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       # taz.de -- Straßennamen: Kolonialherren sollen wegtreten
       
       > Im Afrikanischen Viertel im Wedding erinnern Straßen an fragwürdige
       > Personen der deutschen Kolonialgeschichte. Initiativen fordern die
       > Umbenennung.
       
   IMG Bild: Eine Straßenumbenennung mag noch so politisch korrekt sein - bei Anwohnern ist sie meist unbeliebt.
       
       Die Luft schmeckt staubig am Nachtigalplatz. Über die karge Betonlandschaft
       im Afrikanischen Viertel weht aufgeheizter Wind, vierstöckige Wohnblöcke
       umranden das Areal. An einer Lederleine wird ein kurz geschorener Pudel
       Gassi geführt. Seine Besitzerin hat sich über den Namen des Platzes noch
       nicht gewundert: "Muss mit dem Vogel zu tun haben", so die Vermutung.
       
       Hat es nicht. Der Platz im Weddinger Norden ehrt die kolonialpolitischen
       Verdienste Gustav Nachtigals. 1884 stellte der Reichskommissar das heutige
       Togo und Kamerun unter deutsche Schutzherrschaft und begründete deren
       Kolonialstatus.
       
       Die meisten Straßen im Afrikanischen Viertel sind eine Hommage an den
       deutschen Kolonialismus. Sie beruhen auf Plänen von Carl Hagenbeck, dem
       Initiator des Hamburger Tierschaugeländes und gefeiertem
       Völkerschauausrichter. Auch im Wedding wollte Hagenbeck dauerhaft Tiere aus
       deutschen Kolonien zeigen. Als der erste Weltkrieg das Projekt stoppte,
       hatten die umliegenden Straßen ihre Namen schon weg. Noch heute heißen sie
       Togo-, Kongo- oder Sansibarstraße.
       
       Die geografischen Bezeichnungen stoßen zwar nicht überall auf Anerkennung,
       sind aber weitgehend akzeptiert. Anders sieht es bei personenbezogenen
       Straßennamen aus, die deutsche Kolonisten ehren. Im Afrikanischen Viertel
       sind das neben dem Nachtigalplatz die Lüderitzstraße und die Petersallee.
       Gegen eine Verherrlichung spricht sich etwa Assibi Wartenberg aus. Der von
       ihr gegründete Verein Deutsch Togoischer Freundeskreis veranstaltet an
       diesem Wochenende das zweite Afrikafest im Wedding - auch, um für eine
       Umbenennung zu werben. Afrikanische Musik und kulinarische Spezialitäten
       sollen 2.000 Besucher anlocken, als Auftakt steht ein Umzug auf dem
       Programm.
       
       "Die Geschichte der Kolonialzeit hat mich schon immer interessiert",
       erzählt die zierliche Frau. Und auch, wenn sie die jetzigen Straßennamen
       rassistisch findet, sind ihre Wünsche bescheiden. "Es wäre schön, wenn die
       Politiker erst mal Interesse an unserem Wunsch zeigen würden", sagt sie.
       Mit ihrem Anliegen ist Wartenberg nicht allein. Inzwischen mobilisieren
       zahlreiche Gruppen gegen koloniale Namen. Manche sind bezirksübergreifend
       tätig, wie der Verein Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, andere
       setzen sich für Einzelumbenennungen ein, wie die Werkstatt der Kulturen für
       die Neuköllner Wissmannstraße.
       
       Dass solche Bemühungen durchaus Erfolge verbuchen können, zeigte die
       Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufers in May-Ayim-Ufer, gewidmet einer
       antirassistischen Aktivistin. Im Mai stimmte das Bezirksparlament für die
       Umbenennung. Jetzt ist Otto Friedrich von der Groeben der erste Kolonist,
       der aus dem Berliner Stadtbild verschwinden wird.
       
       Im Bezirk Mitte fehlt so ein klares Votum. Bisheriger Höhepunkt bei dem
       Versuch, die Kolonialgeschichte aus dem Straßenbild zu tilgen, war ein
       halbherziger Akt im Jahr 1986: Die Petersallee, dem Begründer von
       Deutsch-Ostafrika Carl Peters gewidmet, ehrt seitdem CDU-Politiker Hans
       Peters. So konnte der Straßenname beibehalten werden. Über den
       Straßenschildern verweisen kleine Tafeln auf den aktualisierten
       Namensgeber.
       
       "Auf diese Weise setzt man sich nicht mit der historischen Bedeutung
       auseinander", kritisiert Ursula Trüper das Vorgehen. Die Herausgeberin des
       Magazins Afrikanisches Viertel warnt aber vor kontraproduktivem Übereifer.
       "Wenn das Thema für den Wahlkampf instrumentalisiert werden würde, wäre das
       Horror." Denn dann, so ihre Befürchtung, würden gegnerische
       Anwohnerinitiativen aus dem Boden schießen. "Aber ohne die Anwohner geht es
       nicht."
       
       Tatsächlich sind Anwohner meist gegen eine Umbenennung. Kommt es dazu,
       müssen Personalausweis, Stempel und Briefköpfe geändert werden - das kostet
       Zeit, Aufwand und Geld. Wohl auch deswegen hält sich der Bezirk Mitte
       zurück. Statt neuer Namen beschloss das Bezirksparlament in der letzten
       Legislaturperiode, im Afrikanischen Viertel eine Gedenktafel mit
       Informationen zur Kolonialgeschichte aufzustellen. Dem Bezirksamt aber
       missfiel der Text. "Er hätte als Bagatellisierung des deutschen
       Kolonialismus missverstanden werden können", so Stephan von Dassel (Grüne),
       Bezirksstadtrat für Soziales. Jetzt soll er überarbeitet werden.
       
       "Grundsätzlich sind kommentierende Schilder sinnvoll", sagt Armin Massing
       vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag. Bei personenbezogenen
       Straßennamen allerdings sei diese Lösung unzureichend. "Die Namen erinnern
       an Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. In
       einem demokratischen Gemeinwesen haben sie keine Vorbildfunktion." An einer
       Umbenennung führe daher kein Weg vorbei, so Massing. Doch er weiß auch,
       dass Parlamentarier davor zurückschrecken. "Die haben Angst, Wähler zu
       verlieren."
       
       29 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Kunze
       
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