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       # taz.de -- Montagsinterview Senatsbaudirektorin Regula Lüscher: "Unter den Fernsehturm passen keine Townhouses"
       
       > Soll Berlin wieder eine Altstadt bekommen? Kurz vor dem Baubeginn des
       > Humboldt-Forums hat sich Klaus Wowereit für eine Rekonstruktion
       > ausgesprochen. Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hält dagegen.
       
   IMG Bild: "In meinem Job muss man auch manchmal nerven", sagt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher.
       
       taz: Frau Lüscher, verzweifeln Sie manchmal an Berlin? 
       
       Regula Lüscher: Nein.
       
       Kommt jetzt noch ein aber? 
       
       Ohne aber.
       
       Andere scheinen jedenfalls an Ihnen zu verzweifeln. "Frau
       Senatsbaudirektorin, Sie nerven uns". So hat die Bild-Zeitung schon vor
       einem Jahr getitelt. 
       
       In meinem Job kann man es nicht jedem recht machen, man muss auch manchmal
       nerven. Man nervt, weil man gegensteuern muss, weil man öffentliche
       Interessen vertreten muss, oftmals gegen die Interessen Privater.
       Vielleicht fällt man manchmal auch dadurch auf, dass man sich das Recht
       herausnimmt, über Dinge vertieft nachzudenken. Stadtentwicklung ist eine
       komplexe Angelegenheit.
       
       Was man Ihnen vorwirft, ist eher konkret: Sie hätten versucht, die
       Humboldt-Box an der Baustelle des Stadtschlosses zu verhindern. Sie seien
       verantwortlich für die gescheiterte Ausschreibung bei der Sanierung der
       Staatsoper. Auch die Morgenpost meinte: "Berlins überforderte
       Baudirektorin". Läuft da was schief? 
       
       Ich habe die Humboldt-Box nicht verhindert, im Gegenteil: Durch meine
       starke Intervention haben sich alle Beteiligten nochmals bewegt, so dass
       endlich ein Standort gefunden wurde. Auch das Thema Staatsoper ist typisch
       für einen Zielkonflikt: Wenn Sie das Denkmal erhalten wollen, geht das auf
       Kosten der Akustik. Wollen Sie die Akustik in Ordnung bringen, leidet das
       Denkmal. Beides geht nicht. Das muss man akzeptieren. Deshalb mussten wir
       intensiv diskutieren und haben anschließend entschieden. Jetzt wird
       saniert.
       
       Sowohl bei der Staatsoper als auch bei der aktuellen Diskussion über die
       Bebauung des Marx-Engels-Forums waren es der Regierende Bürgermeister Klaus
       Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz, die ein Machtwort
       gesprochen haben. Wer baut denn eigentlich in Berlin? 
       
       Der Senat baut für die Berlinerinnen und Berliner. Dabei ist der Senat aber
       darauf angewiesen, dass er in seinen stadtentwicklungspolitischen Fragen
       fachliche Unterstützung erhält. Ich sehe mich als Senatsbaudirektorin als
       fachliche Instanz. Dafür hat man mich auch geholt. Ich bemühe mich,
       zusammen mit der Verwaltung, aber auch mit anderen Experten, Konzepte zu
       erarbeiten, die aus fachlicher Sicht Sinn machen. Vor, nach oder parallel
       zur Fachdiskussion gibt es politische Diskussionen. Dass es dabei
       unterschiedliche Ergebnisse geben kann, finde ich völlig normal.
       
       Sie sind also Moderatorin, keine Chefin? 
       
       Ich sehe mich selbstverständlich als Chefin. Ich sehe mich aber auch als
       Gestalterin und als Impulsgeberin. Das heißt aber nicht, dass sich andere
       zu stadtentwicklungspolitischen Fragen nicht äußern sollen. Manchmal wird
       das in Berlin missverstanden und diese Kultur der Offenheit nicht als
       Stärke, sondern als Schwäche ausgelegt.
       
       In die Debatte um die Rekonstruktion der Altstadt hat sich inzwischen auch
       ihr Vorgänger Hans Stimmann eingeschaltet, Seit an Seit mit Wowereit. Wenn
       es nach Ihnen gegangen wäre, hätten Sie am Marx-Engels-Platz den laufenden
       Wettbewerb abgewartet, auf den Koalitionsvertrag hingewiesen, der an dieser
       Stelle eine Freifläche vorsieht, und das Verfahren dann ohne Zeitdruck
       moderiert. Haben Sie die Dynamik unterschätzt, die das Thema Berliner
       Altstadt mit sich bringt? 
       
