URI: 
       # taz.de -- Change.gov und direktzurkanzlerin.de: Merkels und Obamas Bürgersprechstunde
       
       > Auf "change.gov" dokumentiert das Obama-Team den Wechsel und ermöglicht
       > es Bürgern, Anliegen vorzubringen. Auch in Deutschland kann man die
       > Kanzlerin online kontaktieren.
       
   IMG Bild: Bei direktzurkanzlerin.de kann jeder Bürger eine Frage einreichen, über die die Nutzer dann abstimmen. Die am besten bewerteten Fragen werden dann weitergeleitet.
       
       Barack Obama dürfte als erster amerikanischer Präsident in die Geschichte
       eingehen, der das Internet wirklich konsequent nutzt - ganz einfach auch
       deshalb, weil es für ihn selbst das wichtigste Medium ist. Im Wahlkampf
       warb er viele Millionen Dollar an Spenden über das Netz ein und seine
       Kampagne nutzt die Plattform "my.barackobama.com", um Unterstützer zu
       koordinieren.
       
       Nach der Wahl geht die Netznutzung nun weiter: Auf "change.gov", einer
       eigens eingerichteten Website, werden wichtige Informationen über den
       Wechsel in Washington veröffentlicht und ein eigener YouTube-Kanal bringt
       wöchentlich eine Ansprache des "President-Elect", bis er im Januar
       vereidigt wird.
       
       Auf der Seite kann man sich außerdem für einen der Tausenden von Jobs
       bewerben, die die Obama-Administration zu vergeben hat. Ganz einfach ist
       das allerdings nicht: So muss der Interessant einen tiefgehenden Fragebogen
       ausfüllen und beispielsweise jede Jugendsünde angeben, mit der er den
       frisch gewählten Präsidenten vielleicht in ein schlechtes Licht rücken
       könnte.
       
       Wer keinen Job möchte, sondern seine Meinung als Bürger loswerden will,
       kann dies auf "change.gov" ebenfalls tun: Die Seite nimmt Anfragen und
       Ideen jedes Interessierten entgegen. Ein Formular ermöglicht es, Bereiche
       von "Bürgerrechten" über "Frauenangelegenheiten" bis hin zu "Technologie"
       zu markieren, um schließlich Ideen zu übermitteln. Angezeigt werden diese
       derzeit allerdings noch nicht, landet statt dessen im Briefkasten von
       Obamas Team.
       
       Doch die Bürgersprechstunde des neuen US-Präsidenten ist bei weitem nicht
       das einzige Angebot seiner Art. In Deutschland existiert seit kurzem mit
       "Direktzurkanzlerin.de" ein Portal, dass Nutzern verspricht, ihr Anliegen
       ans Kanzleramt weiterzuleiten.
       
       Erstellt von einer Gruppe von Studenten mehrerer Hochschulen und
       unterstützt von EU-Programm "Jugend für Europa", handelt es sich dabei um
       einen Dienst, der Elemente des Mitmach-Web nutzt, um die wichtigsten Themen
       herauszudestillieren. Jeder Bürger kann eine Frage einreichen, über die die
       Nutzer dann abstimmen; anschließend werden die am besten bewerteten Fragen
       dann weitergeleitet.
       
       Der Aufbau erinnert dabei an Social Media-Portale wie "Digg.com", wo Nutzer
       über die interessantesten Links ins Netz abstimmen und die am
       interessantesten dann ganz vorne auf der Startseite auftauchen - nur dass
       es bei "Direktzurkanzlerin.de" eben um Fragen geht, die den Bürgern
       besonders unter den Nägeln brennen.
       
       Neben der Textform ist es inzwischen auch möglich, ein kurzes Video mit
       seiner Frage einzustellen. Zuletzt ging es um Themen wie die
       Finanzmarktkrise, die Bahnreform, das Kinderförderungsgesetz oder den
       KfW-Skandal; aber auch private Fragen wie die nach einer Hilfestellung zur
       Auffindung eines vor vielen Jahren in der DDR verschollenen Sohnes kommen
       vor.
       
       Man kann an der Plattform kritisieren, dass nicht etwa das Kanzleramt oder
       gar die Kanzlerin selbst antworten, sondern das für die Bürgerinformation
       zuständige Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in ihrem Auftrag
       - und die Reaktionen manchmal entsprechend glattgebügelt ausfallen.
       
       So kam auf die empörte Frage, warum die Bundesregierung die Sparer der
       isländischen Pleitebank Kaupthing in der Luft hängen lässt, nur der Hinweis
       darauf, dass man sich auf politischer Ebene weiter für deutsche Sparer
       einsetze, ansonsten aber der isländische Einlagensicherungsfonds zuständig
       sei. Die gleiche Ansage, die man auch in den Medien nachlesen kann.
       
       Uninteressant ist "direktzurkanzlerin.de" trotzdem nicht, denn die
       Plattform generiert Öffentlichkeit auch im bürokratischen Apparat. Immerhin
       nehmen sich die Mitarbeiter des Presse- und Informationsamtes jede Woche
       die drei höchst gelisteten Beiträge des Fragen-Rankings vor und müssen sich
       zu ihrer Beantwortung die passenden Daten aus den jeweiligen
       Fachabteilungen anfordern. Außerdem suchen sie häufig auch noch
       weiterführende Links heraus.
       
       Aus "Direktzurkanzlerin.de" hat sich inzwischen längst ein kleines
       Frage-und-Antwort-Imperium entwickelt. Die Macher konnten auch die
       Ministerriege in Brandenburg dazu bewegen, an der Plattform teilzunehmen -
       seit Anfang November sind über "direktzu.de" auch Landeschef Matthias
       Platzeck, Innenminister Jörg Schönbohm, Umweltminister Dietmar Woidke,
       Justizministerin Beate Blechinger und Bildungsminister Holger Rupprecht
       ansprechbar.
       
       Außerdem haben der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff,
       Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Berliner Wirtschaftssenator
       Harald Wolf ihre eigenen Seiten. Die "direktzu.de"-Plattform-Gründer Jörg
       Schiller, Caveh V. Zonooz und Alexander Puschkin - alles ehemalige
       Studenten der Fachhochschule Brandenburg -, haben vor kurzem eine GmbH
       gegründet, um ihr Projekt weiter zu professionalisieren.
       
       Vielleicht landet die Plattform eines Tages auch auf Obamas "change.gov".
       Mit dem Team des Präsidenten gibt es laut Puschkin erste Kontakte, um den
       Dienst auch für Bürgeranliegen in den USA zu verwenden. Im amerikanischen
       Vorwahlkampf wurde "direktzu.de" übersetzt als "straightto.com" bereits für
       Fragen an die Präsidentschaftskandidaten genutzt - ein Projekt, das
       amerikanische Universitäten mit Unterstützung der deutschen Studenten
       durchführten.
       
       17 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ben Schwan
       
       ## TAGS
       
   DIR Barack Obama
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Barack Obama in Berlin: Helene Fischer ist teurer
       
       Ein Abend mit Barack Obama in Berlin gibt Rätsel auf. Nur eins ist klar:
       Für eine Abschiedstour ist der ehemalige US-Präsident dann doch noch zu
       jung.