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       # taz.de -- Auf Jeepsafari in Gambia: „Du bist zu schnell!“
       
       > Über die Schönheit der westafrikanischen Flusslandschaft, die sozialen
       > und politischen Missstände, das Bier und die schlechten Straßen.
       
   IMG Bild: Dorfstraße im Licht der untergehenden Sonne.
       
       Es gibt Länder, die lassen sich nur schwer mit Bus und Bahn bereisen, und
       es gibt Länder, da mietet man, wenn man weiterkommen will, nicht nur einen
       Jeep, sondern heuert auch jemand an, der die Karre fahren und sie notfalls
       reparieren kann. So zum Beispiel in Gambia, einem der ärmsten Länder der
       Welt. Ob man dorthin überhaupt reisen sollte? Nachdem ich dort war, würde
       ich sagen: Ich weiß es nicht. Woran ich mich noch in ein paar Jahren
       erinnern werde? An die Schönheit der westafrikanischen Flusslandschaft, an
       die sozialen und politischen Missstände, an das Bier. Und an die schlechten
       Straßen.
       
       Zunächst zum Bier. Das seltsame Jul Brew wird in Banjul, der Hauptstadt
       Gambias, unter deutscher Leitung hergestellt, doch das hat nichts zu
       bedeuten. Nach dem fünften Jul Brew hört man die Grillen erst noch lauter
       zirpen, und dann fällt man in einen echten Jul-Brew-Tiefschlaf. So habe ich
       das mehrfach erlebt, am eindrücklichsten im Janjang Bureh Camp, das direkt
       am Gambia River liegt, gegenüber von Georgetown. Elektrischen Strom gibt es
       nicht in der wildromantischen Lodge, gekocht wird mit Gas. Öllampen weisen
       abends den Weg zu den Rundhütten. Wenn man den Weg vor lauter Jul Brew denn
       findet. Die Nacht endet um sechs Uhr in der Früh, wenn die Affen über die
       Hüttendächer springen und einen Riesenlärm machen. Diese grauen, eleganten
       Meerkatzen quieken wie hundsgewöhnliche Hausschweine, sobald die Sonne
       aufgeht.
       
       Ich habe eine unruhige Nacht hinter mir, bin müde, habe mal wieder - den
       Bauch voll Bier - von einer Dürreperiode geträumt, von ausgemergelten
       Körpern, die an den Straßenrändern um ein paar Dalasi betteln. In Afrika
       wird man entweder zynisch oder stumpf. „Jetzt erst mal Frühstück“, brülle
       ich, so laut ich kann, um die Nachtgedanken zu verdrängen. Als artiger
       Europäer möchte ich den Tag mit einer landestypischen Morgenmahlzeit
       beginnen. Mir bleibt auch gar nichts anderes übrig. Ich bin froh, dass
       meine Geschmacksnerven nach der durchzechten Nacht noch betäubt sind, denn
       die Guten-Morgen-Milchreissuppe, die mit Dosenmilch verfeinert wird, ist
       kaum zu ertragen. Ich habe Traveller getroffen, die diesen geschmacklosen
       Brei mit Maggi würzten. Ich trinke ein Jul Brew, denn der Alkohol dämpft
       meine touristische Unruhe. Eine halbe Stunde später schippere ich auf einer
       Piroge, dem für Westafrika typischen schmalen Holzboot, langsam nach
       Georgetown.
       
       „Dort am Ufer stehen die Mauern eines Sklavenforts“, murmelt Joseph
       Wiessman. Der Mann wird mir auf meiner Reise durch Gambia erzählen, was ich
       über die Geschichte des Landes wissen muss. Joseph zeigt den wenigen
       Safaritouristen in Gambia am liebsten die Sklavenforts. Heute spielen
       Kinder, die von britischen Kolonialherren nichts mehr wissen, zwischen den
       umwucherten Knastmauern. Wir betreten einen verlotterten Jugendstilbau,
       dessen Räume noch heute vergittert sind. „Hier haben sie uns verkauft“,
       sagt Joseph trocken. Ich gehe schnell durch den ehemaligen Menschenkäfig.
       Es ist vollkommen unmöglich, sich das Grauen vorzustellen, überlege ich,
       während wir den Keller des Hauses betreten. Da hockt ein alter Mann, der um
       eine Spende bittet. Eine Handvoll Kerzen beleuchtet den Kerker, an dessen
       Wänden rostige Eisenketten befestigt sind. Die Familie des alten Mannes, so
       erfahre ich, kümmert sich in Eigeninitiative darum, dass der Sklavenkeller
       nicht vollkommen verfällt und weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich ist.
       Merkwürdig gleichgültig berichtet Joseph von Folter und Mord, erstaunlich
       desinteressiert spricht er von der Verschleppung „seiner Brüdern und
       Schwestern“.
       