       Die kritische Rekonstruktion zwischen Schloss und Fernsehturm ist eine
       uralte Idee. Dass man eine solche, nicht besonders innovative Idee wieder
       lanciert, finde ich keine besondere Leistung. Wichtig ist es aber, sich
       nun, nachdem man den Entwurf von Stella für das Humboldt-Forum gewählt hat,
       Gedanken über das Gegenüber zu machen, welches sich genau auf diesen
       Entwurf bezieht.
       
       Ist der Stella-Entwurf für Sie ein Abschluss der historischen
       Rekonstruktion Unter den Linden? Oder zwingt er auch auf der anderen
       Spreeseite zu einem baulichen Gegenüber? 
       
       Vor dem Wettbewerb zum Humboldt-Forum war diese Frage offen. Jetzt ist
       klar, dass das Schloss als Solitär verstanden wird. Sonst hätte man diesen
       Entwurf so nicht gewählt, der ja zum Beispiel auf eine kritische
       Rekonstruktion des Apothekerflügels gänzlich verzichtet. Eine bauliche
       Reaktion gegenüber ist damit nicht nötig.
       
       Welche Qualität hat das Gegenüber für Sie. 
       
       Sie haben das Marx-Engels-Forum mit dem Fernsehturm. Das ist eine
       axialsymmetrische Anlage, die enorm stark ist, eine Teilrekonstruktion
       eines Quartiers passt nicht dazu. Die axiale Ausrichtung und die Kraft des
       Fernsehturms, der ja auch ein Monument ist, das räumlich ausstrahlt, kann
       in keiner Weise mit einer solchen Teilrekonstruktion zusammenkommen. Unter
       den Fernsehturm passen nun einmal keine kleinen Townhouses.
       
       Das Wettbewerbsverfahren, das derzeit läuft, schließt also eine Bebauung
       aus? 
       
       Mich interessiert in diesem Verfahren vor allem, wie andere europäische
       Städte mit solchen Plätzen und Räumen umgehen. Man muss auch wahrnehmen,
       was zwischen Marx-Engels-Forum und Fernsehturm an Qualität vorhanden ist.
       Aus dieser Analyse heraus kann man dann weitere Schritte entwickeln. Denn
       für mich ist klar: Das Marx-Engels-Forum ist ein öffentlicher Raum.
       
       Nun hat sich auch Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer in die
       Diskussion eingemischt und erklärt, sie könne sich auf dem Areal auch die
       heiß ersehnte Berliner Kunsthalle vorstellen. Ist der politische Druck so
       groß, dass man mit fachlichen Argumenten allein nicht mehr weiterkommt? 
       
       Wir wollen beide einen öffentlichen Ort. Was wir bislang haben, ist ein
       grün geprägter öffentlicher Raum. Wenn Frau Junge-Reyer nun eine Kunsthalle
       ins Spiel bringt, zeigt das: Wenn man an diesem Ort überhaupt an einen
       Weiterbau denkt, kann es nur eine öffentliche Institution sein, ein Solitär
       und nicht ein Stadtquartier.
       
       Der Regierende Bürgermeister hat sich ja nicht nur zu diesem Thema
       geäußert. Bei einer Stadtrundfahrt mit Frau Junge-Reyer und Ihnen hat er
       sich auch über die Alexa beklagt oder über Kaugummis auf dem neu
       gepflasterten Alexanderplatz. Hält da plötzlich der Populismus Einzug in
       die Stadtentwicklungsdebatte? 
       
       Als sich der Regierende Bürgermeister auf der Stadtrundfahrt geäußert hat,
       fand ich das einfach nur positiv. Er äußert eine persönliche Meinung und
       nimmt kritisch Stellung. Er hat da so seine Art, die Dinge auf den Punkt zu
       bringen.
       
       Mit Verlaub - den Mitarbeitern Ihrer Verwaltung stand in diesem Moment das
       Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Und Frau Junge-Reyer musste hinterher
       schnell auf eine geplante Gestaltungsverordnung für den Alexanderplatz
       verweisen. 
       
       Die Gestaltungssatzung war keine Reaktion auf Wowereit, sie bezieht sich
       auch nicht auf den Alexanderplatz.
       
