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       # taz.de -- Debatte steigende Energiepreise: Energiearmut, Luxusverbrauch
       
       > Die steigenden Energiepreise werfen ganz neue Fragen der sozialen
       > Gerechtigkeit auf. Nur "billige Energie für Bedürftige" zu fordern wäre
       > allerdings ökologisch verkehrt.
       
       Nach dem Ölpreisschock der letzten Monate ist in der Politik große Hektik
       ausgebrochen. Fieberhaft wird nach einem sozial gerechten Umgang mit den
       steigenden Energiepreisen gesucht, ein Vorschlag jagt den nächsten:
       Verringerte Mehrwertsteuer auf Energie, schlagen die einen vor. Günstige
       Sozialtarife für Energie die anderen, die Dritten preisen mehr "billigen"
       Atomstrom an.
       
       Das Thema "Energiearmut" ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und
       es wird dort lange bleiben. Bislang wird jedoch hauptsächlich an den
       Symptomen herumgedoktert, die Lösung des Problems lediglich in einer Art
       Anbau unseres sozialen Sicherungssystems gesehen: auch für die sozial
       Schwachen soll ein Mindestmaß an Energie für Strom, Heizung und Mobilität
       garantiert sein.
       
       Das ist insofern richtig, als sozial schwachen Haushalten tatsächlich sehr
       schnell unter die Arme gegriffen werden muss, die steigenden Energiepreise
       zu bewältigen. Auch im Energiebereich nehmen die Ungleichheiten in unserer
       Gesellschaft zu und schränken die Möglichkeiten der Ärmeren zur
       gesellschaftlichen Teilhabe ein. Eine verbesserte Grundversorgung mit
       Energie - etwa über die Anpassung der Hartz-IV-Leistungen an die steigenden
       Energiepreise - ist deshalb nötig. Ferner sollten sozialökologische
       Energietarife zur Regel werden: Eine bestimmte Menge an Energie wird als
       Existenzminimum für jede im Haushalt lebende Person kostenlos - oder zu
       einem geringen Preis - zur Verfügung gestellt. Oberhalb dieser
       Verbrauchsgrenze steigen die Kosten je verbrauchter Kilowattstunde steil
       und progressiv an. Zu den sinnvollen Sofortmaßnahmen zählen auch
       Sozialtickets im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Außerdem sollte es
       verboten werden, säumigen Kunden bei Zahlungsverzug Strom und Gas zu
       sperren.
       
       Die bisherige Diskussion um eine sozial gerechte Energiepolitik beschränkt
       sich aber zu sehr auf derartige unmittelbare Hilfen für Bedürftige. Dabei
       wird der fundamentale Unterschied zu den traditionellen Problemen der
       Sozialpolitik übersehen: Erfolgte der soziale "Interessenausgleich" bislang
       nur zwischen Staat und Bürgern, so schiebt sich immer stärker ein dritter
       Faktor ins Blickfeld - die Umwelt. Die Endlichkeit der Ressourcen zwingt
       dazu, Gerechtigkeit nicht mehr nur als eine Art Reparaturbetrieb über den
       finanziellen Ausgleich, sondern auch über eine Verringerung des Verbrauchs
       und einer Neuverteilung der Ressourcen herzustellen. Mehr
       Energie-Gerechtigkeit kann also nicht heißen, allein billigere Energie für
       schwächere soziale Schichten bereitzustellen, so wichtig eine
       Grundversorgung auch ist. Denn mit einer Senkung ihrer Energiekosten wäre
       zwar ihr sozialer Ausschluss verhindert. Ein dauerhaft hoher
       Energieverbrauch der gesamten Gesellschaft wird jedoch dazu führen, unsere
       Lebensgrundlagen zu zerstören. Nur in Verbindung mit einer Verringerung des
       Verbrauchs ist mehr Verteilungsgerechtigkeit sinnvoll.
       
