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       # taz.de -- Psychologe Rolf Pohl über Sexismus: "Männer haben Angst vor Frauen "
       
       > Wir erleben eine "rhetorische Modernisierung", sagt der Sozialpsychologe
       > Rolf Pohl. Frauen werden kaum noch offen diskriminiert. Doch Männer
       > brauchen weiterhin das Gefühl, die Mächtigeren zu sein.
       
   IMG Bild: Mit ihren sexistischen Werbeplakaten wollte die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) den Absatz von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ankurbeln.
       
       taz: Herr Pohl, die Frauenbewegung der Siebzigerjahre hat unsere
       Gesellschaft als sexistisch beschrieben. Ist sie das noch? 
       
       Rolf Pohl: Ja. Aber "Sexismus" war eine Kampfparole in einer Zeit, in der
       Männer ihren Herrschaftsanspruch noch ganz offen formulierten. Heute ist
       sexistisches Verhalten offiziell verpönt, wir haben eine rhetorische
       Modernisierung erlebt. Weil die Diskriminierungen subtiler geworden sind,
       wirkt der Begriff nun ungenau. Ich würde auch nicht mehr sagen, wir leben
       in einem Patriarchat, sondern: Wir leben in einer männlich dominierten
       Gesellschaft mit klaren Geschlechterhierarchien.
       
       Was ist der Unterschied? 
       
       Niemand sagt mehr: Eine Frau darf nicht Bundeskanzlerin oder Führungskraft
       werden. Aber die Eigenschaften, die etwa dem Amt von Frau Merkel
       zugeschrieben werden, sind einer positiven Vorstellung von dominanter
       Männlichkeit entliehen. Und dann ist das Geschlecht der Amtsinhaberin
       natürlich mediales Dauerthema. Dieser Umstand ist mit "hegemonialer
       Männlichkeit" besser beschrieben als mit dem Begriff Patriarchat, in dem
       eine Frau auf dem Posten des Kanzlers nicht akzeptabel ist.
       
       Und woran erkennt man die Hegemonie? 
       
       Die australische Soziologin Raewyn Connell weist drei Bereiche aus: Wer
       dominiert in der Wirtschaft? Wer dominiert in der Politik? Und wer
       dominiert in den emotionalen Beziehungen? Wer bekommt Aufmerksamkeit, Geld
       oder Zuwendung, und welches Geschlecht wird eher diskriminiert? Besonders
       in den privaten Beziehungen gibt es eine sehr starke Ausprägung männlicher
       Vorherrschaft.
       
       In den privaten Beziehungen? Das würden viele Paare von sich weisen. 
       
       Natürlich versuchen viele Männer, die Idee der Gleichberechtigung zu leben.
       Aber zum einen hat derjenige mehr Macht, der Zugang zu Geld hat. Zum
       anderen findet vieles unbewusst statt. Sexismus wird oft verlagert, in
       Witzchen etwa. Freud würde sagen: Ein offiziell tabuisiertes Thema -
       Frauenverachtung - taucht als Witz wieder auf. Wenn man darüber lacht,
       schadet man Frauen nicht direkt und gilt deshalb nicht als Sexist. Männer
       generieren auch Macht in ihrer Beziehung, indem sie Aufmerksamkeit
       verweigern, hinhalten, Aufgaben vergessen, Bedürfnisse ihrer Partnerin
       ignorieren.
       
       Männer können halt nicht anders, sagt man heute gern: Sie sind
       hirnphysiologisch so veranlagt. Kann man das Sexismus nennen? 
       
       Das ist auch verschobener Sexismus. Man findet pseudorationale Begründungen
       dafür, dass das Geschlechterverhältnis ungleich bleiben muss. Dabei ist die
       Hirnfrage extrem strittig: Viel spricht dafür, dass die Hirnstrukturen
       nicht naturgegeben so sind, sondern sich in unserer Kultur so entwickelt
       haben. Vor allem ist interessant, worauf die Wissenschaft sich
       konzentriert. Plakativ ausgedrückt: Wir können gesellschaftliche Stereotype
       verändern, wenn wir wollen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf das, was
       die Geschlechtsunterschiede endgültig als natürliche erscheinen lässt. Das
       ist Vermeidungsverhalten. Dieser Biologismus ist so gesehen eine neue Form
       des Sexismus.
       
