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       # taz.de -- Der Kirchgang wird zum Event: Jesus loves you
       
       > Mit Beatmessen und Rockkonzerten feiern immer mehr junge Menschen ihren
       > Glauben. Doch hinter der lässig-hippen Fassade verbirgt sich oft ein
       > fundamentalistischer Kern.
       
   IMG Bild: Der Heiland mal ganz trendy. Pop oder Provokation?
       
       Der Sänger hält die Augen geschlossen, bewegt die Hände im Rhythmus des E-
       Basses, trippelt vor und zurück. 50 junge Menschen stehen vor der Bühne,
       klatschen wild in die Hände und wiegen die Hüften hin und her. Einige
       strecken eine Hand in die Höhe, manche jubeln - und der Sänger ruft:
       "Jesus, es ist so krass, dass du da bist!"
       
       Ein Gottesdienst? Nein, was in diesem Bonner Altbau passiert, ist eine
       "Celebration" - so nennen es die Anhänger des International Christian
       Fellowship (ICF), die hier Jesus huldigen. Die Freikirche ist dabei, sich
       die Zielgruppe der ansonsten kirchenskeptischen 20- bis 30-Jährigen zu
       erschließen. In herkömmlichen Gotteshäusern lassen die sich immer seltener
       sehen, den Gang in eine schmucklose Lagerhalle scheuen sie nicht, sofern
       die Action stimmt: Rockmusik statt Pfeifenorgel, Theater statt
       Schlangestehen für Oblaten, tanzen statt sitzen auf der harten Kirchenbank.
       
       Das Konzept der Event-Christen kommt gut an: Die ICF Bonn begrüßt nach
       eigenen Angaben jeden Sonntag mindestens drei neue Besucher. Die Bewegung
       wachse jedes Jahr um 15 Prozent, heißt es in der ICF-Zentrale in Zürich.
       Etwa 5.000 Menschen besuchten die Gemeinden in der Schweiz, Deutschland,
       Großbritannien und Tschechien. Auch andere Freikirchen sprießen allerorten:
       2007 haben sich allein im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) 18
       neue Gemeinden gegründet.
       
       Mit dem Vormarsch der neuen Spaßchristen kommt auf die etablierten Kirchen
       mit ihren aufgeklärt-sachlichen Gottesdiensten eine Herausforderung zu.
       Schließlich missionieren auch die Neuen fleißig: Sie wollen andere
       überzeugen, dass sie den Glauben außerhalb der üblichen Bahnen intensiver
       leben können. Kirche sein - das wollen sie durchaus, aber nicht so heißen.
       Stattdessen nennen sie sich Jesus Revolution, International Christian
       Fellowship, Studenten für Christus (SFC) oder auch Jesus Freaks.
       
       "Die neuen christlichen Bewegungen wollen vor allem junge Erwachsene
       ansprechen, die von den etablierten Kirchen enttäuscht sind", sagt Reinhard
       Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für
       Weltanschauungsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Mit
       der neuen poppigen Eventkultur außerhalb der Kirchenmauern griffen die
       Splittergruppen geschickt dieses Gefühl auf. Hempelmann sieht das jedoch
       durchaus kritisch: "Dabei entwickeln sie oft ein elitäres
       Selbstverständnis, das Gottes Geist nur in den eigenen Reihen wirken
       sieht."
       
       Beats für den Heiland
       
       Für ihre Missionsarbeit nutzen die hippen Christen moderne Medien: Im
       Internet bieten sie Predigten zum Herunterladen an, daneben
       Diskussionsforen und Videos. Die Gemeinde wird zur "Web-Community", die
       sich auf Foren wie jesusgeneration.de rege austauscht. Mit Bekenntnissen
       stärken sich die User gegenseitig im Glauben. Das klingt dann zum Beispiel
       so: "Wenn ich mich zwischen Jesus und egal was entscheiden müsste, ich
       würde Jesus wählen."
       
