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       # taz.de -- Gegenentwurf zur EU-Osterweiterung: Sarkozys große Mittelmeershow
       
       > Die Mittelmeerunion, die am Sonntag in Paris gegründet wird, ist ein
       > strategisches Lieblingsprojekt von Nicolas Sarkozy und sein Gegenentwurf
       > zur EU-Osterweiterung.
       
   IMG Bild: Mittelmeeranrainer unter sich: Der französische Außenminister Bernard Kouchner und Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika (l).
       
       PARIS taz Ein "historischer Erfolg", weiß der französische Außenminister
       schon Tage vor Eröffnung des eintägigen Gründungsgipfels der
       Mittelmeerunion. Er findet am Sonntag in Paris statt. Allein die Tatsache,
       dass VertreterInnen von 44 Staaten, darunter der Staatspräsident von Syrien
       und der Regierungschef aus Israel - Vertreter von zwei Ländern, die nie
       Frieden geschlossen haben -, in Paris zusammenkommen werden, reicht Bernard
       Kouchner für seine Diagnose.
       
       Die ist zugleich ein Lob an seinen Chef Nicolas Sarkozy - und an sich
       selbst. Denn die komplette französische Diplomatie ist in den vergangenen
       Wochen um das Mittelmeer getourt, um auch die widerstrebendsten Staatschefs
       nach Paris zu holen. Als Argumente lockten lukrative Verträge. Noch am
       Dienstag unterzeichnete das Pariser Außenministerium mit dem libyschen
       Europa-Minister Abdelaati Ibrahim El Obeidi einen Kooperationsvertrag für
       die "friedliche Nutzung der Atomenergie". Einen ähnlichen Vertrag bekam
       Ende Juni die algerische Spitze, die ebenfalls lange mit ihrem Fernbleiben
       gepokert hatte.
       
       Hart war es auch, den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan zum
       Kommen zu bewegen. Ankara vermutet in der Mittelmeerunion nicht zu Unrecht
       ein Manöver, das die Türkei darüber wegtrösten soll, dass sie die seit
       Jahrzehnten versprochene Vollmitgliedschaft in der EU nie bekommen wird.
       
       Für Sarkozy ist der Gründungsgipfel für die "Union für das Mittelmeer", wie
       das Projekt offiziell heißt, der erste große diplomatische Auftritt seiner
       EU-Ratspräsidentschaft. Er versprach die Mittelmeerunion schon im
       Wahlkampf. Im Oktober 2007 hielt er im marokkanischen Tanger eine flammende
       Rede an die "Völker rund um das Mittelmeer". Später traf er in Rom mit den
       Regierungschefs aus zwei nördlichen Mittelmeeranrainerstaaten zusammen,
       Romano Prodi und José Luis Rodríguez Zapatero, und erneuerte seinen Aufruf.
       
       Doch Sarkozy "vergaß", seine Absicht mit Brüssel und Berlin zu besprechen.
       Dies nahm ihm besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel übel. Von ihr kam der
       heftigste Widerstand gegen die Mittelmeerunion. Sie tolerierte nicht, dass
       Frankreich parallel zur EU eine getrennte und nicht von Brüssel
       kontrollierte neue Struktur schaffen wollte, in der ausschließlich
       Mittelmeeranrainerstaaten sitzen sollten.
       
       Merkel setzte sich durch. Im März fanden Berlin und Paris einen Kompromiss.
       Seither sind Brüssel sowie sämtliche EU-Staaten dabei. Da die
       Mittelmeerunion jeweils Doppelpräsidentschaften haben wird - eine aus dem
       Norden und eine aus dem Süden -, könnte es künftig so kuriose
       Führungstandems geben wie etwa das marokkanische Rabat zusammen mit dem
       skandinavischen Kopenhagen, die gemeinsam den Belangen des Mittelmeeres
       vorstehen sollen.
       
       Für Sarkozy geht es in der Mittelmeerunion um fast alles: von Energiefragen
       über Umweltpolitik bis hin zu Krieg und Frieden. Unausgesprochen schwingt
       noch etwas anderes mit: Sarkozy will ein Gegengewicht zur Osterweiterung
       der EU schaffen. Seit Berlin nicht nur wirtschaftlich und politisch ein
       neues Hinterland bekommen hat und in das geografische Zentrum der EU
       gerückt ist, fühlt sich Frankreich mit seinen traditionell engen,
       wenngleich manchmal komplizierten Beziehungen zu Nordafrika marginalisiert.
       Die Mittelmeerunion, die am Sonntag in Paris gegründet wird, hat jetzt das
       französische Namenskürzel UPM - Union pour la Méditerranée. Das erinnert
       verblüffend an den Namen der - ebenfalls von Sarkozy gegründeten - großen
       rechten Regierungspartei.
       
       Sarkozys Mittelmeer-Auftritt beginnt schon vor dem Gründungstreffen der
       UPM. Am Samstag wird er den libanesischen Präsidenten Michel Suleiman, den
       syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und den ägyptischen Präsidenten
       Husni Mubarak empfangen. Sarkozys Hoffnung, dass der Syrer und der Libanese
       in Paris Zweiergespräche führen, könnte sich erfüllen. Für die zweite
       französische Hoffnung hingegen, dass sich in Paris auch die israelische und
       die syrische Spitze näherkommen, sieht es schlechter aus. Syriens
       Außenminister erklärte, dass Damaskus es vorerst bei den "indirekten"
       Verhandlungen mit Israel belassen möchte, die gegenwärtig die Türkei
       moderiert. Während Sarkozy mit dem syrischen Staatschef spricht, werden in
       Paris syrische Oppositionelle und französische MenschenrechtlerInnen gegen
       die Unterdrückung der Opposition und Folter demonstrieren.
       
       Am Sonntag soll dem eigentlichen Mittelmeergipfel ein Nahost-Treffen im
       Elysée-Palast vorausgehen. Dort treffen Israels Premier Ehud Olmert und
       Palästinenserchef Mahmud Abbas mit Sarkozy zusammen. Ganz nebenbei versucht
       der französische Staatschef damit auch, eine Rolle im Friedensprozess im
       Nahen Osten einzunehmen. Syriens al-Assad hat ihn dazu ganz direkt
       aufgefordert.
       
       12 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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