       In Gambia ist Joseph ein Ausländer, er kommt aus Sierra Leone. Vor acht
       Jahren hat der Mann mit den weichen Gesichtszügen an einem
       Studentenaustausch seiner Universität in Freetown mit der Dresdner
       Fachhochschule teilgenommen. Sein Professor hat ihm damals ein Dutzend
       Lehrbücher mitgegeben, deshalb spricht er heute fließend Deutsch. In Gambia
       verdingt sich der studierte Wirtschaftswissenschaftler als
       überqualifizierter Reiseführer. Vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat ist er
       gerade noch rechtzeitig geflohen. Wer in Afrika durch ein halbwegs
       friedliches Land reist, hört pausenlos von den Kriegen in der
       Nachbarschaft. Joseph aber spricht ganz selten von Sierra Leone. „Ich bin
       wirklich froh, hier eine Arbeitserlaubnis zu besitzen. Wenns schon nicht
       möglich ist, nach Deutschland auszuwandern.“ Rund hundert US-Dollar
       verdient Joseph im Monat, wenn er Bleichgesichter wie mich durch die
       Savanne führt. Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Gambiers
       von dreihundertfünfzig Dollar gehört er zur westafrikanischen Oberschicht.
       
       Vor Georgetowns altem Sklavengefängnis wartet Fahrer Siaka Diedhion mit
       knatterndem Motor. Mindestens dreihundert Kilometer werden wir unterwegs
       sein, in einem Land, das an keiner Stelle breiter als fünfundfünfzig
       Kilometer ist. Siaka schaut uns mürrisch an: „On y va“, sagt der Senegalese
       knapp. Atheist Joseph schüttelt den Kopf: „Siaka hat Ramadanfieber, er
       hätte zu Hause bleiben sollen.“ Seit drei Wochen fastet der eh schon dürre
       Muslim tagsüber. „Ich war zwanzig Jahre Soldat im Senegal“, verkündet
       Siaka. Wochenlang sei er durch den Staub der Sahelzone gerobbt, da werde
       ihn so ein Trip im Jeep gewiss nicht umhauen. Siaka ist der Fahrer, und
       Joseph bestimmt, wo es langgeht. Weil die Lebenserwartung der Männer in
       Gambia bei 43 Jahren liegt und Siaka schon 54 Jahre auf dem Buckel hat,
       nennt Joseph ihn einen Greis.
       
       Der gar nicht greise Siaka spricht Wolof und ein paar Sätze Mandinka,
       versteht also die Sprachen der einflussreichsten Stämme in Gambia. Und weil
       Senegal französische Kolonie war, schimpft er am liebsten en français.
       Joseph, ganz Europäer, glänzt mit Deutsch und Englisch; seinen Dorfdialekt
       versteht in Gambia sowieso keiner. Ein lustiges Männertrio auf dem Weg
       durch die gambische Savanne: ein Wüstenkämpfer aus dem Senegal und ein
       akademischer Flüchtling, dazwischen ein ewig fragender Toubob. So werden
       die Bleichgesichter von den Wolof genannt.
       
       Die Fahrt über die rotbraune Sandpiste ist alles andere als ein Vergnügen.
       Siaka fährt Schlaglochslalom. „Du bist zu schnell“, raunzt Joseph seinen
       Kollegen an, „mir ist schon ganz schlecht.“ In meinem Magen rumpelt es
       auch, doch ich schiebe es auf irgendwelche fremden, bösen Bakterien. Doch
       Siaka lässt sich nicht belehren. Joseph sagt, er spare schon seit Jahren
       auf einen eigenen Jeep. Wer in Gambia ein Auto besitzt, kann groß Karriere
       machen, und wenn es nur eine rostige Karre ist, die in Deutschland durch
       keinen TÜV mehr käme. Alte Lastwagen der Bundespost oder des Berliner
       Umzugsunternehmens Zapf holpern über die gambischen Pisten - oder liegen im
       Straßengraben, wo sie dann endgültig verrotten. Wir Touristen rasen durch
       ein Fußgängerland und bekommen von dem Zeitgefühl der Menschen in Gambia
       nichts mit. Vielleicht soll ich einfach aussteigen und auch zu Fuß laufen?
       Ich bin ein Faulpelz und bleibe im Geländewagen hocken.
       