       Das klingt, als wollten Männer Frauen generell abwerten. Das glauben Sie
       nicht wirklich, oder? 
       
       Das Problem ist: Männliche Identität ist so konstruiert. Zu dieser
       Identität gehört das unbewusste Bedürfnis, sich aufzuwerten, indem Frauen
       abgewertet werden. Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion
       abzugrenzen ist sehr schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem
       kleinen Jungen ein - und erfährt immer wieder Nachprägungen.
       
       Die Abwertung von Frauen gehört fest zur männlichen Identität? 
       
       Wenn man sich anschaut, was in unserer Gesellschaft als männlich gilt, dann
       finden sich immer wieder zwei dominante Merkmale: zum einen eine Hierarchie
       innerhalb der Männergruppe - Status- und Rangkämpfe sind für eine männliche
       Identität sehr wichtig. Und zum anderen die Abgrenzung zur Weiblichkeit,
       die alle Männer in ihrer Überlegenheit miteinander vereint.
       
       Aber die Abgrenzung muss doch nicht zwangsläufig negativ ausfallen. 
       
       Sie tut es aber. Wenn man die Gruppe der Männer höher bewertet als die der
       Frauen, kann man jenseits der Hierarchiekämpfe eine Gruppenidentität
       herstellen. Deshalb kommt es in reinen Männerrunden manchmal zu
       Verbrüderungsszenen, in denen Frauen sexualisiert und als minderwertig
       markiert werden. Etwa beim gemeinsamen Puffbesuch: Frauen haben dort Männer
       zu bedienen und Männer können ihre heterosexuelle Potenz vor den anderen
       demonstrieren. Diese gemeinsamen Erfahrungen zur Stabilisierung einer
       männlichen Gruppenidentität auf Kosten abgewerteter Frauen ist ein Beispiel
       für das, was nach Connell als "patriarchale Dividende" bezeichnet wird.
       
       Sie sagen, die Geringschätzung präge sich früh ein. Wie tut sie das? 
       
       Unser vorherrschendes Männlichkeitskonzept lautet: Sei autonom, hab alles
       unter Kontrolle. Besonders in der Sexualität hat ein Mann aber weder seine
       Sexualfunktionen noch die Aktion oder Reaktion der Frau unter Kontrolle.
       Diese Diskrepanz macht in zweifacher Richtung Angst: Nach einer Umfrage
       haben 84 Prozent der deutschen Männer Angst vor Potenzversagen und 88
       Prozent Angst vor Frauen. Und diese Angst wird häufig durch eine
       Kontrollfantasie kaschiert: Ich kann immer, sie will immer. Je abhängiger
       er sich fühlt, desto eher neigt er zur Kontrolle bis hin zur Gewalt. Und da
       geht es nicht um Bagatellen, solange die UNO zählt, dass weltweit jede
       dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von Männern körperlich oder
       sexuell misshandelt wird.
       
       Reagieren Männer deshalb so allergisch auf Feministinnen? Weil die sich der
       Kontrolle entziehen? 
       
       Ja, das ist eine mögliche Abwehrstrategie zur Bestätigung einer "intakten"
       Männlichkeit. Feministinnen wurden und werden lächerlich gemacht. Es gibt
       natürlich immer Unterschiede in der Heftigkeit der Abwehr. Das Extrem war
       wohl der Kanadier, der Mitte der Neunziger mit einer Schnellfeuerwaffe in
       einen Hörsaal stürmte, alle Männer rausschickte und einen Großteil der
       Frauen erschoss, mit dem Ausruf: Ihr Feministinnenpack!
       
       Der war ja wohl schwer gestört. 
       
