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       # taz.de -- "Der letzte Kommunist": Schöner Untergeher
       
       > Autor, Träumer und Scheiterer: Mit Matthias Frings Biografie lässt sich
       > Ronald M. Schernikau neu entdecken.
       
   IMG Bild: Auch am Deutschen Theater Berlin wurde Schernikau wiederentdeckt
       
       Er war ein grellbunter Blindgänger, ein Querschläger und Meister der
       Leidenschaft, Eitelkeit und Albernheit. Er saß zwischen allen Stühlen, war
       immer und in vollster Absicht zu den falschesten Augenblicken an den
       falschesten Orten. Er war eine schreibende, kommunistische Diva in Berlin
       und passte weder in die Schwulenszene Kreuzbergs noch in irgendwelche
       Parteien und schon gar nicht in den Literaturbetrieb. Und doch war Ronals
       M. Schernikau eine der schillerndsten Autorenfiguren, die Westdeutschland
       in den Achtzigerjahren hervorgebracht hat. Es ist also schön, dass er jetzt
       postum noch einmal entdeckt wird. Matthias Frings Biografie "Der letzte
       Kommunist - das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau" hat es bereits
       bis auf die Shortlist des Leipziger Buchpreises gebracht.
       
       Frings hat populäre Bücher über männliche Sexualität, Homosexualität und
       Aids geschrieben, er war Radiojournalist und taz-Kolumnist sowie
       Fernsehproduzent und Moderator der ersten Erotiksendung im deutschen
       Fernsehen "Liebe Sünde". Vor allem aber war Matthias Frings ein enger
       Freund Ronald Schernikaus - und genau das hat ihn dazu qualifiziert, eine
       intime, detailreiche und von der ersten bis zur letzten Seite unterhaltsame
       Biografie über einen Autor zu schreiben, dessen Leben auch traumhaft
       gewesen sein mag, in einem viel größeren Maße aber tragisch war - eine
       Folge fortgesetzter Niederlagen, eine Geschichte des grandiosen Scheiterns.
       
       Es beginnt damit, dass Ronald Schernikau, aufgewachsen in Magdeburg, im
       Alter von sechs Jahren mit seiner Mutter dem Vater in den Westen folgt. Von
       nun an kann man Schernikaus Lebensweg als eine langsame Rückkehr in die DDR
       lesen. Mit 20 erscheint sein Debüt, eine scharf pointierte und kühn
       montierte Coming-out-Geschichte, die "Kleinstadtnovelle". Schernikau wird
       von der Kritik gefeiert und geht nach Westberlin.
       
       Hier stürzt er sich ins schwule Nachtleben, arbeitet mit dem Ensemble
       Ladies Neid, schreibt für Marianne Rosenberg einen Song über Ronald Reagan
       und trifft Matthias Frings. Er tritt aber auch in die Sozialistische
       Einheitspartei Westberlins ein und ein paar Jahre später, in denen alle
       Folgebücher von allen Verlagen abgelehnt worden sind, beginnt er als erster
       und letzter Westdeutscher vor dem Mauerfall am Institut für Literatur
       "Johannes R. Becher" in Leipzig zu studieren. Hier entsteht sein Buch "Tage
       in L.", das kürzlich vom Konkret Literaturverlag wiederaufgelegt wurde: ein
       experimentelles Buch voll messerscharfer Alltagsbeobachtungen, Anekdoten
       und Aphorismen.
       
       Der literarische Erfolg bleibt aus. Auch deshalb, so Matthias Frings These,
       wird Ronald Schernikau 1989, wovon er oft träumte: Staatsbürger seines
       Traumlandes DDR inklusive ökonomischer Absicherung. Er zieht in den
       Ostberliner Stadtteil Hellersdorf, arbeitet bei einem DDR-Verlag und ist
       bass erstaunt, als die Mauer fällt. 1991 stirbt er an den Folgen der
       Immunschwächekrankheit Aids. Postum erscheint sein Großwerk "Legende", ein
       800 Seiten starker Klotz, eine Zumutung voll jäher Brüche, innerer
       Monologe, Mythen und Märchen, Interviews, Lieder, erotischer Fantasien,
       echter und gefakter Zeitungsschnipsel und Protokolle aus der Parteiarbeit -
       ein sperriges, wild schweifendes Buch, das neun Jahre warten musste, bis es
       jemand verlegen wollte.
       
       Es gibt eine Anekdote in Frings Biografie, die deutlich macht, wer und was
       Ronald Schernikau hätte werden können, hätte er nur einen einzigen Gang
       runtergeschaltet. Als er in den Achtzigerjahren ein Stipendium des
       Literarischen Colloquiums in Berlin erhält, begegnet er einem anderen
       Stipendiaten beim Kaffeekochen: Rainald Goetz. Goetz ist sein großes
       Vorbild und Schernikau traut sich nicht, ihn anzusprechen. Rainald Goetz
       ist es bis heute mit Ach und Krach gelungen, in seinem humorvollen Kampf
       mit der "wirklichen Wirklichkeit" die eigene Haut zu retten, er hat es in
       die Feuilletons, Seminare und Lexika geschafft. Ronald M. Schernikau,
       dessen literarisches Projekt sich ganz ähnlich umreißen lässt, ist dagegen
       in Vergessenheit geraten. Bis jetzt.
       
       Matthias Frings: "Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M.
       Schernikau". Aufbau-Verlag, Berlin 2009, 488 Seiten, 19,90 €
       
       20 Feb 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
   DIR Susanne Messmer
       
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   DIR DDR
       
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