       Sie wurde von Ihrer Senatorin als solche aber ins Spiel gebracht. 
       
       Die Gestaltungsverordnung war schon in Arbeit, als ich mein Amt antrat. Man
       war sich bewusst gewesen, dass die Verordnung Unter den Linden ergänzt und
       auch an das angrenzende Gebiet angepasst werden soll. Die Äußerung des
       Regierenden hat dann dazu geführt, dass Frau Junge-Reyer gesagt hat: Ja, es
       ist richtig, wir müssen uns natürlich um Qualität kümmern. Und ein
       Instrument dafür können Gestaltungsverordnungen sein. Die wiederum machen
       nur an gewissen Stellen Sinn. Diese Verordnung ist in der Zwischenzeit
       ausgearbeitet. Einerseits bringt sie eine gewisse Liberalisierung, weil
       sich die strenge Ordnung Unter den Linden nicht bewährt hat. Andererseits
       bezieht sie sich auf das Unesco-Weltkulturerbe Museumsinsel. Da geht es
       auch darum, den Kontext etwas zu kontrollieren. Das zwingt Investoren dazu,
       Qualität in der Architektur zu bringen.
       
       Hätten Sie mit dieser Verordnung die Alexa, wie sie heute dasteht,
       verhindern können? 
       
       Nein. Dieses Areal wird von der Verordnung nicht einbezogen.
       
       Sie haben einmal gesagt, Sie hätten den Druck der Politik in Berlin
       unterschätzt. Wie gehen Sie mit dem Druck um? Beim Joggen um den
       Schlachtensee? 
       
       Ja, ich gehe joggen, auch um den Schlachtensee. Ich mache Yoga, sehr
       intensiv. Das Segeln ist wichtig. Mal eine Woche weg und wirklich im Sturm
       zu sein, fünf Stunden am Steuer, das liebe ich. Das gibt mir ein Gefühl
       dafür, was Druck wirklich bedeutet. Das hat etwas Befreiendes.
       
       Wie stark ist denn dieser Druck, und wie viel Irrationalität ist da dabei?
       Vor Jahren noch galt der Versuch, großflächige Werbeplakate zu verhindern,
       der Bauverwaltung als investitionsfeindlich? Heute will die Bauverwaltung
       selbst verhindern. 
       
       Stadtplanung ist immer einem Druck ausgesetzt, einem politischen Druck,
       einem Druck der öffentlichen Meinung, einem Druck der Investoren. Ich
       glaube nicht, dass der politische Druck zugenommen hat. Mal gibt es mehr
       Bedürfnis nach Regulierung, mal weniger. Stadtentwicklung ist ein großer
       Dampfer, auch wenn es viele Wellenbewegungen gibt, kann man deshalb Kurs
       halten.
       
       Haben sich die Ziele und Motive der Einflussnahme geändert? Gibt es heute
       ein stärkeres Bedürfnis nach der heilen Stadt oder der heilenden Wirkung
       des Städtebaus? 
       
       Wenn ich die zwanzig Jahre Stadtplanung seit der Wende beobachte, dann ist
       der Duktus die kritische Rekonstruktion, und die wollte schon immer Wunden
       heilen. Das ist in Berlin auch gelungen. Aber jetzt ist eine neue
       Senatsbaudirektorin da. Und ich stehe für etwas andere Werte. Junge-Reyer
       hat mich geholt im Wissen, dass ich eine Person bin, die für
       zeitgenössische Architektur steht. Ich stehe auch für eine andere
       planerische Kultur: für kooperative Prozesse, für dynamische Masterpläne,
       so wie wir das jetzt an der Heidestraße sehr erfolgreich umgesetzt haben.
       Das ist für mich professionelle Stadtplanung. Eine lebendige Diskussion
       gehört zu meinem Verständnis von Stadtplanung.
       
       Gibt es bei Stadtentwicklungspolitik auch Gewinnerthemen? 
       
       Die Heidestraße ist ein solches Gewinnerthema. Aber auch die Freifläche
       zwischen Fernsehturm und Spree. Den Fernsehturm lieben alle Berliner, an
       ihm orientieren sie sich. Dieser Fernsehturm produziert einen Stadtraum,
       der bis zur Spree reicht. Wenn man in diesem Raum etwas verändert, muss man
       den Fernsehturm immer mit einbeziehen.
       
