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       # taz.de -- Samy Deluxe im Interview: "Niemand kann mich abschieben"
       
       > Der Hamburger Rapper Samy Deluxe über Rassismus, Verantwortung für
       > Jüngere und die Motive, eine Autobiografie zu veröffentlichen, die sich
       > mit seinem Verhältnis zu Deutschland auseinandersetzt.
       
   IMG Bild: "Negativer Kram führt nur zu noch mehr negativem Kram."
       
       taz: Samy Deluxe, wann wurde Ihnen als Kind bewusst, dass sie Schwarzer
       sind?
       
       Samy Deluxe: Ab der zweiten Klasse haben mich Mitschüler Neger oder Nigger
       genannt. Ich wurde aber auch ständig gehänselt, warum meine Haare so glatt
       seien, ob ich denn überhaupt ein echter Neger sei. Die Widersprüche haben
       bei mir selbst bohrende Fragen ausgelöst. Es gab in meinem Umfeld kaum
       Afrodeutsche, die ich hätte um Rat fragen können. Eine Klassenkameradin war
       nigerianischdeutsch. Die hatte es leichter, ihr Elternhaus war im Gegensatz
       zu meinem intakt.
       
       War es schwierig, ohne Vater aufzuwachsen? 
       
       Als Kind war ich darüber nicht traurig. Schon damals gab es aber
       Alltagssituationen, in denen ich auf die Probe gestellt wurde. Je
       erwachsener ich wurde, desto mehr habe ich meinen Vater vermisst. Kontakte
       zu erwachsenen Schwarzen bekam ich erst mit elf, als ich meine
       sudanesischen Verwandten in England besucht habe.
       
       In Ihrer Autobiografie beschreiben Sie, wie Sie während eines
       USA-Aufenthalts ins Grübeln über ihr Heimatland geraten sind. Eigentlich
       sei es zu Hause doch ganz cool, finden Sie. 
       
       Was ich in diesem Moment bemerkt habe, war, nach welchen Kriterien man
       überhaupt einen Ort bewertet, an dem man lebt. Es ist nicht so, dass ich
       das, was mir hier missfällt, unter den Teppich kehre. Ich habe mit meinem
       Buch keine Lobeshymne auf Deutschland verfasst. Aber mir ist aufgefallen,
       dass mein Land aus mehr besteht als aus der Nazivergangenheit. Die Leute,
       die meine Konzerte besuchen, gehören auch hierher. Die werden zu wenig
       gelobt, und es fehlt daher an gegenseitigem Respekt.
       
       Das sagt jemand, der aus der Hiphop-Kultur kommt, wo Dissen, also
       Anpflaumen, die harte Währung ist? 
       
       Sie stecken mich in eine bestimmte Schublade, aber die Welt ist nicht
       schwarz-weiß. Klar habe ich als Rapper andere gedisst, wurde selbst
       gedisst. Aber ich habe längst begriffen: Negativer Kram führt nur zu noch
       mehr negativem Kram.
       
       Schwäche zeigen ist für Rapper tödlich. Müssten Sie nicht rappen: "Fick
       deine Mutter!" Stattdessen bekennen Sie in Ihrem Buch, beim Psychiater
       gewesen zu sein. 
       
       Während der Produktion an meinem neuen Album habe ich regelmäßig
       Hiphop-Workshops an Hamburger Schulen unterrichtet und kapiert, wie wichtig
       es ist, Verantwortung für Jüngere zu übernehmen. Oft wurde ich von Schülern
       gefragt, warum ich nicht voller Hass sei, da doch mein Rap-Kollege Bushido
       mehr Geld verdienen würde. Dann habe ich geantwortet, dass Bushido nicht
       ohne Bodyguards aus dem Haus gehen kann, während ich hier in der Schule
       ohne Bodyguard unterrichte. Ich gebe in meinem Buch auch zu, dass ich
       Steuerschulden habe.
       
       Sie schreiben auch offen über Ihren Drogenkonsum. Machen Sie sich damit
       nicht als Vorbild angreifbar? 
       
       Früher habe ich nie etwas von mir preisgegeben, trotzdem wurde ich ständig
       angefeindet. Jetzt erzähle ich etwas von mir und biete trotzdem wenig
       Angriffsfläche. Denn ich erzähle es selbst, das tun nicht andere über mich.
       
