URI: 
       # taz.de -- Frank-O.-Gehry-Pavillon in London: Brutalismus von gestern
       
       > Der diesjährige Sommerpavillon der Londoner Serpentine Gallery von Frank
       > O. Gehry hat seine wahre Bestimmung gefunden: als hippe Location für
       > Modeshootings.
       
   IMG Bild: Der Gehry-Pavillon in London.
       
       Seit dem 20. Juli hat London seinen ersten Gehry. Überraschenderweise
       handelt es sich bei dem Bau des kanadischen Stararchitekten um ein
       temporäres Gebäude, nämlich um den diesjährigen Sommerpavillon der
       Serpentine Gallery im Hyde Park - der seit 2002 schon von Zaha Hadid,
       Daniel Libeskind oder Oscar Niemeyer entworfen wurde. Auf den ersten Blick
       erinnert Frank O. Gehry in seinem architektonischen Auftritt an einen
       Puppenspieler, der gerade noch die Stäbe und die daran hängenden Puppen
       routiniert über die Bühne jagte, um plötzlich alles fallen zu lassen und in
       die Mittagspause zu gehen.
       
       Entsprechend melden sich die ersten Kritiker. Sie hätten mehr erwartet vom
       Meister der verformten Kiste, der Gebäude in silbrige Hightech-Materialien
       hüllt und ihre Konstruktion wie Wackelpudding zum Tanzen bringt. Doch der
       Gehry-Pavillon gefällt sich in einer seltsamen Retroästhetik. Fast
       brutalistisch ragen gigantische, breite Holzsäulen in die Luft und
       definieren das Gebäudegerüst, an dem eine schemenhafte Glasdachkonstruktion
       hängt, die wohl nicht rein zufällig an das Dach von Gehrys ikonischem
       Privathaus in Santa Monica aus den späten 70er-Jahren erinnert. Selbst die
       grandiose, 1988 entstandene und wie zersplittert wirkende Dachkonstruktion
       von Coop Himmelb(l)au in der Wiener Falkenstraße kommt einem in den Sinn.
       
       Die forscheren unter den Kritikern meinen zu wissen, woher die Retrobezüge
       kommen. Gehrys 1979 geborener Sohn Samuel ist zum ersten Mal eine Art
       Koarchitekt des Pavillons. Die Tatsache, dass der kaum Dreißigjährige die
       Uni noch nicht so furchtbar lange hinter sich haben kann, führt zu dem
       bösen Schluss, hier habe jemand, frisch vom Hauptseminar zum frühen
       Dekonstruktivismus inspiriert, gebaut. Woher aber kommen die zackigen,
       hellen Elemente auf den Glasflächen, die dem konzeptuellen Chaos der
       Architektur plötzlich die Kleinkariertheit eines örtlichen Saunaparadieses
       verpassen?
       
       Um den Sommerpavillon der Serpentine Gallery zu entwerfen, lässt inzwischen
       jeder internationale Architektenstar seine Arbeit an Dubaier Opernhäusern
       oder 8-Sterne-Hotels in arabischen Wüsten kommentarlos für sechs Monate
       ruhen. Wie ihre Vorgänger arbeiteten auch die Gehrys gemeinsam mit dem
       Ingenieur-Starbüro Arup, um ausgeklügelte Details wie die gläsernen
       Dachelemente so ineinander zu verschachteln, dass der Sommerregen nicht auf
       die Besucher tropft, während sie einer Performance oder einem Konzert
       folgen. Anders als in Koolhaas abgeschlossenem Heliumballon vor zwei Jahren
       kann man sich in Gehrys Freilufttheater angeregtere Debatten in dichter,
       konzentrierter Atmosphäre nur schwer vorstellen.
       
       Doch London nimmt es mit gewohnter Gelassenheit - im Vertrauen auf seine
       legendäre Fähigkeit, selbst Enttäuschungen in einen positiven Superlativ zu
       verwandeln. Die feierliche Eröffnung des Gehry-Pavillons war der große
       Höhepunkt des Sommers, ein Stelldichein der VIPs und Semi-VIPs. Inzwischen
       wurde der Bau längst in seiner wahren Bestimmung entdeckt, als hippe
       Location für Modeshootings.
       
       30 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Grosse
   DIR Julia Grosse
       
       ## TAGS
       
   DIR Architektur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Architekturausstellung in Frankfurt/M.: Zur Rettung der Monster!
       
       Eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum feiert die brutalistischen
       Betonbauten. Der klotzige Stil erlebt ein Comeback.