       Musik öffnet die Herzen, diese Einsicht ist nicht neu. Auch die etablierten
       Kirchen probieren es in ihren Gotteshäusern seit Jahren mit
       zeitgenössischen Konzerten oder Beatmessen. Die neuen Gruppen gehen einen
       Schritt weiter und stellen ganze Festivals auf die Beine - außerhalb der
       Kirchen. So laden die Jesus Freaks jeden Sommer zum "Freakstock"-Festival
       nach Gotha ein. Bis zu 10.000 Menschen kommen, um mit Musik von Reggae bis
       Heavy Metal ihren Jesus zu feiern. So nah an den jungen Menschen zu sein,
       das fällt den etablierten evangelischen Landeskirchen und den katholischen
       Kirchen schwerer. Sie haben noch keine rechte Antwort für junge Menschen,
       die Bachs Orgelklänge und Luthers Bibelsätze nicht mehr hören wollen.
       
       Auch in puncto Geschäftstüchtigkeit sind die Jesus Freaks offenbar einen
       Schritt voraus: Im Internet-Versandhandel Freakstyle AG bieten sie alle
       Merchandising-Artikel an, die das Christenherz begehrt: Buttons mit
       Dornenkrone, das Computerspiel "Die Rettung", Baseballkappen mit
       christlichem Alpha-Omega-Symbol, das als stilisiertes Anarchiezeichen
       dargestellt wird. So bleiben die Wurzeln der Freaks sichtbar: Junge Leute
       aus der linksalternativen Szene Hamburgs haben die Gruppe 1991 gegründet,
       Gebetskreise ersetzten sie durch "Jesus-Abhäng-Abende". Konventionen sind
       schnuppe: "Wir wollen uns nicht den ungeschriebenen Gesetzen des
       Christentums unterwerfen", so sagt es "Groschi", ein Mitarbeiter der
       Freaks-Zentrale. Zu ihnen könne jeder kommen, egal wie er aussieht oder
       sich kleidet.
       
       Da auch die Heilige Schrift nach Ansicht der jungen Freaks mal ordentlich
       abgestaubt gehört, publizieren sie die "Volxbibel". Die nimmt für sich in
       Anspruch, die Sprache der bundesweit rund 2.000 Anhänger zu sprechen. In
       der Weihnachtsgeschichte etwa heißt es über Maria und Josef: "Weil sie
       keinen anständigen Pennplatz mehr gefunden hatten (die Hotels waren alle
       voll), musste die Geburt in einem Stall stattfinden." Wer
       Verbesserungsvorschläge hat, kann sie im Internet angeben - die Bibel im
       Web-2.0-Stil soll die Jüngeren ansprechen.
       
       Das Aufkommen der Event-Christen irritiert nicht nur die etablierten
       Glaubensgemeinschaften. Auch die traditionellen Freikirchen, die bisher den
       Exotenstatus quasi exklusiv für sich verbuchen konnten, sind mit dem
       Vormarsch der Splittergruppen konfrontiert: "Wir betrachten das nicht als
       Konkurrenz", sagt Julia Grundmann, Öffentlichkeitsarbeiterin bei der
       Vereinigung Evangelischer Freikirchen, der unter anderem Baptisten- und
       Methodistenkirchen angehören. "Wir übernehmen aber schon einige gute
       Impulse von den neuen Kirchen", räumt sie ein. So bieten die
       Baptistengemeinden seit Neuestem eine Internet-Plattform für junge
       Erwachsene an: "Kirche 21".
       
       Bei aller Annäherung bleiben wesentliche Unterschiede. Denn so locker die
       Neuen auftreten - in ihren Glaubensgrundsätzen hören Spaß und Freiheit auf.
       Aussagen aus der Bibel werden inhaltlich meist knochenernst und ohne
       Abstriche in die heutige Zeit übertragen. Das heißt auch: Homosexualität
       ist Sünde und die Evolutionstheorie ist frei erfunden. Wer sich eine eigene
       Meinung zur Bibel bilden will, ist meist fehl am Platz. Im hierarchischen
       Gemeindeaufbau geben die Leiter die theologische Marschrichtung vor: "Wir
       glauben nicht an Demokratie in der Kirche", sagt etwa Daniel Linder,
       Pressesprecher der ICF-Dachorganisation in Zürich.
       
