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       # taz.de -- Eine Meldung und ihre Geschichte: Mordaufruf eines Wirrkopfes
       
       > Das Panzerglas beim Marwa-Prozess ist ihm zu verdanken: Im Internet rief
       > ein ägyptischer Prediger zum Rachemord auf. In Ägypten nimmt den Wirrkopf
       > niemand ernst.
       
   IMG Bild: Die Zabiba auf der Stirn: Scheich Ihab Adli Abu al-Madschd.
       
       50.000 Euro hat die Panzerglasscheibe gekostet, die Alex W., den
       mutmaßlichen Mörder der Ägypterin Marwa El Sherbini, vor seinem Attentäter
       schützen soll. Vor einem Angreifer aus den Tiefen des Internets. Da
       zumindest will ihn das sächsische Landeskriminalamt (LKA) gefunden haben.
       Und Spiegel Online hat den Fund am 25. 10. unter dem Titel "Mordaufruf zur
       Rache für Marwa" verbreitet.
       
       Originalzitat Spiegel Online: "Vor dem Prozess gegen den mutmaßlichen
       Mörder von Marwa al-Schirbini ist im Internet ein Mordaufruf gegen den
       angeklagten Russlanddeutschen Alex W. aufgetaucht. In einer einstündigen
       Audiobotschaft legt Scheich Ihab Adli Abu al-Madschd in Deutschland
       lebenden Muslimen nahe, den Angeklagten zu töten - und stellt dafür Gottes
       Lohn in Aussicht." Die Informationen stammen anscheinend vom sächsischen
       Landeskriminalamt (LKA). Denn das, so schreibt Spiegel Online, habe die im
       Sommer eingestellte Drohung ausgewertet und gehe laut Ermittlungsakten
       insgesamt von "einer Bedrohungssituation" aus. Die LKA-Analysen seien auch
       der Grund für die strengen Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess.
       
       Aber wer ist eigentlich dieser ominöse und offenbar so gefährliche Scheich?
       Eine kurze Internetrecherche und eine Anfrage per E-Mail an Scheich Ihab
       Adli Abu Al-Madschd genügten, um Kontakt aufzunehmen. Sechs Tage später
       entschuldigte sich der Scheich am Telefon für die lange Verzögerung. Er
       checke nur alle zehn Tage seine E-Mails. Aber selbstverständlich sei er
       bereit zu einem Treffen, um die Angelegenheit noch einmal zu erklären. Bei
       der einstündigen Audiobotschaft auf einer der Internetseiten der radikalen
       Islamisten handle es sich eigentlich um eine Freitagspredigt, die er in
       einer Moschee in Tanta, einer Provinzstadt im Nildelta, im Sommer gehalten
       hat. Den Namen der Moschee will er aus Sicherheitsgründen nicht nennen.
       
       Zwei Tage darauf in der ägyptischen Hauptstadt Kairo: Der Scheich sieht
       genau so aus, wie man sich einen radikalen Islamisten vorstellt. Der Bart
       folkloristisch im Stile des Propheten, die Kopfhaare geschoren. Auf seiner
       Stirn prangt eine Zabiba, ein brauner Fleck, der von der häufigen Berührung
       mit dem Gebetsteppich herrührt. So lassen immer mehr Ägypter die Außenwelt
       an ihrer Frömmigkeit teilhaben. Ansonsten ist der 39-jährige Ihab Abu
       al-Madschd eher leger gekleidet, dunkle Hose, rotes Hemd und eine etwas
       abgetragene schwarze Jacke.
       
       Zwei strahlende Augen, bereit zum Interview. Der Scheich ist sichtlich
       erfreut über das deutsche Medieninteresse. Auch eine arabische Übersetzung
       des Spiegel-Artikels hat er mitgebracht. Er hat kein Problem damit, seinen
       Mordaufruf noch einmal zu wiederholen. Hier gehe es um einen vorsätzlichen
       Meuchelmord an einer Muslimin, sagt er. Dafür sei in der Scharia, dem
       islamischen Recht, die Todesstrafe vorgesehen. "Es geht hier nicht um die
       Tat gegen einen Einzelnen, sondern gegen das Recht Gottes, und es ist die
       Pflicht jedes Muslims, dieses Recht durchzusetzen", meint er. Auf den
       Einwand, dass er sich damit über nationales deutsches Recht stellt, zieht
       er eine kleinen Taschenkoran hervor: "Nicht ich stehe über dem Recht,
       dieses Buch steht über allem, auch dem ägyptischen Recht", erwidert er.
       Selbst wenn die Familie Marwa El Sherbinis oder der ägyptische Staat am
       Ende das vom Gericht ausgesprochene Urteil akzeptieren, das interessiert
       ihn nicht. Hier gehe es nicht mehr um die Familie Sherbini, hier sei gegen
       göttliches Recht verstoßen worden. Der Rest des Gespräches verläuft sich in
       der wirren Welt eines radikalen Islamisten, gespickt mit Koranzitaten, die
       er in seiner Interpretation oft auf den Kopf stellt. Er springt von einem
       Thema zum andern. Kommt auch auf den deutschen Papst Benedikt zu sprechen,
       der den Islam als irrational beleidigt habe. Dann bringt er seine feste
       Überzeugung zum Ausdruck, dass die Muslime Europa in wenigen Jahren
       beherrschen werden. Auch der Vorwurf, dass durch seine im Internet
       verbreitete Botschaft in Deutschland anstatt über den Mord an einer
       Muslimin über mögliche islamische Racheaktionen diskutiert wurde, lässt ihn
       kalt. "Mit meinem Aufruf habe ich das deutsche Gericht unter Druck gesetzt,
       und das ist gut", setzt er den Punkt.
       
