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       # taz.de -- Voodoo-Abenteuer in Benin: Mit den Geistern sprechen
       
       > 400 Kilometer für 2 Euro: Wer nicht ständig kräftig um die Preise
       > feilscht, verdient keinen Respekt. Eine Reise in den Norden von Benin.
       
   IMG Bild: Benzin in alten Schnapsflaschen: Tankstelle in Benin
       
       Eben ist Dominique von seinem Besuch bei einem Voodoo-Wahrsager
       zurückgekehrt. Irgendetwas stimmt nicht. Sein gebräuntes Gesicht ist
       bleich, er lächelt starr. Vor ein paar Stunden ist er losgezogen, mit
       unserem freundlichen Chauffeur Thierry. In dessen zerbeulten Peugeot sind
       sie weggefahren, schaukelnd, über die wellige Strandpiste, am Meer entlang.
       Zum Maître du Fa. Das sind die Voodoo-Wahrsager, die mit den Geistern
       sprechen können.
       
       Seit drei Tagen akklimatisieren wir uns in einem Hotel am Meer in der Nähe
       von Cotonou, der größten Stadt Benins. Wir wohnen unter Kokospalmen, an
       einem endlosen gelben Strand, der sauber ist und ohne die überall in
       West-Afrika herumwehenden schwarzen Plastiktüten. Jeden Morgen zieht
       langsam eine Herde Zebukühe am Hotel vorbei, gefolgt von ihrem mageren
       Hirten. Schöne, grauweiße Kühe, mit Hörnern wie eine Lyra. Wie beim
       Tauziehen stehen die Fischer in einer Reihe und ziehen mit aller Kraft ihre
       Netze wieder an Land.
       
       „Was hat denn der Wahrsager gesagt?“, will ich wissen. Dominique war
       losgezogen, um herauszufinden, ob seine Vorfahren ihm friedlich gesonnen
       seien. Seine Ururgroßeltern sind wahrscheinlich genau von dieser Küste, die
       einst Sklavenküste hieß, aus ihren Dörfern in die Karibik verschleppt
       worden. Der Wahrsager warf Kaurimuscheln, dann kleine Knöchelchen, dann
       Steinchen, dann wieder Muscheln. Immer wieder. Kopfschüttelnd hat er die
       Botschaft der Geister betrachtet. „Alles in Ordnung mit deinen Vorfahren“,
       hat er meinen Reisefreund beruhigt. „Aber da ist ein anderes Problem: Dein
       Tod steht unmittelbar bevor. Du wirst durch einen Unfall sterben.“ Na
       prima, denke ich. Morgen wollten wir eigentlich losreisen, um Benin zu
       erkunden. Die Möglichkeit eines Unfalls ist nach den ersten Stunden im
       chaotischen Verkehr von Cotonou auch ohne Wahrsagerei ziemlich überzeugend.
       
       Cotonou, ein gigantischer Moloch von Millionenstadt, erstickt tagtäglich ,
       stundenlang kann man an einer Kreuzung eingekeilt sein zwischen uralten
       klapprigen Autos und LKW, umwabert von Abgasschwaden, die durch das
       Panschen des geschmuggelten Benzins aus Nigeria noch giftiger als normal
       sind. Vierzig Euro verlangt der Voodoo-Meister, wenn der böse Unfallzauber
       abgewendet werden soll. Wir zahlen schnell und ohne weitere Fragen zu
       stellen. Außerdem braucht er noch ein getragenes Kleiderstück und man
       versichert uns, dass damit der Fluch abgewendet wird. Wir fahren los. Auf
       dem Rücksitz von Thierrys Auto entspannen wir uns langsam, es geht nach
       Norden, Richtung Abomey, der alten Hauptstadt des einst gefürchteten
       Königreichs Dahomey.
       
       Blutrünstig und machtgierig, fielen die Könige von Dahomey immer wieder
       über benachbarte Stämme her, erweiterten das Reich und verkauften
       diejenigen Kriegsgefangenen, denen sie nicht die Köpfe abschlugen, an die
       Weißen als Sklaven. Hunderttausende waren es. Nur ein Stamm schaffte es,
       den regelmäßigen Überfällen zu entkommen. Sie zogen sich weit in ein
       Sumpfgebiet zurück und schufen dort eine große Stadt, Ganvié, eine Art
       afrikanisches Venedig. Die Paläste allerdings sind strohgedeckte Holzhütten
       auf Stelzen. Wir gleiten auf einer stillen Piroge auf diese traumhaft
       schöne Stadt zu, die den Bewohnern ihre Freiheit garantierte. Vorbei an
       zartlila Wasserhyazinthen kreuzen lange schmale Boote, in denen Frauen
       ihren Marktstand ausgebreitet haben.
       
