# taz.de -- Atomtagung und der Protest: Antritt zur Entscheidungsschlacht
> Die Bundestagswahl entscheidet über die Zukunft der Atomenergie, glauben
> AKW-Lobby und ihre Gegner. Ein Bericht von der Wintertagung des Deutschen
> Atomforums - von beiden Seiten.
IMG Bild: Über weite Strecken interessanter als die Dinnerrede von Ifo-Chef Sinn: Proteste vor dem Atomforum-Treffen.
Um 18.30 Uhr ist die Kette komplett: Dicht gedrängt stehen die
DemonstrantInnen um das Maritim-Hotel in Berlin-Mitte, in dem das Deutsche
Atomforum am Mittwochabend seine Wintertagung beginnt.
500 wären mindestens nötig gewesen, um den Häuserblock komplett zu
umrunden. Dreimal so viele sind erschienen. Entsprechend gut ist die
Stimmung. "Es ist großartig, dass so viele gekommen sind", sagt Christoph
Bautz, der für das Online-Netzwerk Campact zu den Organisatoren der Demo
gehört. "Es gibt keine Renaissance der Atomkraft, sondern des Widerstands."
Als Höhepunkt lassen die Aktivistinnen zehn Plakate mit ihren wichtigsten
Argumenten gegen Atomkraft an großen Luftballons vor den Fenstern des
Hotels steigen. "Ohne Atomkraft gibt es keine Stromlücke, sondern eine
Profitlücke", ist dort etwa zu lesen.
Eine Sambaband trommelt, die Menschenkette macht eine La-Ola-Welle, die
Teilnehmer rufen das Motto der Demo: "Eure Lügen bleiben drinnen!"
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Das stimmt. Für den Ökonomen Hans-Werner Sinn, der zur gleichen Zeit im
großen Saal des Maritim die "Dinner Speech" hält, interessieren sich
deutlich weniger Journalisten als für die Vorgänge draußen vor der Tür.
Aber die Abschottung funktioniert in beide Richtungen. Zwar dringen die
Trommeln der Demonstranten bis in den Saal, doch von den Argumenten, die
vor den Fenstern aufsteigen, bekommen die Teilnehmer nichts zu sehen. Die
komplett zugezogenen Vorhänge verhindern jeden Blick aus dem Tagungssaal
nach draußen.
Auf offene Ohren wäre die Kritik bei den 250 Gästen aber ohnehin nicht
gestoßen.
Beim überwiegend männlichen Publikum im gesetzten Alter, das zwischen
"Tomatenconsommé mit Krustentierragout" und "Seeteufelfilet im
Zucchinimantel" der Rede lauscht, ist das Weltbild eindeutig: Wer glaubt,
auf die Kernkraftwerke verzichten zu können, muss fachlich inkompetent und
politisch verblendet sein. Die Kritiker wollten "zurück zu Kerzenlicht",
empört sich ein Teilnehmer; die Verfechter erneuerbarer Energien vertreten
"reichlich utopische Vorstellungen", pflichtet Festredner Sinn bei.
Der Marktradikale, dessen ökonomische Analysen derzeit nicht so gefragt
sind, argumentiert beim Energiethema zwar teils mit ziemlich veralteten
Zahlen, wagt sich aber auch hier an radikale Thesen. Längere Atomlaufzeiten
hält er für unverzichtbar, das Erneuerbare-Energien-Gesetz hingegen für
"komplett wirkungslos". Da freuen sich die Atomfreunde wie Schuljungs.
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Draußen beruhigt unterdessen eine Gruppe Clowns, die jeweils einen Kopf
oder Arm zu viel haben, die Umstehenden: "Bitte keine Panikmache, wir haben
hier alles unter Kontrolle, es gibt keine Gefahr." Rainer Baake,
Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wiederholt die Argumente der
Atomgegner in viele Mikrofone: Atomkraft hilft nicht gegen den Klimawandel.
Vielmehr verhindert sie den Umstieg auf erneuerbare Energien. Atomkraft
macht Strom nicht billiger. Und auch ohne Atomkraft ist die Versorgung
sicher.
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Im Saal sind die Argumente der Kritiker nicht zu hören. Man bleibt unter
sich. Eine angebliche Einladung an die Grünen-Chefin Claudia Roth entpuppt
sich als PR-Maßnahme: Sie wurde erst am Tag der Veranstaltung selbst
verschickt.
Doch mögen auch die Argumente nicht wahrgenommen werden - dass es wieder
stärkere Proteste gegen Atomenergie gibt, kommt auch im Saal an. "Wir
werden im Wahljahr noch einiges erleben", warnt Walter Hohlefelder,
Präsident des Atomforums.
Trotz dieser "Anfeindungen" gibt er sich zuversichtlich, dass der
Atomausstieg nach der Bundestagswahl im Dezember revidiert wird - "kurz,
dass Energievernunft einkehrt". Dass Schweden just am Donnerstag von seinem
Ausstiegsbeschluss abrückt (siehe Seite 8), erhöht den Optimismus unter den
Teilnehmern ungemein.
