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       # taz.de -- Kansas: Kultlos glücklich
       
       > Eine schrecklich nette Kuh-Familie: Auf ihrer Ranch leben die Moores als
       > wahre Cowboys.
       
   IMG Bild: Einsam und abseits des Cattle Drive in Kansas
       
       Es gibt keinen Schlüssel. Innen steckt er nicht, auch außen nicht. Die
       einfachen Holzhütten, die die Unterkunft darstellen, können nicht
       abgeschlossen werden. Gibt es denn weit und breit keine Langfinger, die
       angesichts der Technik-Entourage aus Laptops, Kameras und Telefonen nervös
       zucken? „Nicht nötig“, sagt Rancherin Nancy Moore. Wir hätten es ahnen
       müssen. Schon das Navi unseres Mietwagens, dem wir die letzten 20 Meilen
       eine trockene Schotterpiste antun mussten, hatte die karierte Zielflagge
       auf dem Display in ein weißes Nichts gepflanzt. Das letzte Verkehrsschild
       warnte: „Dead End“. Wir sind „in the middle of nowhere“ angekommen. Keine
       Straßen, keine Menschen, kein Fernseher, kein Handyempfang. Aber es wurde
       ein Versprechen gegeben: Auf der Working-Ranch der Moores erlebt ihr das
       wahre Leben der Cowboys.
       
       Mit der Authentizität ist das so eine Sache. Wird sie bemüht, zerbröselt
       sie. Doch auf der Ranch scheinen manche Regeln und Konventionen außer
       Kraft. „Ich hasse die Stadt“, sagt Nancy (fast 80 Prozent der US-Bürger
       leben in Städten). Ginge es nach ihr, sie würde die Ranch für Monate nicht
       verlassen. Besuch ist für sie eine wirtschaftliche Notwendigkeit: „Ohne das
       Geld der Touristen könnte ich meinen Lebensstil nicht aufrechterhalten. Ich
       müsste einen Job in der Stadt antreten“, sagt sie.
       
       Nancy ist ein Cowgirl. Keines, das sich für Touristen verkleidet,
       kokettiert und dem alten Mythos der Verklärung des Wilden Westens Nahrung
       gibt. Mit ihrem Mann Joe züchtet die spröde Frau in der weiten Prärie der
       Great Plains Texas-Longhorn-Rinder. Glückliche, wie sie betonen. Achtzig
       Prozent des in den USA produzierten Fleischs werde in Form von Hamburgern
       verspeist, und das stamme von unglücklichen Tieren, sagt Joe. Die Rancher
       züchten auch Reitpferde. Sie besitzen etliche Hühner, ein paar Ziegen, drei
       Hunde und eine furchtlose Milchkuh, die auch fremde Hände an ihre Euter
       lässt. Für den Eigenbedarf bauen sie Mais, Tomaten, Auberginen, Salat und
       Gurken an.
       
       Die Moores veranstalten kein Viehhirten-Schauspiel, wie es Gäste auf
       sogenannten „Dude Ranches vorgespielt bekommen, die eigens für Touristen
       hochgezogen werden. Gehabe und Kult sind ihnen fern, die ehrliche Arbeit
       nicht. Sie verzichten auf Smalltalk-Overkill, suchen keinen Blickkontakt
       zur Kameralinse. Und doch sind sie jedes Foto wert in ihren Klüften, mit
       denen sie bereits den Betten zu entsteigen scheinen: Joe begegnet man - sei
       es noch so früh - in Wrangler-Jeans, perlmuttgeknöpftem Hemd und besporten
       Stiefeln. Auch Nancy scheint mit ihrem Outfit verwachsen - taschenlose
       Bundfalten-Jeans, Jeanshemd. Stetsons tragen sie beide, sobald es an die
       Frischluft geht, die in Kansas drückend sein kann. Bei der Arbeit trägt Joe
       Chaps, die ledernen Beinkleider der Cowboys. Der 13-jährige Sohn Laramie
       tut es ihm gleich.
       