       Diese Erkenntnis hat zwei Konsequenzen: Erstens müssen sozial schwächere
       Haushalte in erster Linie dabei unterstützt werden, ihren Energieverbrauch
       drastisch zu verringern. Zweitens müssen der Viel- und der Luxusverbrauch
       eingeschränkt werden. Ersteres bedeutet, sozial Schwächeren zu helfen,
       indem man die Wärmedämmung ihrer Wohnungen fördert und ihnen Mittel in die
       Hand gibt, auf hocheffiziente Haushaltsgeräte umzusteigen. Dazu liegen
       bereits viele Konzepte vor. So etwa sollten von staatlicher Seite
       energetische Sanierungsprogramme insbesondere in sozialen Brennpunkten
       gefördert werden. Auch müssten die Förderbedingungen für erneuerbare
       Energien so überarbeitet werden, dass auch sozial schwache Haushalte
       stärker davon profitieren. Das würde zu einer doppelten Dividende führen -
       zu einer Entlastung der Haushalte wie auch der Umwelt.
       
       Eine andere Strategie muss die Lebensstile der Bessergestellten ins Visier
       nehmen. Der durchschnittliche CO2-Ausstoß in Deutschland liegt bei rund
       zehn Tonnen pro Kopf. Beim einzelnen Verbraucher schwanken die Werte
       zwischen drei und dreißig Tonnen pro Jahr. Bis zum Jahr 2050 muss, um das
       Klima zu schützen, der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoß auf etwa zwei
       Tonnen pro Jahr zurückgehen. Den Umweltverbrauch zu subventionieren, dieser
       Weg ist deshalb versperrt: Statt also daran zu arbeiten, allen Bürgern in
       Deutschland den annähernd gleichen, umweltschädigenden Lebensstil zu
       ermöglichen, müssen die Bedürfnisse und der Verbrauch der Mittel- und
       Oberschichten an Energie auf ein umweltverträgliches Maß abgesenkt werden.
       Das würde nebenbei dazu führen, den Markt zu entlasten und die
       Preissteigerungen abzuschwächen. Die nächsten Jahre gilt es zu nutzen, um
       komplett von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden.
       
       Eine ökologisch und sozial gerechte Energiepolitik muss deshalb stärker
       zwischen den Grundbedürfnissen und darüber hinausgehenden Ansprüchen an
       Energie sowie Mobilität unterscheiden. Erstere gehören subventioniert,
       Letztere dagegen stark verteuert oder gar ordnungsrechtlich unterbunden.
       
       Mobilität etwa kann man als Grundrecht verstehen. Daraus lässt sich aber
       noch kein Grundrecht auf "Auto"-mobilität ableiten. Von extremen Ausnahmen
       im ländlichen Raum einmal abgesehen, muss das Autofahren daher nicht
       staatlich unterstützt werden. Allerdings trifft den Staat die Pflicht,
       öffentliche Verkehrsmittel in Stadt und Land so auszubauen, dass alle
       Menschen mobil sein können.
       
       Zu weiteren Maßnahmen, um den Luxusverbrauch zu senken, sollte es gehören,
       bei Fahrzeug-Neuzulassungen Obergrenzen der Motorleistung festzulegen sowie
       strenge Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Automotoren und eine generelles
       Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. Sinnvoll sind möglicherweise sogar
       Obergrenzen, was die Zahl jährlicher Dienst- und Privatflüge angeht.
       
       Wer das als zu starken Eingriff empfindet, der könnte sich vielleicht mit
       progressiven Steuern anfreunden, die den oben vorgeschlagenen progressiven
       Tarifen für Haushaltsenergie ähneln: der erste Flug müsste zusätzlich die
       Emissionen kompensieren, die Steuer für den zweiten Flug wäre schon doppelt
       so teuer, ein dritter Flug würde gar das Vierfache kosten. Das würde sogar
       die Geschäftsreisen drastisch vermindern. Grundrechte werden durch diese
       Maßnahmen nicht tangiert.
       
       Die Politik muss zwei Maximen folgen: Sie muss, durch einen finanziellen
       Ausgleich, zumindest kurzfristig die größten Härten mildern. Sie muss aber
       auf echte Umweltgerechtigkeit zielen, indem den sozial Schwachen ermöglicht
       wird, Kosten zu sparen und den Verbrauch zu verringern, während der
       Verbrauch der Mittel- und Oberschichten eingeschränkt wird. Die steigenden
       Energiepreise sind ein guter Anlass, sich daran zu machen, die Ursachen der
       Energiearmut und des Klimawandels gemeinsam zu bekämpfen.
       
       10 Jul 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hermann E. Ott
   DIR Julia Schlüns
       
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