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       # taz.de -- Patientenverfügung: Das Recht auf den eigenen Tod
       
       > Nach sechs Jahren Debatte endlich eine Entscheidung: Ärzte müssen sich in
       > Zukunft auch an Patientenverfügungen halten, wenn der Kranke wieder
       > genesen könnte.
       
   IMG Bild: Abschalten erlaubt: Es zählt der Wille des Patienten.
       
       "Ich will nicht an Schläuchen dahinsiechen." Wer diesen Wunsch für sein
       Lebensende in Form einer Patientenverfügung verbindlich machen will, betrat
       in Deutschland bisher unwegsames Gelände. Am Donnerstag befestigte der
       Bundestag es etwas mehr: Nach sechs Jahren Streit entschieden die
       Abgeordneten, dass der niedergelegte Willen der PatientInnen in Zukunft
       verbindlich ist. 317 ParlamentarierInnen folgten einem Gesetzentwurf des
       SPD-Abgeordneten Joachim Stünker. 233 stimmten gegen den Entwurf.
       
       Das Problem: Mit einer Patientenverfügung soll der Willen der kranken
       Person auch dann ermittelbar bleiben, wenn sie sich selbst nicht mehr klar
       äußern kann, etwa nach einem Schlaganfall, bei Demenz oder einem Koma.
       Gerichtsfest waren bisher aber nur Patientenverfügungen, die sich auf
       ausweglose Situationen beziehen: wenn man ohnehin bald sterben würde und
       lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt. Für alle anderen Situationen, in
       denen unklar ist, ob man weiterleben oder sogar wieder einen besseren
       Zustand erlangen könnte, konnte man zwar Festlegungen treffen, doch es war
       völlig unklar, ob sich ÄrztInnen daran halten müssen, wenn sie eine andere
       Einschätzung haben. Etwa 9 Millionen Menschen haben in Deutschland eine
       Patientenverfügung hinterlegt.
       
       Stünkers Gesetz, das auch von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries
       unterstützt wurde, sieht eine starke Autonomie der PatientInnen vor: Eine
       schriftliche Patientenverfügung muss nun beachtet werden, auch wenn der
       Zustand des Patienten reversibel sein sollte. Den Vorwurf, dass hier ein
       "Sterbe-Automatismus" in Gang gesetzt würde, konterte Stünkers Kollege
       Christoph Strässer (SPD) im Bundestag: In jedem Fall würden Arzt und
       Betreuer darüber befinden, ob die Situation der Verfügung gemäß sei oder
       nicht. Luc Jochimsen (Linke), die auch für Stünker stimmte, erklärte, dass
       niemand gezwungen sei, eine Verfügung zu hinterlegen. Dann bleibe alles
       beim Alten.
       
       Stünker selbst begründete seinen Antrag damit, dass PatientInnen, die eine
       Verfügung verfassten, einen Anspruch auf Rechtssicherheit hätten. Es gebe
       im Grundgesetz eben keine Pflicht, sich so lange wie möglich am Leben zu
       erhalten. Die Verfügung soll nach einer Beratung verfasst werden, diese ist
       aber nicht Pflicht.
       
       Eine solche Pflichtberatung hatte der "konservativere" Konkurrenzentwurf
       der Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU) und René Röspel (SPD) vorgesehen:
       Die "qualifizierte" Verfügung für die Zweifelsfälle, in denen unklar ist,
       wie die Krankheit verläuft, wäre nur nach eingehender ärztlicher Beratung
       gültig und dürfte nicht älter als 5 Jahre sein. Gegen diesen
       "Beratungszwang" war im Vorfeld polemisiert worden. Dagegen wandten die
       Autoren ein, dass zusätzliche Information durchaus der Selbstbestimmung
       diene. Dieser Ansicht ist auch die Deutsche Hospiz-Stiftung: Mit dem nun
       beschlossenen Gesetz "wird der Fürsorgepflicht des Staates leider nur
       ausreichend Genüge getan. Denn echte Selbstbestimmung setzt Aufklärung
       voraus", kommentierte Geschäftsführer Eugen Brysch.
       
       Auch der Antrag des CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe, den Status quo
       beizubehalten, fand keine Mehrheit. Es könne immer sein, dass sich der
       mutmaßliche Wille des Patienten noch ändere, hatte Hüppe erklärt. Wenn man
       dann durchziehe, was der Patient vor Jahren einmal festgelegt habe, werde
       man der Situation nicht gerecht. Der Präsident der Ärztekammer,
       Jörg-Dietrich Hoppe, kritisierte den Beschluss ebenfalls und sprach von
       einer "Pseudoregelung": Es könne kein Gesetz geben, das für alle Fälle
       gelten solle.
       
       19 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
   DIR Heide Oestreich
       
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