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       # taz.de -- Fotografie: Das Verschwinden der Bilder
       
       > Der gebürtige Osnabrücker Sascha Weidner zeigt seine teils sehr intimen
       > Arbeiten im Braunschweiger Museum für Photographie. Die Besucher dürfen
       > Fotos aus der Ausstellung mit nach Hause nehmen - wenn sie eine
       > Begründung zurücklassen.
       
   IMG Bild: Die Bilder, die aus der Ausstellung verschwinden, tauchen im Archiv wieder auf Fotos
       
       Die fotografische Kamera sei eine Wunschmaschine, ähnlich dem Gewehr. Das
       hat Susan Sontag gesagt und den Vorgang des Fotografierens in die Nähe des
       Tötens gebracht: Der Fotograf morde nicht physisch, sondern sublimiere,
       indem er Menschen in Objekte verwandele, die er symbolisch besitzen könne.
       
       Dieser Gedanke stellt sich ein, wenn man im Braunschweiger Fotomuseum den
       Raum betritt, den Sascha Weidner mit großem erzählerischem Impetus seinen
       verstorbenen Eltern widmet. Während Weidners Mutter wenige Tage vor ihrem
       Tod offensichtlich die Kraft besaß, sich einem direkten Porträtfoto zu
       widersetzen und stattdessen ein Jugendbildnis vor ihr Gesicht hält, wird
       sein Vater auf dem Totenlager abgebildet.
       
       Nun sind Fotos Sterbender mittlerweile kein Tabu mehr, sondern fester
       Bestandteil unserer alltäglichen Rezeptionsroutinen. Und Weidner spannt,
       von ihnen ausgehend, einen ikonografischen Bogen zu Trauer, Zurückbleiben,
       Erinnerung. Doch was ist das für eine psychische Disposition, sich derart
       entäußern zu wollen? Möglicherweise möchte der Betrachter ja gar nicht auf
       so intime Tuchfühlung mit der Familie Weidner kommen.
       
       Dass Sascha Weidner auch distanzierter, durchaus selbstironisch (und damit
       vielleicht auch essentieller) arbeiten kann, zeigen die anderen beiden
       Räume. Er mache eigentlich immer zu viel, sagt er über sich, und gehe auf
       seinen Reisen mit der Faszination eines Kindes dem Interessanten im
       Zufälligen nach. Und da Weidner von der Malerei und Grafik kommt, zeichnen
       sich seine Bildinhalte durch eine unübersehbar "picturesque", manchmal
       etwas überfrachtete Grundhaltung aus.
       
       Sascha Weidner, geboren 1976 in Osnabrück, studierte unter anderem an der
       Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Seinem mittlerweile
       umfangreichen Bildarchiv hat er nun 1.001 postkartengroße Originalabzüge
       entnommen und sie in einem Raum fein säuberlich in elf Reihen übereinander
       an den Wänden entlang aufgestellt. Aber die Fotos sind weder chronologisch
       noch nach Sujets, Aufnahmeorten oder thematischen Schwerpunkten sortiert:
       Lediglich die Farben bestimmen die Anordnung. Und so spannt sich eine
       chromatische Abfolge, ausgehend von schwarz-weiß über der Tür, einmal rund
       um dem Raum, wobei sich die Fotos im Feinbereich durch formale Analogien zu
       Untergruppen verdichten.
       
       Wohl selten hat ein Fotograf sein Archiv so bewusst nüchtern, nach wenig
       künstlerisch definierten Kriterien sortiert. Diese Bildansammlung ist zudem
       zur freien Entnahme gedacht, je ein Foto darf jeder Besucher mitnehmen. Als
       Gegenleistung erwartet Weidner auf einem Fragebogen eine kurze Äußerung,
       weshalb gerade dieses Bild Interesse weckte und darum ausgewählt wurde.
       Entnommene Bilder und Texte werden zum Abschluss der Schau im Katalog
       zusammengefasst.
       
       Nun wäre natürlich eine Ausstellung, deren Exponate allmählich
       verschwinden, eine verstörende Angelegenheit. Und so tauchen die
       verschwundenen Bilder in einem Raum im gegenüberliegenden Haus wieder auf -
       hier sind, mit der weißen Rückseite nach vorne, in einem zweiten Archiv
       Duplikate vorgehalten, die gegenläufig zu den Entnahmen aufgedeckt werden.
       
       Dieser Prozess in der zweiteiligen Installation ist natürlich mehr als nur
       die fremdgesteuerte Umstülpung des einen Archivs in ein anderes. Er streift
       nebenbei ganz zentrale Fragen nach dem Medium Fotografie: Was passiert,
       wenn ein Fotograf seine Bildwelten veräußert? Was nimmt der Besucher hier
       eigentlich mit, wenn er so freizügig verfügen darf? Oder tauscht er etwas,
       und wenn ja, wogegen?
       
       "Was übrig bleibt" ist der Titel der Ausstellung. Und wenn es das Nichts
       wäre, die Wunschmaschine also nur dazu diente, herauszufinden, wie etwas
       aussieht, wenn es fotografiert wurde, wäre dies womöglich ein
       emanzipierterer Habitus für die Fotografie als der empfindsame Akt des
       symbolischen Festhaltenwollens.
       
       12 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
   DIR Wolfenbüttel
       
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