       Aber wie kam er auf die Idee, seine Störung an vermeintlichen Feministinnen
       auszuleben? Auch viele Sexualstraftäter sind "gestört". Aber wo holt man
       sich eine ultimative Machterfahrung, wenn die Kontrolle über das eigene
       Leben zu entgleiten droht? Bei der Gruppe, von der man sich mit aller Macht
       abgrenzen will und die vermeintlich Schuld an der eigenen Misere trägt.
       
       Und wie soll man daran etwas ändern können? 
       
       Man muss an die Wurzeln gehen. Im Moment wird der Mythos aufrechterhalten,
       dass Männer ihre Sexualität benutzen können, wie sie wollen. Entweder als
       Waffe oder friedlich. Die Angst, die dem zugrunde liegt, kommt nicht zur
       Sprache. Über diese Angst müssen wir reden, nicht erst über ihre
       Konsequenzen, die Gewalt.
       
       Können Eltern ihre Söhne zu "Antisexisten" erziehen? 
       
       Da bin ich etwas skeptisch. Solange es gesellschaftlich verpönt ist, dass
       Männer ihre Hilfsbedürftigkeit zugeben, kann sich das Gefüge nicht ändern.
       
       Aber es gibt Väter, die Elternzeit nehmen. Trauen Sie denen nichts zu? 
       
       Das sind sehr wenige, die einen verlängerten Familienurlaub nehmen. Vor
       allem aber kommt es darauf an, welche Form von Männlichkeit der Vater
       repräsentiert. Der Vater kann nach außen wie ein "neuer Mann" wirken - aber
       unbewusst weiter seine Frau abwerten, etwa weil er sich als Supervater
       inszeniert, der alles besser kann. Dann hat er wieder das traditionelle
       Männlichkeitsbild vermittelt.
       
       Wie sollen sich Männer verhalten? Alles herkömmlich "Männliche" wird doch
       honoriert. Kein Wunder, dass keiner der Frauenversteher sein will. 
       
       Eines der wirksamsten Mittel gegen Vorurteile ist für meinen Lehrer Peter
       Brückner das Hören auf "unpassende Nachrichten". Das heißt, man darf dieses
       Unbehagen in den Geschlechterbeziehungen nicht zukleistern, sondern muss
       weiterfragen, was für eine Angst die Männer an diesem Punkt befällt.
       
       Die sogenannten Alphamädchen betonen, sie wollten nicht gegen Männer,
       sondern mit Männern Feministinnen sein. Was halten Sie davon? 
       
       Das ist zunächst positiv. Man kann etwas über wechselseitige Wahrnehmungen
       herausfinden und zusammen etwas entwickeln. Allerdings macht mich stutzig,
       wie diese Rede geführt wird. Wenn die geltenden Männlichkeitsideale nicht
       infrage gestellt werden, dann betreiben diese Frauen bloße Affirmation.
       
       Sie halten wohl nicht viel vom neuen Feminismus? 
       
       Der "neue Feminismus" ist für mich zunächst ein medial inszeniertes
       Backlash-Phänomen. Junge, hübsche Gesichter werden hier zu den alten
       feministischen "Schlachtrössern" in Konkurrenz gesetzt. Das dient erst
       einmal dazu, den "alten Feminismus" abzuwerten. Aber diese Frauen
       analysieren die vorherrschenden Machtstrukturen nicht. Sie folgen eher dem
       allgemeinen Trend der Individualisierung, nach dem jeder seines Glückes
       Schmied ist. Das ist keine Kritik an der Geschlechterhierarchie. Ein
       Feminismus, der nichts verändern will, ist keiner.
       
       Wie reagieren Männer darauf, wenn Sie sie auffordern, sich mit ihrer Angst
       zu beschäftigen? 
       
       Bei meinen Vorträgen reagieren vor allem die Frauen positiv. Männer sind
       eher irritiert und oft peinlich berührt. Über seine Ängste nachzudenken
       anstatt sie als Bedrohung abzuwehren ist in der Männerrolle nicht
       vorgesehen.
       
       6 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
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