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       # taz.de -- Ultimate Fighting in Deutschland: Taktik und Härte
       
       > "Ultimate Fighting" ist verschrien als "hirnlose Gewalt ohne Regeln".
       > Beim Kampf in Köln sieht das anders aus. Ein Bericht über das
       > Zusammentreffen zweier Kulturen.
       
   IMG Bild: Die Deutschland-Premiere der UFC: Der Niederländer Denis Stojnic würgt seinen Landsmann Stefan Struve.
       
       Die Farbe der Wahl ist Schwarz. Schwarz sind Maschendraht und Rahmen des
       achteckigen Käfigs, des berühmten Oktagons, das die Ultimate Fighting
       Championship (UFC) zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Schwarz sind auch
       die T-Shirts der Helfer rund ums Oktagon, das in der Mitte der Kölner
       Lanxess Arena aufgebaut ist bei diesem ersten Versuch der US-amerikanischen
       UFC, auf europäischem Festland einen Kampfabend auszutragen. Schwarz ist
       die Kleidung der Ringrichter, auch die Latexhandschuhe, die sie tragen
       müssen, sind schwarz. Und schwarz sind nicht zuletzt auch die 140 Gramm
       leichten fingerlosen Handschuhe der Kämpfer, die, so lässt die UFC wissen,
       die Hände des Kämpfers schützen sollen, nicht Gesicht oder Körper des
       Gegners. Schwarz signalisiert Gefahr - und das gehört zum Marketing.
       
       Es ist ein Zusammentreffen zweier Kulturen an diesem Abend in Köln.
       Innerhalb der mit 12.800 Karten - Umsatz rund 930.000 Euro - fast
       ausverkauften Arena sind heute die Fans der "kombinierten Kampfsportarten",
       Englisch Mixed Martial Arts (MMA) versammelt. Hier sind nicht Neugierige,
       die sich mal etwas Neues ansehen wollen - hier sind MMA-Kundige aus ganz
       Europa zusammengekommen.
       
       Sieben Anfang 20-Jährige aus einem Vorort Helsinkis etwa sind nach Köln
       gereist. Sobald der Ticketverkauf losging, haben sie sich Karten gesichert,
       83 Euro pro Person, und Flüge gebucht. "Wir hatten sehr gute Plätze, kaum
       40 Meter vom Oktagon entfernt und mit gutem Blick auf die Monitore",
       berichten sie anschließend. In Finnland, erzählen sie, ist MMA immer mehr
       im Kommen. Dabei wird, im Unterschied zu Deutschland, wo die
       UFC-Veranstaltungen seit März zeitversetzt im DSF zu sehen sind, in
       Finnland nichts im Fernsehen gezeigt. Sie jedenfalls holen sich die Videos
       stets illegal aus dem Internet. Immer mehr junge Finnen interessierten sich
       für Kampfsport, allein in ihrer Gruppe gäbe es zwei, die Jiu-Jitsu lernen,
       und einen, der Muay Thai trainiert. Und ist die Straßenkriminalität größer
       geworden, die Gesellschaft verroht? Quatsch, sagen sie, das Erste, was du
       in jedem Gym lernst, ist, dass du deine Fähigkeiten im Ring anwendest - und
       sonst nirgends.
       
       All die Diskussionen um die Kölner Veranstaltung - sie mögen da draußen
       eine Rolle spielen, bei den anderen, die sich nicht auskennen. Hier drinnen
       lösen sie an diesem Abend mitleidiges Lächeln aus und die Bemerkung, in den
       USA, in England und all den anderen Ländern, in denen MMA inzwischen große
       Anhängerschaften hat, sei es am Anfang auch so gewesen.
       
       Anders als bei großen Boxabenden, bei denen die Vorkämpfe vor leeren Rängen
       stattfinden, ist die Kölner Halle schon zum ersten Kampf um Viertel vor
       sieben gut gefüllt. So verpasst auch niemand den zweiten Vorkampf, die
       Begegnung, die Veranstalter Marek Lieberberg später als die beste des
       Abends bezeichnen wird. Im Schwergewicht stehen sich gegenüber der
       21-jährige Stefan Struve aus Holland, ein 2,11 Meter großer Türsteher, und
       der 29-jährige Bosnier Denis Stojnic, der derzeit ein Sportstudium
       abschließt, als Beruf aber angibt, schon immer ein Kämpfer gewesen zu sein.
       Sie sind nicht die Vorzeigeathleten der UFC, die sich damit rühmt, an die
       80 Prozent ihrer Kämpfer hätten eine Ausbildung oder ein Studium
       absolviert. Das gilt etwa für Rich Franklin, der Stunden später den
       Hauptkampf gegen den Brasilianer Wanderlei Silva gewinnen wird. Franklin
       ist Mathematiklehrer.
       
       Im Kampf zwischen Struve und Stojnic zeigt sich die ganze Bandbreite von
       MMA. Schon in der erste Runde gerät Struve unglücklich in die Rückenlage,
       kann keine gute Verteidigung aufbauen, wird immer wieder von Schlägen am
       Kopf getroffen. "Ground and Pound" heißt es im Fachjargon, wenn der Kämpfer
       oben auf den liegenden schlägt. Stojnic kann zwar nicht ausreichend Kraft
       in seine Schläge legen, um den Kampf zu beenden, aber genug, um Struve eine
       heftige Platzwunde auf der Stirn beizubringen, die stark blutet.
       