       In Abomey besuchen wir die Königspaläste aus rotem Lehm, hören blutrünstige
       Geschichten über die unterschiedlichen Könige, die alle mit den Weißen
       gemeinsame Sache machten. Einer von ihnen schuf ein gefürchtetes
       Amazonenheer, mit Kriegerinnen, die schrecklicher wüteten als alle Männer
       zuvor. Abends essen wir an einer Straßenkreuzung, in einer kleinen Buvette,
       wo eine Frau Hühnchen mit Reis und Tomatensoße verkauft. Lecker. Später
       kommt eine Truppe verschwitzter Belgier, die mit aufgemotzten 2CV‘s eine
       Art Rallye Paris Dakar fährt. Sie knattern in einer großen Staubwolke durch
       die Stadt und sorgen für Aufsehen.
       
       Selbstverständlich benutzt keiner von ihnen eins der kleinen Mofa-Taxis,
       die einen für 50 Cent so weit fahren, wie man will. Allerdings muss man
       vorher gut verhandeln. Preise aushandeln ist allgegenwärtig in Afrika.
       Nicht als Ausdruck von Geiz, sondern um sich Respekt zu verschaffen. Wer
       einen Preis mit Witz und Gelächter heruntergehandelt hat, wird höflich
       behandelt. Schlimm sind die Momente, in denen keiner von uns Lust hat,
       schon wieder zu verhandeln. Akzeptiert man dann den Fantasiepreis eines
       Taxifahrers oder einer Händlerin, und sei er noch so gering, kann man drauf
       wetten, dass man hinterher verächtlich behandelt wird und es Ärger gibt.
       Immerhin, als wir den Chauffeur verabschieden und auf einen Überlandbus
       umsteigen, um noch weiter nach Norden zu fahren, nennt er uns die
       Standardpreise.
       
       Für umgerechnet zwei Euro fahren wir 400 Kilometer weiter hoch in den
       Norden. Die Landschaft wird trockener, wir verlassen den üppigen Süden und
       kommen in den kühleren Norden, in eine Art toskanische Hügellandschaft.
       Wunderschön. Bloß nicht an Wein denken. Hier trinken die Menschen dünnes
       einheimisches Bier. Im Norden entdecken wir typische kleine
       Familientrutzburgen aus rotem Lehm, eine faszinierend einfache und
       effiziente Architektur: klein, rund, die Tier leben unten, die Familie
       schläft oben. Die abgeschlossenen runden Bauten waren einst auch ein guter
       Schutz gegen Sklavenjäger.
       
       In der Nähe von Natitingou baden wir nach einem Ausflug in einem
       Wasserfall, der paradiesisch aussieht und so kühl ist, dass ich zum ersten
       Mal seit Wochen frösteln kann. Herrlich. Abends rattern wir - natürlich mit
       Mofataxis - über Stock und Stein zurück. Vor mir sehe ich die handgemalten
       Kennzeichen der „Zem“, wie die kleinen Vespas genannt werden. „Die Liebe
       heilt alles“ oder „Wer weiß was morgen ist“, steht da. In einer
       Straßenkneipe lerne ich den Turnlehrer der örtlichen Mädchenschule kennen.
       Er war einmal ein Top-Athlet, erzählt er. Aber das Geld habe nicht gereicht
       für eine professionelle Sportkarriere. Später lädt er mich ein und will mir
       seinen Familien-Fetisch zeigen. Überhaupt entpuppt sich jeder zweite
       Beniner nach kurzem Gespräch als eine Art Teilzeitzauberer. Man ist zwar
       Christ oder Muslim, aber der Voodoo Altar wird trotzdem gepflegt.
       
       Die Tierparks im Norden schenken wir uns, es ist noch zu früh. Obwohl
       November die beste Reisezeit für Benin ist, beginnt die Safarisaison erst
       im Dezember. Dafür besuchen wir noch den stärksten Fetisch in ganz
       Westafrika. An diesem Ort, ein schwarzer abgestorbener Baumstamm wenige
       Meter von einer Straße entfernt, ist die Anwesenheit der Geister und Götter
       so stark, dass man direkt mit ihnen kommunizieren kann. Dazu benutzt man
       einen spitzen Holzpflock, den man in die Erde rammt und dabei einen Wunsch
       an die Götter richtet. Dieser Wunsch geht garantiert in Erfüllung. Nach
       einem Jahr muss man allerdings die Götter mit einem Tier-Opfer belohnen,
       sonst kann die Sache böse ausgehen. Dominique schaut mich an. Er will
       keinen Wunsch mehr äußern, den Geistern keine Fragen mehr stellen. Immerhin
       hat sein Zauber gewirkt. Wir sind Tausende von Kilometern gefahren - ohne
       Unfall, wie es der Voodoo-Wahrsager versprochen hat.
       
       14 Feb 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pamela Schlatterer
       
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   DIR Benin
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