       Wie hat sich Ihr eigener Rapstil entwickelt? 
       
       Über das Imitieren. Ich könnte aus dem Stand ein Dutzend Rapper nachahmen,
       von deren Flow über die Atemtechnik bis hin zur Tonlage. Als ich ein
       Interview mit dem französischen Rapper MC Solaar gelesen habe, ging mir ein
       Licht auf. Er meinte, wenn US-Rapper auf Englisch rappen, dann geht das auf
       Französisch auch. Da dachte ich, dann rappe ich eben auf Deutsch.
       
       "Fremd im eigenen Land" von Advanced Chemistry war der erste Rapsong in
       deutscher Sprache, der bewiesen hat, dass Rap auf Deutsch funktioniert. Sie
       zitieren ihn auf Ihrem neuen Album. 
       
       "Fremd im eigenen Land" hab ich 1992 zum ersten Mal gehört, als ich auf
       einem Konzert war, auf dem meine Freunde, die Beginner, zusammen mit
       Advanced Chemistry aufgetreten sind. Ihr Song war total inspirierend für
       mich.
       
       Fühlen Sie sich "Fremd im eigenen Land"? 
       
       Emotional ist mir Deutschland fremd, aber mein Ego und mein Geist wissen,
       dass ich aus der Geschichte hier nicht auszuradieren bin. Niemand kann mich
       abschieben, ich habe einen deutschen Pass!
       
       Sie schreiben in Ihrem Buch, Ihr Sohn kenne den Ausdruck "Neger" gar nicht
       mehr. Hat sich in Sachen Rassismus etwas getan? 
       
       Ein paar Wochen später kannte er ihn dann doch. Seit meinem Statement, dass
       Deutschland gar nicht so schlimm sei, merke ich oft, dass viele Sachen hier
       falsch laufen. Pauschal sagen, Deutschland ist scheiße, das kann ich aber
       nicht. Ich bin für Kommunikation, für Integration, für Zusammenhalt.
       
       Gab es das alles in der Hamburger Rapszene? 
       
       Wir fingen an als kleine Rap-Enklave mit unserem "Bassment"-Studio in
       Hamburg-Eimsbüttel, wo jeden Tag Leute vorbeikamen, um gemeinsam Musik zu
       machen. Darauf waren wir stolz und nicht darauf, dass wir härter als andere
       wären. Oberste Priorität war, sich gegenseitig zu feiern und die Dinge
       positiv zu sehen. Unsere Szene ist aus einer Mischung aus Lokalpatriotismus
       und hanseatischem Understatement entstanden. Wir haben nie gesagt, wir sind
       besser als die anderen Städte.
       
       Wie wichtig war das Jugendzentrum "Trockendock" in Hamburg-Barmbek? 
       
       Sehr wichtig! Allgemein wird diese Art von Jugendkultur mit Hiphop und
       Breakdance inzwischen extrem vernachlässigt. Ich habe da gelernt, mit wenig
       etwas aufzubauen.
       
       Was ist das Ziel Ihres Vereins "Crossover"? 
       
       Wir wollten eigentlich ein Haus der Jugend in Hamburg aufbauen, das von
       staatlichen Geldern getragen wird, aber auch durch Mitgliedsbeiträge und
       Patenschaften. Leute mit mehr Kohle stehen für Ärmere ein. Alle waren von
       unserem Konzept begeistert, aber niemand hat gesagt, okay, hier sind die
       Millionen. Also haben wir die Dinge selbst in die Hand genommen: Jetzt
       bringen wir jeweils zwei Schulklassen aus verschiedenen Gegenden mit
       verschiedenen sozialen Hintergründen zusammen. Der Basketballprofi Marvin
       Willoughby gibt die Basketball-Workshops, ich unterrichte Rap.
       
       Was unterscheidet Samy Deluxe von Samy Sorge? 
       
       Ich weiß nicht, ob ich das künstlerisch so genau definieren will. Aber ich
       habe bemerkt, manche Statements, die ich als Rapper mache, lösen bei Leuten
       etwas aus, sodass sie mich als Mensch kritisieren. Letztendlich sehe ich
       "Dis wo ich herkomm" als Lernprozess. Durch die kontroversen Reaktionen auf
       meine Musik krieg ich neue Ideen. Ich denke, ich habe mit meinem Buch ein
       wichtiges Thema angestoßen.
       
       7 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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