt. Schon ihre Debütsingle "Fickt das System" (1992)
       war von Funk beeinflusst und groovte mit Sixties-Orgel ordentlich vor sich
       hin. Heute ist der Groove ein anderer, und Frank Spilker singt nur noch
       Satzfetzen, die er in eine Art Endlosschleife gelegt hat. Spilkers Texte
       verhandeln die Probleme des Individuums in einer neoliberalen,
       kapitalistischen Welt, in der Menschen zu nichts taugen, außer Arbeitskraft
       zu sein und Leistung abzuliefern.
       
       Dabei entstehen dann Zeilen wie "Es liegen tausend Leichen in der Stadt der
       Reichen" oder "Auch wenn du ein Arschloch bist, wir haben für dich auf -
       24/7". Die Musik ist tanzbar, die Texte sind bissig und sehr relevant.
       
       Aber vielleicht ist genau das ein wunder Punkt bei den Sternen, die
       Relevanz. Dass ihre letzten beiden Alben, "Das Weltall ist zu weit" (2004)
       und "Räuber und Gedärm" (2006), nicht an die Erfolge früherer Zeiten
       anschließen konnten, sorgte dafür, dass die Band es sich gefallen lassen
       musste, in der öffentlichen Wahrnehmung zum Geheimtipp zurückgestuft zu
       werden. Zu Unrecht. Während die Sterne bei der Jägermeister Rockliga
       mitspielten, was ihnen Klassenkeile einbrachte - aber weiß Gott: mit
       Indiemusik verdient heute keiner mehr -, wurden andere Hamburger
       Schulkollegen, allen voran Tocotronic, immer kommerzieller.
       
       2010 klingt es fast so, als seien die neue Platte und der neue Sound der
       Sterne eine Reaktion auf die Angst vor der eigenen Irrelevanz. Vergleicht
       man "24/7" mit "Schall und Wahn" von Tocotronic, einem mit viel Getöse
       veröffentlichten und von der Kritik fast ausschließlich abgefeierten
       Gitarrenalbum, mag die Wiedergeburt in einem neuen Sound in der Tat wie ein
       bemühter Versuch aussehen, doch endlich wieder in größerem Umfang als
       Stimme in der deutschen Musikszene wahrgenommen zu werden.
       
       Doch wer die Sterne auf "24/7" als dem Zeitgeist hinterherhechelnde
       Möchtegernhipster mittleren Alters sieht, liegt falsch. Im Gegensatz zu
       Tocotronic haben sie sich nie groß um Inszenierung gekümmert. Eher erwecken
       sie den Eindruck, dass sie nur noch das tun, worauf sie Lust haben. Und
       offensichtlich haben die Sterne Lust zu tanzen und zu kritisieren. Das ist
       mit "24/7" beeindruckend gelungen.
       
       5 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Hamburg
       
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