       Der Kampf wird kurz unterbrochen, der Ringarzt besieht die Wunde und
       erklärt Struve für kampffähig. Die Situation im Moment der Unterbrechung
       wird wiederhergesellt, Struve muss sich wieder auf den Rücken legen, den
       Gegner wiederum über sich lassen, bevor der Kampf wieder angepfiffen wird -
       und Struve sofort weitere Schläge ins Gesicht kassiert. Blutüberströmt
       rettet er sich in die Rundenpause, seine Wunden werden notdürftig versorgt.
       Zwei schwarz gekleidete Helfer versuchen, mit Wasser und Handtüchern das
       viele Blut vom Ringboden wegzuwischen - ein vergebliches Unterfangen.
       
       Die zweite Runde beginnt ähnlich. Struve findet sich erneut am Boden
       wieder, diesmal allerdings hat er Stojnic in einer guten Beinschere. Struve
       gilt als Spezialist für Würgegriffe, aber kann er überhaupt noch sehen?
       Kopf, Schultern, Arme beider Kämpfer sind voll von Struves Blut, beide
       Kämpfer wälzen sich verschlungen herum, als Struve der entscheidende Dreh
       gelingt - er zwängt den Hals von Stojnic in einen Rear Naked Choke - einen
       Würgegriff, der die Blutzufuhr zum Gehirn unterbricht, sodass binnen
       Sekunden Bewusstlosigkeit eintritt. Stojnic bleibt nur das schnelle
       Abklopfen, solange er noch etwas merkt. Nach 7 Minuten und 43 Sekunden ist
       der Kampf vorbei - und Struve, der einen Liter Blut verloren haben muss,
       hat den Kampf gewonnen und jubelt. Die Halle tobt vor Begeisterung.
       
       Das Blut habe ihn nicht erschreckt, wird Struve vier Stunden später bei der
       Pressekonferenz erzählen, mit einem großen Pflaster auf der Stirn und
       Wunden an Hals und Gesicht, als sei er in einen Häcksler geraten, aber
       gelöst und glücklich über den Sieg. Es sei nur schwierig gewesen, die
       Griffe richtig anzusetzen, weil alles so glitschig gewesen sei, sagt er
       ganz technisch. Es ist eine Demonstration von Härte und Taktik: Struve hat
       einstecken müssen, doch durch Geschick den Kampf für sich entscheiden
       können. Die ganze Faszination der MMA. Und gleichzeitig der Grund, warum
       viele sich voller Abscheu abwenden.
       
       Es bleibt der spektakulärste Kampf des Abends. Sieben der insgesamt 12
       Kämpfe enden nach vollständig gekämpften drei Runden à fünf Minuten durch
       Entscheidungen der Punktrichter, drei durch Aufgabe, zwei nach Abbruch
       durch den Ringrichter ("technischer K.o."). "Prügeln, bis einer nicht mehr
       aufsteht", wie manche Medien und Politiker MMA vorher beschrieben hatten,
       ist in Köln nicht zu sehen. Die meisten Kämpfe sind vor allem durch Taktik
       und Vorsicht bestimmt. Die Kämpfer kennen die jeweiligen Stärken und
       Spezialtechniken ihrer Gegner und geben alles, sie zu vermeiden. Die
       Paarungen sind durchweg gleichwertig - hier trifft kein starker Kämpfer auf
       hilfloses "Fallobst", wie es im Berufsboxen gang und gäbe ist, um
       aufstrebenden Boxern zu grandiosen Kampfrekorden zu verhelfen.
       
       Bei der anschließenden Pressekonferenz zeigen sich UFC-Präsident Dana
       White, die Kämpfer selbst und der deutsche Veranstalter Marek Lieberberg
       über den Abend höchst zufrieden. Der Sprung aufs europäische Festland sei
       jetzt geschafft, sagt White, nun werde es weitergehen.
       MMA-Kampfsportschulen werden entstehen, das Interesse wird steigen, sagt
       White überzeugt. So war es überall, wo die UFC angefangen hat, so wird es
       auch hier sein.
       
       Marek Lieberberg hofft, dass wenigstens die Verleumdungen aufhören. Und
       tatsächlich: Wer diesen Abend erlebt hat, muss sicher nicht zum Fan der
       Mixed Martial Arts werden. Wer jede Art von Kampfsport ablehnt, wird die
       Käfigkämpfe genauso daneben finden. Die Propaganda aber, bei den
       Käfigkämpfen handele es sich im Unterschied zum Boxen um hirnlose Gewalt
       ohne Regeln - wenigstens dieser Blödsinn sollte in Deutschland nun
       vorbeisein. Sie wird dem Sport nicht gerecht. Denen nicht, die ihn gut
       finden - und erst recht nicht denen, die ihn betreiben.
       
       15 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
       ## TAGS
       
   DIR Mixed Martial Arts
       
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