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       # taz.de -- Sozialpädagogin über Fremdenhass: "Der deutsche Mann hat hart zu sein"
       
       > Am Montag wird der Dresdner Marwa-Prozess fortgesetzt, der Täter ist
       > Russlanddeutscher. Die Sozialpädagogin Gabriele Feyler über Stereotype
       > von Deutschen und Spätaussiedler.
       
   IMG Bild: Gabriele Feyler: "Am Prozess gegen den Mörder von Marwa El Sherbini stört mich die Panzerglasscheibe und der Sicherheitsaufwand."
       
       taz: Frau Feyler, was stört Sie am Prozess gegen den Mörder von Marwa El
       Sherbini? 
       
       Gabriele Feyler: Nur die Panzerglasscheibe und der Sicherheitsaufwand. Sie
       mögen nötig sein, aber sie hindern uns mental auch daran, auf die
       grundsätzlichen Probleme des Zusammenlebens mit anderen, mit Fremden
       einzugehen.
       
       Das kann nun einmal ein Strafprozess wie dieser nicht leisten. 
       
       Wir reduzieren das Rassismusproblem auf die Bestrafung einer einzelnen Tat.
       Aber sie geschah in einer Stimmung, die auch mit unserer Unkenntnis der
       Geschichte der Russlanddeutschen und ihrer Gewalterfahrung zu tun hat. In
       der Schuld des Angeklagten steckt auch ein Stückchen Schuld von uns. Wir
       können als Bürger nicht sagen, wenn der Mann bestraft ist und lebenslang
       einsitzt, dann haben wir unseren Frieden.
       
       Ist die Definition des Deutschtums nach dem Grundgesetz nicht absurd? 
       
       Hier sind Spätaussiedler nur die ungeliebten "Russen". Sie werden hier
       behandelt wie Ausländer. Und nicht nur als solche haben sie Angst, Fehler
       zu machen wie andere Migranten oder Gäste. Sie bleiben daher lieber unter
       sich. In Deutschland kann man sich Fehler oder politische Inkorrektheit
       besonders wenig leisten und wird schnell stigmatisiert.
       
       Mit welchen illusorischen Erwartungen kommen Russlanddeutsche hierher? 
       
       Es gibt nicht "die" Russlanddeutschen, sondern nur Individuen. Viele sind
       mit Sehnsucht, mit einem verrückten Bild nach Deutschland gekommen. Sie
       haben mit solchen Hoffnungen und Träumen Repressalien und Deportationen
       überstanden. Nun treffen sie hier auf enge Menschen und werden be- und
       verurteilt. Daneben gibt es natürlich auch Wirtschaftsflüchtlinge, die auch
       schon mit Hartz IV zufrieden sind. Andere, besonders Frauen, haben schnell
       Deutsch gelernt und sich qualifiziert. Sie arbeiten trotzdem unter Tarif,
       weil sie nicht als "die Russen" auffallen wollen.
       
       Sind junge Männer besonders labil? 
       
       Es sind nicht nur junge Männer, eher solche zwischen 40 und 50, die
       frustriert über das Erscheinungsbild deutscher Männer sind. Der deutsche
       Mann hat pünktlich, ordentlich und vor allem stark und hart zu sein. Was
       sie erleben, sind nach ihrem Empfinden Weicheier und Warmduscher.
       
       … die eigentlich ihr Volk von Ausländern und Fremdrassigen rein zu halten
       hätten? 
       
       Ja, aber da spielen eher Erfahrungen aus Russland hinein, das sie mehr
       geprägt hat, als sie sich bewusst sind. Ich habe mich in Moskau auch
       gefragt, wie ein Afrikaner im Beisein von Polizisten so zusammengeschlagen
       werden kann, dass er um sein Leben fürchten muss.
       
       Sie versuchen auch hier, mit solchen alten Bildern aufzuräumen. 
       
       Migranten wie Spätaussiedler zwingen uns, in den eigenen Spiegel zu
       schauen. Wenn wir unserer deutschen Identität gewisser wären, könnten wir
       lockerer mit "dem Fremden" umgehen. Sind wir das nicht, kommen über die
       Angst Hass und Aggressionen auf. Und wir sind emotionale Analphabeten, die
       damit wenig umgehen können.
       
       Das klingt ein bisschen volkspädagogisch. 
       
       Mag sein, aber konkrete, umsetzbare Schritte sind auch schwierig zu gehen.
       Kann man in einer Stadt nur friedlich zusammenleben, indem man alle
       Ausländer rausschmeißt? Darüber muss es einen öffentlichen Diskurs geben,
       aber damit kann man auch in kleinen Kreisen anfangen. Ich bringe Christen
       und Muslime zusammen. Da wird es konkret, da entdeckt man den anderen als
       Person. Wir müssen die Milieus mischen, uns auf die anderen einlassen.
       Anliegen von Sozialtherapie ist nicht der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit,
       sondern die Beförderung von Fremdenfreundlichkeit.
       
       Die "Therapie sociale" verfolgt noch einen anderen Ansatz? 
       
       Ja, sie setzt darauf, dass bekannte Verantwortungsträger, die "VIPs", mutig
       und ehrlich das Problem benennen. Solche Offenheit pflanzt sich fort.
       
       1 Nov 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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