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       # taz.de -- "Watchmen"-Schöpfer über Superhelden: Nixons sadistische Superhelden
       
       > Mit seiner Graphic Novel "Watchmen" hat Alan Moore das Superhelden-Genre
       > revolutioniert. Von der aktuellen Filmadaption seiner Werke hält der
       > Brite nicht viel.
       
   IMG Bild: Sadismus und Selbstgerechtigkeit statt muskelbepacktem Heiligenschein: Teile des "Watchmen"-Teams.
       
       Superhelden, die vergewaltigen, Nixon zu einer dritten Amtszeit verhelfen
       und mit dem Weltuntergang zündeln. Ein Comic, der Fragmente von Fanzines,
       Krankenberichten und eine Biografie enthält: Inhaltlich wie formal hat Alan
       Moores "Watchmen" das Genre revolutioniert. Und zwar mit Fragen, die vor
       ihm niemand gestellt hat: Was passiert mit Männern, die für sich das Recht
       beanspruchen, über dem Recht zu stehen? Nicht ein muskelbepackter
       Heiligenschein, sondern Sadismus und Selbstgerechtigkeit sind elementare
       Bestandteile der Superhelden-Selbstjustiz. "Warum sind Superhelden in
       Amerika entstanden?", fragt sich Moore - und gibt sich gleich selbst die
       Antwort: "Amerika zieht nur in einen Krieg oder Konflikt, wenn es über eine
       überwältigende taktische Überlegenheit verfügt. Superhelden sind Ausdruck
       des Wunsches nach Unverletzlichkeit."
       
       Die Verfilmung von Moores Comic wird ab der kommenden Woche weltweit in den
       Kinos zu sehen sein. Regisseur Zack Snyder hat sich des Stoffs angenommen,
       Alan Moore zeigt sich aber wenig davon begeistert. Auch andere Adaptionen
       seiner Comics wie "V wie Vendetta" fanden in seinen Augen keine Gnade.
       Moore kam 1953 im englischen Northampton zur Welt, wo er heute noch lebt.
       Nur selten verlässt er den Ort; kauzig lässt er verlauten, er schätze
       Telefoninterviews, da müsse er nicht aus dem Haus. Der erste Höreindruck
       ist eine Überraschung: ein elegantes Englisch, eine sehr ruhige Diktion,
       kontrastiert durch eine starke Dialektfärbung. Moore erzählt gerne, seine
       Ausführungen sind luzide, er ist ein hervorragender Interpret seiner
       eigenen Arbeiten.
       
       Eine Eigenschaft, die ihm sicher bei der Arbeit mit Zeichnern geholfen hat,
       bei dem, wie er sagt, "einzigartigen Effekt, der bei der Vereinigung von
       Bild und Text im Comic entsteht". Moore ist seit fast 30 Jahren einer der
       gefragtesten Szenaristen, der mit ganz unterschiedlichen Künstlern
       zusammenarbeitet. Und überraschenderweise einer, der sowohl im
       Avantgardemagazin Raw als auch beim mächtigen DC-Verlag veröffentlichte,
       einer, den also alle zu mögen scheinen. Ein Buchmensch, dem Shelleys
       romantische Gedichte ebenso nah sind wie die Superman-Geschichten aus den
       30ern, der aber auch über die Zeitphänomene im Einsteinschen Universum
       Bescheid weiß. All das fließt in seine Comics ein, nie als
       Bildungsprunkstück oder schmückendes Beiwerk. In seinem Erzählen gibt es
       immer mehrere Ebenen, die auf ihre Art die Geschichte voranbringen: als
       Theorie, als Ausblick, als Kontrast.
       
       Herausragend sind seine Arbeiten dann, wenn er ein Genre neu definieren
       will - was ihm nach eigener Aussage nicht immer gelingt. Seine Figuren sind
       extrem, viele von ihnen vereinbaren scheinbar diametral entgegengesetzte
       Motive: einen wissenschaftlich geschulten Geist mit kaltem Messianismus.
       "Im Comic gibt es sehr dramatische Charaktere, die dazu neigen, was immer
       sie ausmacht, bis ins Extrem auszuleben. Mutmaßlich gehen deswegen meine
       Helden so weit in ihrem Streben nach Apokalypse oder Utopie. Oder sie
       streben nach der Utopie und der Apokalypse gleichzeitig."
       
