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       # taz.de -- Debatte Feminismus und Islam: Der ewig reizbare Mann
       
       > Dass Frauen sexy sein dürfen, ist ein feministisches Grundanliegen. Mit
       > Chauvinismus hat das nichts zu tun.
       
   IMG Bild: Die Debatte, ob Vergewaltigung ein "minder schweres" Verbrechen sei, wenn das Opfer einen Minirock trug und so den Täter "reizte", liegt hierzulande erst einige Jahre zurück.
       
       Eine Mehrzahl der Abstimmenden hat eine Vorlage der fremdenfeindlichen,
       bibeltreuen, homophoben Eidgenössischen Demokratischen Union passieren
       lassen, wonach in der Schweiz der Bau von Minaretten verboten wird. Das
       Ergebnis zeigt, dass die Rechten absahnen, wenn diffuse Ängste vor
       "Überfremdung" nicht im offenen und freien Diskurs bearbeitet werden.
       
       Angeblich haben viele Frauen, ja sogar Feministinnen dem Minarettverbot
       zugestimmt. Heißt das, dass diese Stimmbürgerinnen rechtsextrem sind? Ja,
       sagen Ursula Müller und Birgit Rommelspacher in der taz, viele
       Feministinnen seien dank ihres "Feindbilds Islam" von Rechten nicht mehr zu
       unterscheiden.
       
       Kann es aber sein, wie u. a. Helke Sander vermutet, dass diese Frauen einem
       Unbehagen Ausdruck verliehen haben, für das sie in ihrem "angestammten"
       linken oder liberalen Milieu kein Ventil mehr zu haben glauben? Kann es
       sein, dass es ihnen nicht um Minarette ging, sondern um Kopftücher? Angst
       und Unbehagen zu spüren über die Ausbreitung bestimmter mit dem Islam
       begründeter Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis, über
       Bekleidungsvorschriften und Sexualmoral ist aus feministischer Sicht
       absolut legitim. Sich deshalb an Rechtsextreme anzulehnen aber dumm und
       gefährlich. Dumm und gefährlich ist es jedoch auch, derartiges Unbehagen
       als Ausdruck rechtsextremer, ja faschistischer Gesinnung zu werten. Auch
       hier kann die Alternative nur lauten: freie und offene Diskussion.
       
       Birgit Rommelspacher fordert zu Recht "einen nüchternen Blick auf
       möglicherweise produktive wie problematische Aspekte" der "kulturellen
       Differenz" (taz, 18. 1. 2010). Selber unterzieht sie sich dieser Mühe
       nicht, bewertet stattdessen feministische Kritik am Islam als Ausdruck
       eurozentristischer Dominanzkultur. Frauen, gar Feministinnen haben aber
       triftige Gründe, bestimmten Traditionen, die von ihren Befürwortern
       religiös begründet werden, entschieden entgegenzutreten. Am Kopftuch
       scheiden sich die Geister. Ob bei dieser Bekleidungsvorschrift für Frauen
       ein "Wandel durch Annäherung" zu Verständnis und Akzeptanz führt und vor
       allem: ob das wünschenswert ist, ist eine andere Frage.
       
       Es ist auch unter Musliminnen und Muslimen umstritten, ob die Vorschrift,
       Kopftuch oder weitere Verhüllungen zu tragen, tatsächlich religiöses, im
       Koran festgelegtes Gebot ist. Eine patriarchale, die persönliche,
       körperliche Freiheit von Frauen beschränkende Tradition ist es in jedem
       Fall. Auch wenn es inzwischen Kopftücher für Fußballerinnen und "Burkinis"
       für Schwimmerinnen gibt. Die Bedeckungen signalisieren, dass es ein Problem
       mit weiblichen Körpern gibt. Um welches Problem es sich handelt, wird meist
       schamhaft und mit Verweis auf die religiöse Vorschrift verschwiegen.
       
