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       # taz.de -- Aufarbeitung der G8-Proteste: Ins Auge schießen ist nur Unfall
       
       > Bei Protesten in Heiligendamm trifft ein Wasserwerfer Steffen B. im
       > Gesicht. Daraufhin erblindet sein Auge. Doch das Verfahren gegen die
       > Polizisten wird eingestellt.
       
   IMG Bild: Der hohe Druck des Wasserstrahls birgt Verletzungsgefahr – hier G-8-Demonstranten bei Heiligendamm.
       
       BERLIN taz | Er wird auf dem linken Auge für immer blind sein. Seinen
       gelernten Beruf als Heilpraktiker kann Steffen B. deshalb nicht mehr
       ausüben und auch als Rettungssanitäter wird er nie wieder arbeiten können.
       Dabei wollte er nur friedlich demonstrieren. "Ein bedauerlicher Unfall",
       erklärt die Rostocker Staatsanwaltschaft nach über zwei Jahren
       Ermittlungen.
       
       Schuld hätten jedenfalls nicht die Polizisten, die den Wasserwerfer
       bedienten. Dessen Strahl hatte den heute 38-jährigen Steffen B. während der
       Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm direkt im Gesicht getroffen.
       Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen die
       beteiligten Beamten einzustellen, hat Steffen B. jetzt Beschwerde
       eingelegt. Wenn nötig, werde man sich durch alle Instanzen kämpfen, sagt
       sein Anwalt Steffen Sauer.
       
       Die Vorgeschichte: Im Juni 2007 fährt Steffen B. mit Freunden spontan von
       Potsdam nach Heiligendamm. Friedlich will er gegen die "ungerechte Politik"
       demonstrieren. Bevor ihn der Strahl des Wasserwerfers trifft, spaziert er
       über eine Wiese, hält sich von den Wasserwerfern fern, erklärte er damals.
       Erst als der Wasserbeschuss aufhört, nähert er sich einer Gruppe von
       Protestlern, die sechs Meter von den Wasserwerfern entfernt eine Bauplane
       hochhalten. Steffen B. erinnert sich, wie ein Polizist mit einem
       Schlagstock auf Demonstranten zeigt, ganz so, als dirigiere er den
       Wasserwerfer. Dann trifft ihn der Strahl mit Wucht. Sein Jochbein ist
       zertrümmert, das linke Augenlid halb abgerissen.
       
       Steffen B. erstattete Anzeige wegen schwerer Körperverletzung. Ende Juli
       2009, mehr als zwei Jahre später, stellte die Rostocker Staatsanwaltschaft
       das Verfahren gegen zwei Polizeibeamte ein. "Nach umfangreichen
       Ermittlungen können wir feststellen, dass es ein bedauerlicher Unfall war",
       erklärte Sprecherin Maureen Wiechmann der taz. Es sei kein Fremdverschulden
       zu erkennen, da die Beamten Steffen B. nicht vorsätzlich beschossen hätten.
       In der Begründung heißt es, dass auch keine Fahrlässigkeit vorliege. "Die
       Beamten haben ihre Aufgabe in rechtmäßiger Weise erfüllt. Sie haben ihre
       Sorgfaltspflicht nicht verletzt." Steffen B. habe sich selbst in die
       Gefahrenzone begeben und "aus Neugier" in Richtung Wasserwerfer gesehen.
       Zudem seien Aussagen von Zeugen und Steffen B. "unglaubwürdig".
       
       Steffen B. hat jetzt Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in
       Rostock eingelegt. Sein Anwalt Steffen Sauer wirft der Staatsanwaltschaft
       vor, kein Interesse an einer objektiven Beweisführung zu haben. "Die
       Aussagen der Polizisten werden eins zu eins übernommen, die anderer Zeugen
       nicht für voll genommen", sagte er. Videos, die den Vorgang dokumentierten,
       würden nicht einbezogen. Es sei ein Widerspruch in sich, nicht einmal von
       Fahrlässigkeit auszugehen. "Ich schieße jemandem ins Auge und soll
       sorgfältig gearbeitet haben?", fragt Sauer. In einem separaten
       Zivilverfahren fordert B. 30.000 Euro Schmerzensgeld. Neun
       Augenverletzungen wurden dokumentiert, alle verursacht von Wasserwerfern.
       "Das spricht doch für sich", so Sauer.
       
       Ganz überzeugt scheint auch Staatsanwalt Peter Lückemann nicht von seiner
       Entscheidung. Einer Potsdamer Zeitung sagte er Mitte September: "Die
       Entscheidung war eine Gratwanderung zwischen Fremdschuld und
       Selbstbeteiligung."
       
       15 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Wrusch
       
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