       Diese spannungsgeladene Gleichzeitigkeit macht Moores Figuren einzigartig.
       Sie passen in kein Gut-Böse-Schema, die Figur Rorschach aus "Watchmen" ist
       für Moore "fast ein Nazi". Ihr Zerstören ist fröhlich, ihr Aufbauen
       rücksichtslos. In "V wie Vendetta" foltert der Held eine junge Frau, um aus
       ihr eine Nachfolgerin zu machen. V, so nennt er sich, kämpft gegen ein
       faschistisches Regime, aber für Moore ist das keine Rechtfertigung für die
       Tat. Alan Moore arbeitet nicht mit Heiligenfiguren, sondern mit Kräften,
       die er aufeinander prallen lässt, um zu sehen, was sich daraus entwickelt.
       
       Wie kein anderer Comicautor kann er genaue Fragen formulieren, und er liebt
       es, sie offen zu halten. Allerdings zeigen seine letzten Arbeiten Anzeichen
       von Altersmilde. Seine letzten Superhelden-Geschichten, wie etwa die
       "Supreme"-Serie, sind Versuche, zu zeigen, warum er als Kind das Genre so
       geliebt hat: "Superhelden waren kein Ausdruck von Rachefantasien. Superman
       war nicht so wunderbar, weil er seine Feinde verkloppen konnte, nein,
       sondern weil er einen Hund mit einem Cape hatte, weil seine Freundin eine
       Meerjungfrau war und weil er eine Stadt in einer Flasche hatte." Pure, von
       keiner Wirklichkeit beschränkte Imagination - das liebt Moore an diesem
       Genre. Aber die Wiederherstellung der Faszination gelingt Moore nicht
       recht. "Supreme" ist ein Meta-Comic, alles ist Verweis, die Freude ist
       nicht kindlich, sondern intellektuell. Allerdings bringt dieses Scheitern
       immer noch viel spannendere Geschichten hervor als die meisten
       Superheldencomics. Supreme begegnet all den über die Jahrzehnte dem
       jeweiligen Zeitgeschmack angepassten Vorgängern seiner selbst. Statt zum
       Helden wird er zum multiplen Abziehbild. Darin lässt sich eine Abrechnung
       Moores mit den Verhältnissen in den USA erkennen, wo die Figuren meist
       nicht den Autoren gehören, sondern den Verlagen. Superman ist hier ein
       seelenloser Wiedergänger, der fahrig durch die Seiten spukt.
       
       Etwas Verlorenes wiederherzustellen, versucht Moore auch mit der
       dreibändigen graphic novel "Lost Girls". Es ist Meta-Pornografie. Der
       Kritiker Denis Scheck hat "Los Girls" als "Zauberberg, aber Porno"
       bezeichnet. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg treffen die gealterten Wendy aus
       "Peter Pan", Dorothy aus "Der Zauberer von Oz" und Alice aus "Alice im
       Wunderland" zusammen und erleben wunderbar unbeschwerte sexuelle Abenteuer,
       miteinander, aber nicht nur. "Lost Girls" ist explizit und zugleich voller
       literarischer Anspielungen, aber leider doch irgendwann eine Nummernrevue.
       Moore empfiehlt allen Paaren, an einem pornografischen Werk zu arbeiten, es
       würde die Beziehung stabilisieren. Die pastellenen Kreidezeichnungen von
       Melinda Gebbie, Moores Ehefrau, lassen zwar keine Deutlichkeit vermissen,
       aber es fehlt ihnen jede Comicdynamik. Pastell will einfach nicht recht zu
       Moore, diesem Meister des Düsteren, passen. Auch Sex braucht gute Fragen.
       Also warten wir auf die nächste Revolution eines Genres durch Alan Moore.
       Er sitzt gerade an einem großen Roman mit dem Titel "Jerusalem".
       
       28 Feb 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Zeyn
       
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   DIR Superhelden
   DIR TV-Serien
       
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