       Starke Worte. Aber wie viel Gewicht hat eigentlich ein ägyptischer
       Provinzscheich, der seine in einer kleinen Moschee im Nildelta gehaltenen
       Predigten ins Internet stellt? Sein ebenfalls ins Internet gestellter
       Lebenslauf besagt lediglich, dass er Maschinenbau sowie mehrere Jahre in
       Saudi-Arabien den Koran studiert hat und diesen auswendig kann. Ein
       offizieller Abschluss als islamischer Rechtsgelehrter wird dort nicht
       erwähnt.
       
       Erste Antworten zu seinem Bekanntheitsgrad finden sich in einem der von
       radikalen Islamisten frequentierten Internetdiskussionsforum. "Kennt jemand
       diesen Prediger?", fragt ein Diskussionsteilnehmer. "Das ist das erste Mal,
       dass ich von ihm höre", antwortet ein anderer. "Kennt jemand einen, der ihn
       kennt?", hakt ein weiterer Teilnehmer nach. Letzter Eintrag: "Ich suche
       noch nach weiteren Informationen." Offensichtlich ist der Scheich aus Tanta
       in der fundamentalistischen Szene nicht sonderlich bekannt.
       
       Ein Anruf bei Dia Raschwan, Ägyptens prominentem Experten für militanten
       und radikalen Islam, beim Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien - das
       gleiche Resultat: "Ich erforsche die ägyptische Islamistenszene nun schon
       seit Jahren, aber von diesem Mann habe ich noch nie gehört", sagt Raschwan.
       "Wir erleben in Ägypten eine Welle des radikalen Islam, aber dieser Scheich
       spielt dabei keine Rolle", fügt er hinzu. Die Einzigen, die ihn bekannt
       machten und ihm eine Plattform gäben, seien die Medien in Deutschland",
       beklagt der ägyptische Islamistenexperte.
       
       Sind das sächsische LKA und Spiegel Online einem fundamentalistischem
       Schaumschläger aufgesessen? Zumindest ein hochrangiger islamischer
       Rechtsgelehrter der Islamischen Azhar-Universität, eine der wichtigsten
       Autoritäten im sunnitischen Islam, hat schon einmal von Scheich Abu
       al-Madschd gehört. "Dieser Mann ist ein unbedeutender Imam in einer
       vollkommen unbedeutenden Moschee in einem unbedeutenden Dorf, fernab des
       Zentrums Islamischer Rechtsprechung", lautet Scheich Farahat al-Monguis
       vernichtendes Urteil. Strafen könnten im Islam nicht einzelne Personen oder
       irgendwelche Scheichs verhängen, das bleibe einzig und allein einem Richter
       und einem Gericht überlassen, kontert der islamische Rechtsgelehrte aus
       Kairo dem Provinzscheich aus Tanta. Sicher heiße es im Islam auch "Auge um
       Auge und Zahn um Zahn", aber "das Gericht und die Strafe hängen von Ort und
       Zeit ab", erklärt er. In diesem Fall sei das ganz klar: Das Verbrechen
       müsse nach den Gesetzen und vor den Gerichten des Landes beurteilt werden,
       in dem es stattgefunden hat. "Und selbst wenn wir als islamische
       Institution das Recht hätten, zu urteilen", fügt er hinzu, "würden wir das
       sicher nicht irgendwelchen obskuren Scheichs in irgendwelchen isolierten
       Dörfern überlassen." Er kenne das Magazin Der Spiegel. "Ich wünschte, sie
       würden solchen Leuten kein Forum geben", meint er dazu.
       
       Eine Gefahrenmeldung und ihre Geschichte. Von der Hinterhofmoschee im
       Nildelta über die virtuelle Autobahn zur Gefährdungsanalyse des sächsischen
       LKA und wieder zurück ins Internet bei Spiegel Online, um dann über die
       Deutsche Presseagentur in vielen deutschen Tageszeitungen zu landen. Die
       medialen Wege der islamischen Rache sind verschlungen und doch kurz.
       Mancher Scheich, der sich in der virtuellen Welt aufbläst, ist in der
       realen Welt kein Panzerglas wert. Manchmal reicht es vielleicht einfach,
       ihn zu hinterfragen.
       
       6 Nov 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim Gawhary
   DIR Karim El-Gawhary
       
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