       Das Abgeordnetenhaus hat gerade mit den Stimmen von SPD, Linken und Grünen
       einen Bebauungsplan für den Schlossplatz gefordert. Darin soll die
       Freifläche zwischen Spree und Fernsehturm festgeschrieben werden. Begrüßen
       sie das, oder ist das auch wieder eine Einmischung der Politik? 
       
       Das ist natürlich keine Einmischung der Politik. Das Abgeordnetenhaus macht
       vielmehr von seinem guten Recht Gebrauch, bei wesentlichen Fragen der
       Stadtentwicklung und Bebauung der Stadt mitzureden. Auch inhaltlich kann
       ich diesem Beschluss nur zustimmen. Zwischen Spree und Fernsehturm sollte
       es keine der barocken Stadt nachempfundene Bebauung geben. Es passt da
       einfach nicht hin.
       
       Was ist das Gewinnerthema an der Heidestraße? 
       
       Die Heidestraße bietet die Möglichkeit, an einer Wasserlage Wohnraum und
       innovative Architektur entstehen zu lassen. Das ist ein Angebot an
       Menschen, die in der Stadt leben, aber auch Natur haben wollen. Deshalb
       haben wir auch höchste Kriterien an ökologische Entwicklung. Zweitens: Das
       Gebiet kann sowohl von Bayer Schering, der Charité als auch vom
       Hauptbahnhof profitieren. Es gibt dort großes wirtschaftliches Potenzial,
       Stichwort Gesundheitswirtschaft. Schließlich wird es dort gelingen, einen
       Stadtteil zu entwickeln, der vielfältige und unterschiedliche Adressen hat.
       Es gibt den Kunstcampus, der wieder eine ganz andere Bevölkerungsschicht
       anspricht.
       
       Ist das Thema Mediaspree dagegen ein Verliererthema? Zum Konflikt über den
       Bürgerentscheid ist nun auch noch die Finanz- und Kreditkrise gekommen? 
       
       Längerfristig ist der Spreeraum kein Verliererthema, das ist ein
       hochattraktives Areal, einer der wichtigsten Entwicklungsräume am Wasser.
       Die alte Industriekante am Wasser ist ein hervorragender Ort für Wohnen und
       Dienstleistungen. Das Areal wird sich entwickeln, selbst wenn es
       gelegentlich Verzögerungen gibt.
       
       In Zürich haben Sie mitten in der Stadt gelebt. In Berlin haben Sie einen
       Bogen um Mitte, Prenzlauer Berg oder die Spree gemacht. 
       
       Liegt Wilmersdorf nicht auch mitten in der Stadt?
       
       Je nachdem, es kann auch ein Rückzugsort sein. 
       
       Eigentlich war das nicht geplant. Es war die zweite Wohnung, die ich mir
       angeschaut habe. Ein tolles Quartier, fünf Minuten zum Volkspark, da kann
       ich am Morgen joggen, viele Läden, das Yogastudio ist in der Nähe. Es ist
       alles da, was ich brauche, ich lebe ja allein in Berlin, mein Partner ist
       in der Schweiz. Dass es vermeintlich, im Vergleich zum Prenzlauer Berg, ein
       gewisser Rückzugsort ist, ist Ansichtssache. In ein paar Minuten bin ich zu
       Fuß in der City-West, die sehr lebendig ist und die ich sehr schätze.
       
       Berlin feiert in diesem Jahr 20 Jahre Mauerfall. Wo waren sie am 9.
       November 1989? 
       
       Ich war in Barcelona, auf einer Seminarwoche mit meinen Studenten. Wir
       haben dort Plätze angeschaut. Eine Assistentin von mir war Deutsche, die
       ist direkt zurückgeflogen. Das hat mich sehr beeindruckt.
       
       Was ist für Sie das gelungenste Beispiel der baulichen Veränderung seit der
       Wende? 
       
       Was mich sehr beeindruckt, ist Hellersdorf. Was für eine Leistung im
       Stadtumbau. Eine hohe Qualität, sozialverträglich.
       
       Was ist die größte Sünde? 
       
       Dass der Verlauf der Mauer kaum mehr zu sehen ist. Da hätte man sich mehr
       Zeit nehmen müssen. Aber ich kann auch gut verstehen, dass man damals
       schnell die Spuren der Teilung tilgen wollte.
       
       18 May 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR Haus der Statistik
       
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