       Aus der Nähe ein Milchgesicht, ist Laramie auf dem Pferd ein ganzer Cowboy.
       „Wenn es ans Reiten geht, ist Laramie ein Naturtalent“, sagt Joe über
       seinen Sohn, den Nancy zu Hause unterrichtet. „Auch wenn Bucklin und
       Protection kleine Orte sind, es gibt dort viele Drogen. Außerdem lernt er
       bei Nancy wesentlich mehr als in der Schule“, rechtfertigt Joe die
       eigenbrötlerische Erziehung. Bevor auch die Gäste umständlich in den Sattel
       gelangen, reitet der Pimpf im Galopp zur nächsten Kuppe, um die Lage zu
       sondieren. Heute soll die in der Nähe grasende Herde der Langhörner ins
       Gatter getrieben werden, um sie für den Cattle Drive zu sortieren: Manche
       Kälber und Muttertiere sollen von dem kräfteraubenden Viehtrieb verschont
       bleiben, der in der nächsten Woche ansteht.
       
       Der Cattle Drive, dieser Viehtrieb, ist die ureigenste Arbeit der Cowboys,
       an der die Moores regelmäßig Touristen teilhaben lassen. Wenn das Vieh über
       Meilen von einer abgegrasten Weide auf eine frische getrieben wird, dauert
       dies oft Tage. Geschlafen wird in Tipis wie zu Zeiten der großen Cattle
       Drives in den 1860er- bis 1880er-Jahren. Damals wurden riesige Herden, die
       sich während des Sezessionskrieges stark vergrößert hatten, von Texas gen
       Norden entlang des Chisholm Trail zu den Verladebahnhöfen in Kansas
       getrieben, um die Nachfrage an Beef in anderen Teilen Nordamerikas zu
       befriedigen. Damals florierte das nahe Dodge City als Hauptumschlagplatz.
       Heute ist die Innenstadt verwaist. Nur eine künstlich am Leben gehaltene
       „historische“ Straßenzeile, ein Nachbau der alten Front Street, pulsiert.
       Sie erinnert an die Zeit der Revolverhelden, als Wyatt Earp und Doc
       Holliday ihr Unwesen trieben. Die Fleischproduktion ist noch immer einer
       der wichtigsten Wirtschaftszweige.
       
       Als rollende Anleihe an die alten Zeiten führen die Moores beim Cattle
       Drive einen Chuckwagon für Gerät, Zelte und Verpflegung mit. Es ist eines
       der wenigen Zugeständnisse an verklärte Touristen, denn normalerweise
       benutzen die Moores ihren Pick-up. „Was immer wir machen, für den Gast ist
       es eine echte Cowboy-Erfahrung“, sagt Joe. So gehen er und Nancy schlicht
       ihrem Tagewerk nach und sind dennoch die Animateure. Im Sattel umzingeln
       sie gemeinsam mit ihrem Sohn und einem Freund die Rinderherde. Sie lassen
       eine Lücke, die die Richtung weist. So dirigiert, bewegen sich die
       Wiederkäuer langsam in die angepeilte Richtung.
       
       In der Abenddämmerung kehrt Ruhe ein auf der Moore Ranch. In der Ferne
       ploppt der Motor einer Ölpumpe. Ab und an schnaubt ein Pferd im Stall. Im
       einstöckigen Ranchhouse senken die Moores die Köpfe: „Got bread, got meat,
       good God lets eat.“ Das sei die Cowboy-Version eines Tischgebetes, erklärt
       Joe und lacht laut auf. Die Gäste sitzen am Esstisch der Familie. Nancy hat
       „Sloppy Joe“ zubereitet, eine Art Bolognesesauce, die auf weichen
       Hamburger-Brötchen gegessen wird.
       
       Nach dem Supper treten wir ins Freie. Die Glühwürmchen haben bereits ihren
       abendlichen Tanz begonnen. Nahe dem kleinen Fluss, der sich durch das
       Moore-Land schlängelt, flirren die leuchtenden Punkte zu tausenden umher.
       Verirrt sich einer der illuminierten Käfer in höhere Gefilde, hält man ihn
       für eine Sternschnuppe. Doch bevor der Schwindel auffliegt, stellt man
       fest: Man ist wunschlos glücklich in diesem Cowboy-Universum. Es ziehen
       Wolken auf. Doch der Himmel ist klar. Es sind Sternenwolken.
       
       20 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Robert Weissenborn
       
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   DIR Reiseland USA
       
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