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       # taz.de -- Pro & Contra Stadtlärm: Laut und leise
       
       > Wer in der Stadt wohnt, muss Lärm ertragen, meint Gereon Asmuth. Dauelärm
       > macht krank, entgegnet Waltraud Schwab
       
   IMG Bild: Nacht in Florenz – „Alte italienische Innenstädte sind ziemlich steinern und fast so etwas wie Innenräume.“
       
       PRO STADTSOUND: GEREON ASMUTH
       
       Das Leben ist laut, nicht leise 
       
       Wenn morgens um sechs Markthändler ihre Stände unter dem
       Schlafzimmerfenster aufbauen, kann einem das auf den Wecker gehen. Kein
       Wunder, dass Anwohner Protestgeheul anstimmen. Und? Muss man den Lärm
       aushalten? Das Klappern der Händler immer, das Geschrei der Nachbarn
       nimmer.
       
       Denn egal ob am Kollwitzplatz, am Mauerpark oder an der Admiralsbrücke in
       Kreuzberg: Die Anwohner unterliegen einem groben Irrtum. Zwar wohnen sie an
       äußerst attraktiven Flecken der Stadt. Doch die sind keinesfalls ihre
       privaten Vorgärten. Gerade Menschen, denen ein schöner Ausblick vom Balkon
       nicht vergönnt ist, kommen gern vorbei. Und deshalb rauschen dort auch
       nicht nur die Blätter in den Bäumen.
       
       Kein Mensch, der an der Schönhauser Allee oder am Kottbusser Damm wohnt,
       käme auf die Idee, die Autos dort zu verbannen. Diese Strecken sind für
       Pkw-Fahrer attraktiv. Wer den Verkehrslärm nicht mehr hören will, muss
       umziehen. Zumindest ins Hinterhaus, auch wenn die Aussicht dort nicht so
       schön ist.
       
       Das Gleiche gilt für öffentliche Parks und Plätze. Sie sind - viel mehr
       noch als Straßen - eine echte Attraktion Berlins. Sie machen das Leben hier
       erst lebenswert. Und Leben ist laut, nicht leise. Wer das nicht hören will,
       muss sich einen anderen Schlafplatz suchen. Zum Beispiel in einem Zimmer
       nach hinten raus.
       
       Leben in der Großstadt ist fast immer ein Kompromiss. Ruhiges Wohnen oder
       quirliges Leben. Man muss - und man kann sich entscheiden.
       
       CONTRA KRACH: WALTRAUD SCHWAB
       
       Dauerkrach macht krank 
       
       Verkehrslärm, Baulärm, Fluglärm - wer in Großstädten lebt, ist in der Regel
       Dauerkrach ausgesetzt, selbst ohne es zu merken. Dauerlärm aber macht
       krank.
       
       Das Hickhack um den Kollwitzplatz muss im Kontext der Lärmverschmutzung
       gelesen werden und nicht als Spinnerei der Kiezbourgeoisie. Denn Lärm ist
       eines der größten Umweltprobleme in Berlin. Der Senat weiß das. Der EU ist
       das Problem ebenso bekannt. Sie verlangte von ihren Mitgliedstaaten, dass
       sie Lärmkarten erstellen. Berlin hat diese formale Forderung 2007 erfüllt.
       Ruhiger geworden ist es trotzdem nicht.
       
       Verwunderlich nur, dass viele Stadtmenschen vor allem empfindlich reagieren
       auf etwas, was hier schöner Lärm genannt werden soll:
       Kinderspielplatzgekreisch, Straßenmusik, Marktplatzgeschrei. Dagegen
       beraumen die Lärmgeplagten runde Tische an, dagegen gehen sie gerichtlich
       vor. Und bekommen nicht selten Recht.
       
       Die Frage aber ist, warum gehen Geplagte gegen schönen Lärm vor und nicht
       gegen Bau-, Straßen- oder Fluglärm? Die Antwort: Weil schöner Lärm das Fass
       zum Überlaufen bringt, sie gegen schrecklichen Lärm aber selten was
       ausrichten können. Er dient dem Allgemeinwohl. Deshalb dürfen Autos immer
       fahren, bekommen Bauvorhaben Ausnahmegenehmigungen, darf der TXL-Fluglärm
       ungestraft 250.000 Leuten in Berlin die Nerven zerrütten. Die Meckerer vom
       Kollwitzplatz müssen die Allgemeinwohl-Lüge entlarven. Dann hat ihr Protest
       Hand und Fuß.
       
       24 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
       ## TAGS
       
   DIR Philosophie
       
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