       „Give me a pen!“, schreien die Kids und laufen unserem Auto hinterher.
       Endlich steige ich aus und werde willkommen geheißen. Wir sind in Pakaliba.
       Ein Mädchen steckt mir einen Zettel mit seiner Adresse zu, ich schaue mir
       die Kinderschrift von Famara Tawla an, dann flüstert sie: „Give me a pen.
       Give me sweets.“ Soll man nun Stifte und Bonbons für die Kids mitnehmen?
       Soll man dem Familienoberhaupt ein paar Dalasi geben? Die gönnerhafte Geste
       mancher Safaritouristen ist erbärmlich, doch wer einmal die großen Augen
       eines kleinen Gambiers gesehen hat, dem beim Lollilutschen der Rotz aus der
       Nase läuft, wer die Freudensprünge eines Teenagers bewundert hat, der
       gerade einen Kugelschreiber in die Hosentasche stecken konnte, wer die
       stille Dankbarkeit einer Bäuerin für ein Münzgeschenk erträgt, der wird die
       Präsente auf einer Reise durch den Busch nicht vergessen.
       
       Ich bitte Siaka, im Fußgängertempo weiterzufahren, und das versteht der
       stolze Mann am Steuer gar nicht. Er will Gas geben. Ich lächele ihn an,
       erzähle ihm, dass ich, der ich keinen Führerschein habe, nach Hause laufen
       werde, wenn er nicht langsamer fährt. Siaka kann es nicht glauben. Er fragt
       mich, ob ich als Führerscheinloser denn in Deutschland ernst genommen
       werde. Ich antworte, ich sei längst nicht der Einzige ohne Führerschein.
       „Wir werden immer mehr“, behaupte ich. Siaka schüttelt den Kopf, lacht.
       „Na, das ist gut“, sagt er. „Die kann ich dann in Gambia herumfahren.“
       
       Langsam nähern wir uns der gambischen Küste, es geht vorbei an dem
       marmorbestückten Flughafen Yundum Airport. Mit Joseph unterhalte ich mich
       über den berühmten Roman „Roots“ von Alex Haley. Über die Geschichte des
       17-jährigen Kunta, der 1767 aus seinem Dorf Juffure von Sklavenhändlern
       verschleppt und nach Amerika verschifft wird. Es gibt noch heute ein paar
       Touristen, die auf den Spuren von Alex Haley in Gambia wandeln. Ein Zeit
       lang boomte das Geschäft. Aber sie werden nicht viel sehen, was sie an den
       Romanschauplatz erinnern könnte.
       
       Wir erreichen Serrekunda, eine Anhäufung von Wellblech ohne erkennbares
       Zentrum. Auf der Sayer Jobe Avenue, angeblich der Hauptstraße des Ortes,
       ist nur deshalb so viel Betrieb, weil grau-beige Betonkästen die sonst in
       Serrekunda üblichen Bretterbuden verdrängt haben. Menschenmassen ziehen,
       laufen, rennen geschäftig umher. In diesem Trubel tauscht man am besten
       sein Geld. Siaka gibt Anweisungen, die Dalasischeine wechseln den Besitzer.
       Die Dollarnoten auch. Der Schwarztausch im wüsten Serrekunda ist ein
       fantastisch archaischer Akt. Überhaupt wäre dieser Unort der perfekte
       Drehplatz für einen Gangsterfilm. Stundenlang kann man durch die namenlosen
       Straßen schlendern. Toubobs habe ich hier nicht gesehen. Dafür aber
       wunderbare Affenbrotbaumprodukte: eine fruchtige Limonade aus dem weißen
       Inneren des Baums, der in Gambia Baobab heißt. Affenbrotbaumpastillen gegen
       Kreislaufprobleme und Baobabpulver gegen rheumatische Beschwerden.
       
       Die Reiseveranstalter werben, in Gambia sehe man: the real Africa. Aber
       genau das sehen die meisten Leute nicht. In Hotelgärten oder an den von
       rigidem Sicherheitspersonal geschützten Stränden verschanzen sich die
       Pauschalurlauber. Selten setzen sie sich in einen Jeep und lassen sich
       einmal dorthin fahren, wo the real Africa stattfindet. Und wenn sich die
       Toubobs dann doch mal Auto und Fahrer mieten, hetzen sie durch ein Land,
       das eigentlich nur im Fußgängertempo zu begreifen ist.
       
       12 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carsten Otte
       
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