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       # taz.de -- Verfassungsklage: Umweltschützerin wehrt sich gegen Vorbeugehaft
       
       > Robin Wood-Aktivistin Cécile Lecomte klagt in Karlsruhe gegen den
       > Unterbindungsgewahrsam. Lecomte verbrachte beim Castor-Transport nach
       > Gorleben vier Tage vorbeugend im Gefängnis, da sie geringfügige
       > Ordnungswidrigkeiten begehen könnte.
       
   IMG Bild: Musste vier Tage in einer Zelle ohne Fenster verbringen: die Aktivistin Cécile Lecomte.
       
       Der präventive Polizeigewahrsam wegen einer zu erwartenden
       Ordnungswidrigkeit während einer Protestaktion - auch
       "Unterbindungsgewahrsam" genannt - kommt auf den Prüfstand. Die Hamburger
       Rechtsanwältin Ulrike Donat hat für die Robin Wood-Aktivistin Cécile
       Lecomte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen eine entsprechende
       Vorschrift im niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG)
       eingelegt. "Die Eingriffsnormen sind so unbestimmt, dass sie polizeilicher
       Willkür Tür und Tor öffnen."
       
       Die Kletteraktivistin und ehemalige französische Meisterin im
       Sportklettern, die zurzeit aus Protest gegen die Fernwärme-Trasse des im
       Bau befindlichen Kohlekraftwerks Moorburg einen Baum im Gählerspark in
       Hamburg-Altona besetzt hält, hatte am 6. November 2008 mit drei anderen
       Atomkraftgegnern an einer Eisenbahnbrücke über dem Elbe-Seitenkanal bei
       Lüneburg ein Transparent entrollt. Damit wollte sie gegen den
       bevorstehenden Transport von Castorbehältern aus Frankreich mit
       hochradioaktivem Atommüll in das Zwischenlager Gorleben protestieren.
       
       Während von den drei anderen Personen nach der stundenlangen Aktion nur die
       Personalien festgestellt worden sind, brachten Polizeibeamte Cécile Lecomte
       in den Langzeitgewahrsam - erst zur Polizei-Inspektion Lüneburg und dann in
       das Gewahrsamzentrum Braunschweig. Vier Tage lang musste Lecomte in einer
       gekachelten Zelle ohne Fenster verbringen. Der halbstündige Hofgang am Tag
       erfolgte nur in Handschellen.
       
       Die Polizei begründete ihre Maßnahme damit, sie müsse verhindern, dass
       Lecomte in diesen Tagen beim Protestieren gegen die Castor-Transporte
       Ordnungswidrigkeiten durch das Betreten der Gleise begehen könnte. "Vier
       Tage Gewahrsam überschreitet jedes Maß", sagt Anwältin Donat. "Es gibt
       keinen Grund dafür, eine viertägige Haftstrafe zu verhängen."
       
       Donat habe zwar Verständnis dafür, wenn Menschen, die die Gleise betreten
       haben, von Polizisten mit Zwang wegschubst oder in den
       "Verbringungsgewahrsam" gebracht werden, ein so langer
       Unterbindungsgewahrsam komme allerdings einer "Ersatzbestrafung" gleich und
       sei im Gefahrenabwehrrecht unzulässig. "Bestimmte Eingriffe in die
       Freiheitsrechte müssen genau definiert sein", so Donat. Doch diese
       Definierung enthalte das SOG Niedersachsens nicht.
       
       Das Bundesverfassungsgericht müsse nun klären, so Donat, welche Art von
       Verstößen genau eine Langzeit-Ingewahrsamnahme rechtfertigen könnten und ob
       nicht Art und Schwere der zu verhindernden Tat zumindest Auswirkungen
       darauf haben müssten, wie lange die Freiheitsentziehung dauern darf oder
       deshalb der entsprechende Passus im SOG Niedersachsens, - der von
       "erheblichen Ordnungswidrigkeiten" spricht - viel zu ungenau sei. Denn es
       handele es sich beim Betreten von Gleisen um eine geringfügige
       Ordnungswidrigkeit, so Donat, und "wer über den Schienen hängt, begeht
       nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit".
       
       "Häufig reichen schon Prognose-Indizien vom Hörensagen oder Vermutungen von
       Staatsschutzbeamten, um protestierende Bürger in die Gewahrsamszelle zu
       verfrachten," sagt die 28-jährige Lecomte. "Das ist sehr bedenklich." In
       ihrem Fall basierte die der Ingewahrsamnahme zu Grunde liegende
       polizeiliche Gefahrenprognose auf einer ganzen Reihe von Kletter-Aktionen,
       die entweder einem legalen Verhalten entsprachen oder in Ausnahmefällen als
       geringfügige Ordnungswidrigkeiten bestraft worden sind - wie das harmlose
       Beklettern von Bäumen in Lüneburg. "Vorbestraft bin ich nicht", sagt
       Lecomte.
       
       Lecomte sieht solche ungeprüften staatsschutzpolizeilichen Angaben als
       Türöffner für staatliche Willkürakte. "Die besagte Gefahrenprognose ist
       dauerhaft in polizeilichen Dateien gespeichert und wirkt wie ein
       Damoklesschwert auf meine Freiheitsrechte." Gegenstand der
       Verfassungsbeschwerde sind zudem die Haftbedingungen, denen Lecomte damals
       ausgesetzt worden war.
       
       29 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai von Appen
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