Unterstützung kommt aus der Politik. Zwar ist, anders als beim
Neujahrsempfang des Bundesverbands Erneuerbare Energie eine Woche zuvor am
selben Ort, nicht die Kanzlerin erschienen, wie Hohlefelder bedauernd
feststellt. Als prominentester Polit-Gast kommt stattdessen der bayerische
Umweltminister Markus Söder. Der bekräftigt später in seiner Rede: "Wir
wollen den Ausstieg auf Eis legen." Möglich sei eine Laufzeitverlängerung
um acht Jahre.
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Dass die Bundestagswahl die Entscheidungsschlacht um die Zukunft der
Atomenergie wird, davon sind auch die Demonstranten überzeugt.
In dieser Legislaturperiode haben es die Stromkonzerne mit absichtlicher
Leistungsreduzierung und anderen Tricks erreicht, dass kein einziges AKW
abgeschaltet wurde. Damit wäre es dann vorbei: Laut Atomkonsens müssen in
den nächsten vier Jahren sieben Reaktoren vom Netz gehen.
Wenn die Grünen an der Regierung beteiligt sind, wird es dazu auf jeden
Fall kommen - mindestens. Das versichern auch ihre Spitzenvertreter, die
zahlreich zur Demo erschienen sind. Bei einem schwarz-gelben Wahlsieg, auch
das darf als sicher gelten, werden die Laufzeiten verlängert werden.
Spannend ist die Frage, ob die SPD - die am Mittwoch weder im noch
außerhalb des Saals prominent vertreten war - bei einer Fortsetzung der
großen Koalition am Ausstieg festhält. Einige vertrauen darauf, dass
Umweltminister Sigmar Gabriel sein Wort hält. "Die SPD kann sich doch nun
wirklich keinen weiteren Wortbruch leisten", sagt etwa Gerhard Harder von
der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Andere befürchten, dass die SPD
unter dem Druck der Energiekonzerne - für die Milliarden auf dem Spiel
stehen - doch Kompromisse machen wird. "Umso wichtiger ist es, dass wir
Gegendruck aufbauen", sagt Christoph Bautz. "Unsere Botschaft ist: Mit Atom
sind Wahlen nicht zu gewinnen." Umfragen zeigten nach wie vor eine
deutliche Mehrheit für den Ausstieg.
Doch wird das reichen? Und sind 1.500 Menschen auf der Straße wirklich das
gewaltige Zeichen, vor dem die Atomwirtschaft zittern wird? Die
Veranstalter verweisen auf die Entwicklung: In diesem Jahr war die
Demonstration etwa zehnmal so groß wie in den Vorjahren. Seit zehn Jahren
hat es in Berlin keine Anti-Atom-Demo mit vierstelligen Teilnehmerzahlen
gegeben, berichtet Bautz. "Zudem lag der Termin ja mitten in der Woche."
Spannender als die Zahl scheint aber ohnehin die Zusammensetzung des
Aufzugs. Zum einen wächst die nächste Generation nach: Wie schon im
vergangenen November in Gorleben finden sich viele sehr junge Menschen
unter den Demonstrierenden.
Zudem sind neben demotypischen Rasta-Frisuren, bunten Klamotten und
AktvistInnen mit Fahnen ihrer jeweiligen Organisation auch erstaunlich
viele NormalbürgerInnen auf der Straße.
Nachfragen bestätigen den Eindruck: "Sonst gehe ich eher nicht auf Demos",
sagt der 68-jährige Joachim Lund.
Aufmerksam geworden ist er auf die Veranstaltung über den Newsletter von
Campact. Über das Netzwerk, das bisher überwiegend Online-Proteste
organisierte, hat er schon viele Protest-Mails verschickt. "Aber jetzt
wurde es Zeit, mal auf die Straße zu gehen", sagt er, während er sich einen
gelben Atom-Lampion kauft.
Um solche Menschen zu erreichen, haben die Veranstalter nicht nur auf
moderne Technik gesetzt: Fast 100.000 Menschen erreichen Campact und die
bundesweite Initiative. Zudem haben sie auch viel Geld eingesetzt. Für über
20.000 Euro wurden nicht nur Plakate und Flugblätter gedruckt, sondern
erstmals auch Großplakate rund um das Atomforum angemietet und Werbespots
in den Berliner U-Bahnen geschaltet.
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An die Finanzkraft des Atomforums langt das natürlich noch lange nicht
heran. Allein für die Teilnahme an der Tagung hat dort jeder der rund 300
Teilnehmer fast 900 Euro bezahlt - Dinner inclusive.
Bis zur Bundestagswahl wollen das Atomforum und der mit ihm kooperierende
Arbeitskreis Kernenergie die Argumente pro Atomkraft weiter verbreiten.
Auch die Wirtschaftskrise soll dabei als Argument dienen - Kernkraft als
Konjunkturprogramm.
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Das planen auch die Atomkraftgegner. An den Atommülllagern Asse und Schacht
Konrad soll ebenso protestiert werden wie an den Standorten der AKWs, die
in diesem Jahr eigentlich abgeschaltet werden sollten. Als Höhepunkt soll
ein Treck von Gorleben nach Berlin mit bundesweiter Demonstration Anfang
September geplant sein.
MITARBEIT: SVENJA BERGT
5 Feb 2009
## AUTOREN
DIR Malte Kreutzfeldt
DIR Malte Kreutzfeldt
## TAGS
DIR Schwerpunkt Atomkraft
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