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       # taz.de -- Sorrentinos Film "Il Divo": Eidechse der Macht
       
       > Dunkel funkelt die Selbstherrlichkeit. Um den italienischen Politiker
       > Giulio Andreotti geht es in Paolo Sorrentinos Burleske "Il Divo - Der
       > Göttliche".
       
   IMG Bild: Toni Servillo spielt den migränegeplagten Politiker Giulio Andreotti.
       
       Der Mann im Zentrum der Macht ist schmächtig und hutzelig. Und wenn sein
       Kopf, übersät mit den Akupunkturnadeln gegen die ständige Migräne, in einer
       Nahaufnahme aus dem Dunkeln auftaucht, dann weiß man bereits, dass das Böse
       in „Il Divo – Der Göttliche“ von Paolo Sorrentino nicht einfach nur
       niederträchtig ist, sondern auf seltsame Weise auch schwach, krank und
       erbärmlich. Seine Stärke muss also im Subtileren liegen. Im geheimen Wissen
       und im perfekten Verhältnis aus Reden und Schweigen. Da passt es gut, dass
       seine Ohren wie Satellitenschüsseln abstehen, denen keine dreckige Affäre,
       keine heimliche Geliebte, keine noch so kleine Schwäche seiner politischen
       Gegner entgeht.
       
       Brettgerade, halslos und mit hochgezogenen Schultern schiebt dieses Wesen
       seinen ihm eher lästigen als nützlichen Körper über das Schachbrettmuster
       der Hallen und Flure im Regierungspalast. Ein neoexpressionistisches
       Szenenbild, wie man es sich nicht besser und zeitgemäßer für einen
       Polit-Nosferatu unserer Tage hätte ausmalen können. Dieser Untote, den
       nichts anderes als Machtgier vorantreibt, der keine Gegenliebe, kein
       Mitleid, keine Sympathie braucht, um sich in seinem Tun bestätigt zu
       fühlen, ist Giulio Andreotti. Toni Servillo wiederum ist dieser Andreotti.
       Dafür wurde er 2008 als bester Schauspieler mit dem Europäischen Filmpreis
       geehrt. Und er spielt ihn tatsächlich so meisterhaft und stilisiert, mit
       einem minimalen Aufgebot an Gesten und Mimik, dass sich seine Schöpfung
       bereits nach wenigen Sekunden als eine der ambivalentesten Erscheinungen
       politischer Machthaberei aus dem Dunkeln schält. Abstoßend in seiner
       reptilienhaften Reglosigkeit und faszinierend in seinem jahrzehntelangen
       Erfolg zugleich.
       
       Die kühnsten Fantasien dieses verwachsenen kleinen Mannes von Macht und
       Unterwerfung werden schnell wahr. Andreottis Karriere beginnt bereits im
       Alter von 28 Jahren. Und sie verläuft so steil, andauernd und unglaublich,
       wie es dafür wohl in Europa kein zweites Beispiel gibt: Er wird siebenmal
       Regierungschef, zehnmal Verteidigungsminister, fünfmal Außenminister,
       zweimal Finanzminister, einmal Innenminister, einmal Schatzminister. Seit
       sechs Jahrzehnten mischt Andreotti in der italienischen Politik mit. Immer
       wieder (29-mal) wurde er angeklagt, mit der Mafia im Bunde zu stehen und in
       Korruptionsaffären die Fäden gezogen zu haben. Immer wieder (29-mal) wurde
       er freigesprochen. Im Januar dieses Jahres konnte der Ehrensenator auf
       Lebenszeit gelassen seinen 90. Geburtstag feiern.
       
       „Gott weiß, wie nötig das Böse ist, um das Gute zu erreichen, und ich weiß
       es auch“ – für solch dunkel funkelnde Selbstherrlichkeit im Wort, aber auch
       in seinem legendären Schweigen ist Andreotti bekannt. Was die italienische
       Gesellschaft keineswegs davon abhielt, sich mit der „Sphinx“, dem
       „schwarzen Papst“ oder der „Ewigkeit“, wie Andreotti gern im Volksmund
       genannt wurde, einzulassen. Er pflegte beste Kontakte zu den Würdenträgern
       der katholischen Kirche. Selbst seine erklärten Feinde und Kritiker mussten
       ihm strategische Genialität, rhetorische Eleganz und sogar einen gewissen
       Charme zuerkennnen. Die italienische Schriftstellerin und Journalistin
       Oriana Fallaci zeigte sich nach einer Begegnung mit Andreotti genau darüber
       verwundert. Und über die Finger des Machtmenschen, die so schmal, lang und
       weiß „wie Kerzen“ seien.
       
       Während Italien ein Netz aus Bestechung, Intrigen und Morden überzieht,
       prallen alle Vorwürfe an Andreotti ab. Nur die Politaffäre um Aldo Moro,
       Andreottis Parteikollegen, der 55 Tage nach seiner Entführung am 9. März
       1978 durch die Roten Brigaden erschossen wurde, verfolgt die Eidechse der
       Macht ihr Leben lang. In „Il Divo“ erscheint Aldo Moro Andreotti
       ausgerechnet auf der Herrentoilette wie ein Menetekel. Wenn wir schäumende
       Aspirintabletten bei ihrer Auflösung beobachten, ist das eine hübsche
       Anspielung auf den Spannungsschmerz, der sich in den ausgehenden 70ern
       zwischen organisiertem Verbrechen, Terrorismus und Staatsmacht aufgebaut
       haben muss.
       
       Neben der konsequenten Inszenierung als stoische Politburleske, in der
       Andreottis politische Gefährten nacheinander wie Schurken in einem
       Gangsterfilm der 50er-Jahre vorgestellt werden, ist jedoch noch etwas
       anderes ziemlich erstaunlich an „Il Divo“ – der Umstand, dass außerhalb
       Italiens kein Schwein die ganzen Andeutungen, Verflechtungen oder auch
       Behauptungen um Andreotti, die Justiz, die Exekutive, die Medien, den Mord
       und Totschlag der Mafia verstehen kann. Trotzdem hat es der Film bis zum
       Preis der Jury in Cannes gebracht, trotzdem kommt er in unsere Kino. Beides
       ist nicht einfach mit der Welle bemerkenswerter, zorniger italienischer
       Politfilme in der Tradition von Francesco Rosi erklärt, die zurzeit mit
       Filmen wie „Gomorra“ von Matteo Garrone internationales Aufsehen erregt.
       Dass „Il Divo“ ohne tieferes Verständnis für die Verflechtungen der
       Mafiamorde mit der jüngeren italienischen Politgeschichte funktioniert,
       liegt vermutlich an seiner Zeichenhaftigkeit und daran, dass er sich gar
       nicht erst an die große Aufklärung und Enthüllung wagt. Fließend geht das
       Analytische über ins Anekdotische und weitet „Il Divo“ zur Komischen
       Politoper über Italien und seine Macht-Stronzos.
       
       14 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birgit Glombitza
       
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