       Tatsächlich geht es um bestimmte Vorstellungen von Sexualität. Weibliches
       Haupthaar, vor allem langes, gilt in wohl jedem Kulturkreis als mehr oder
       weniger starkes Sexsymbol. Ob andere Teile des Frauenkörpers ebenfalls
       "problematisch" sind, bleibt selbst unter orthodoxen Koran-Interpreten
       umstritten. Aber warum darf man sich nach strenggläubig islamischem
       Verständnis als Frau in der Öffentlichkeit nicht "sexy" zeigen? Weil
       weibliche Reize unerwünschte männliche Reaktionen hervorrufen.
       
       Dahinter steckt die Vorstellung, der Mann habe seine sexuellen Impulse
       nicht unter Kontrolle, sobald er entsprechend "gereizt" wird. Die Frau darf
       sich dann über nichts mehr wundern oder beklagen. Folgt man dieser
       Vorstellung, ist das Verhüllungsgebot für Frauen ein Selbstschutz. Dazu
       passen Äußerungen von Kopftuchträgerinnen, wonach sie so ihre "Blöße"
       bedecken und ihre "Aura" schützen. Für den Mann bedeutet die Verhüllung des
       Frauenkörpers ebenfalls Selbstschutz: Als potenzieller Sextäter kommt er
       nicht in Versuchung, ein Verbrechen zu begehen; als Vater, Bruder oder
       Ehemann schützt er seine "Ehre", solange die Tochter, Schwester oder
       Ehefrau keinen sexuellen Übergriff befürchten muss.
       
       Durch Entblößung des Haupthaars würde sie einen solchen Gewaltakt
       provozieren, vielleicht sogar "einverständlich". Denn wenn sie sich schon
       wie eine "Schlampe" kleidet, ist sie auch eine. "Die Ehre der Männer liegt
       zwischen den Beinen der Frauen", hat eine Kommentatorin anlässlich eines
       "Ehrenmords" den Sachverhalt auf den Punkt gebracht.
       
       Kommt uns irgendwie bekannt vor. Denn die Debatte, ob Vergewaltigung nicht
       doch ein "minder schweres" Verbrechen sei, wenn nämlich das Opfer einen
       Minirock trug und so den Täter "reizte", liegt hierzulande erst einige
       Jahre zurück. Inzwischen hat es sich, zumindest bei Polizei und Justiz,
       herumgesprochen, dass sexualisierte Gewalt nichts mit einem "natürlichen"
       Reiz-Reaktions-Schema zu tun hat, sondern Männern dazu dient, Frauen (oder
       auch andere Männer) zu unterwerfen und zu demütigen.
       
       Die Frauenbewegung hat lange auf ein egalitäres Verhältnis der Geschlechter
       hingearbeitet, nicht nur im Beruf und in der Politik, auch im "intimen"
       Bereich von Familie und Sexualität. Das Geschlechterverhältnis aus seiner
       Machtverstrickung zu lösen ist erst ansatzweise gelungen. Der Wunsch, nicht
       dahinter zurückzufallen, erklärt die Leidenschaft, mit der die meisten
       Feministinnen islamisch begründete Vorstellungen über Frauenkörper und
       Sexualmoral kritisieren und ablehnen. In vielen Weltgegenden ist die in
       Europa oft zitierte Freiwilligkeit, mit der sich Frauen den religiösen
       Geboten angeblich fügen, nicht vorhanden. Die Tücher werden den Frauen im
       Zweifelsfall auch schon mal an die Köpfe genagelt.
       
       Die Vehemenz, mit der andererseits Kritik an und Ablehnung von
       Bekleidungsvorschriften und repressiver Sexualmoral als Ausdruck dumpfer
       Fremdenfeindlichkeit abqualifiziert wird, lässt sich meines Erachtens nur
       mit einem wahrscheinlich unbewussten Schuldkomplex erklären: Weil die
       eigene Eltern- und Großelterngeneration dazu beitrug, alles Fremde und
       "Undeutsche" per Massenmord zu beseitigen, fordern einige Enkelinnen nun
       Verständnis, Toleranz und kritiklose Akzeptanz jedweder kulturellen
       Tradition, solange sie nur von ansonsten unterprivilegierten Minderheiten
       reklamiert wird.
       
       23 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudia Pinl
       
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