       Kirche statt Freitod
       
       Reinhard Hempelmann von der evangelischen Kirche sieht das mit Sorge: "Da
       bilden sich manchmal problematische Autoritätsstrukturen heraus", sagt der
       EKD-Mann. Es sei immer gefährlich, wenn sich Führungspersönlichkeiten auf
       die Unfehlbarkeit der Bibel beriefen. In manchen Fällen würden sogar junge
       Menschen zum Missionieren in ein anderes Land geschickt mit der lapidaren
       Begründung, der Heilige Geist habe das einem Leiter befohlen.
       
       Von den Gläubigen wird viel verlangt - so auch im Bonner ICF-Happening:
       "Gott wartet darauf, dass du ihm eine Liebeserklärung machst", ruft die
       Gemeindeleiterin Miriam Roll in ihrer Predigt. Die Botschaft scheint
       anzukommen: Eine persönliche Beziehung zu Gott und Christus wird zur
       zentralen Frage in den neuen freikirchlichen Gemeinden. "Mit Jesus fängt
       man ein neues Leben an", sagt eine Besucherin mit einem wissenden Lächeln.
       Ein junger Mann trägt die christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung
       eintätowiert auf seinem Arm. Ein anderer, Mitte 30 und sportlich, erzählt,
       wie er sich das Leben nehmen wollte. Doch dann habe ihn eine
       Baptistengruppe in der Fußgängerzone angesprochen und bekehrt. Jetzt, bei
       ICF angekommen, sei er wieder glücklich und bereit, andere Menschen vom
       Christsein zu überzeugen.
       
       Miriam Roll hat sogar ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben, um mit ihrem
       Ehemann die Bonner ICF-Gemeinde zu leiten. Die beiden leben jetzt von
       Nebenjobs, weil das Gehalt, das ihnen die Gemeinde zahlt, nicht ausreicht.
       Freikirchen bekommen keine Kirchensteuer, sondern finanzieren sich über
       Spenden und Mitgliedsbeiträge. Nach alttestamentarischer Tradition ist es
       in den meisten Freikirchen üblich, dass die Gläubigen ein Zehntel ihres
       Einkommens an die Gemeinde abgeben. Auch die ICF hält das so. Miriam Roll
       und ihr Mann machen ihre persönliche Lebensplanung damit vom Schicksal der
       Gemeinde abhängig. Anfangs sei das äußerst schwierig gewesen, es seien nur
       sehr wenige Leute gekommen, erzählt die 31-jährige Miriam Roll und streicht
       sich die halblangen braunen Haare aus dem Gesicht. Aber dann habe Gott
       eingegriffen, heute floriere die Gemeinde mit rund 80 aktiven Mitgliedern
       und Besuchern. Mit einem Lächeln sagt die junge Frau: "Das haben nicht wir
       geschafft. Das war Gott!"
       
       Wenn Menschen etwas erreichen, ist es Gottes Werk, wenn sie scheitern, hat
       ihnen der Teufel dazwischengefunkt. Dieser Glaube ist in den meisten neuen
       Freikirchen verbreitet. Harald Lamprecht, Beauftragter für
       Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche Sachsen, sieht das
       Schwarz-Weiß-Schema sehr kritisch: Zweifel am Glauben würden so dämonisiert
       - und nicht verarbeitet. Er kennt ein extremes Beispiel: Eine Frau wurde
       von ihrer freikirchlichen Gemeinde zur Trennung von ihrem Mann gedrängt.
       Begründung: Der Mann habe einen dämonischen Einfluss auf sie ausgeübt.
       
       Bibelfest und radikal
       
       Trotz aller Gefahren: Christoph Grotepass von der Sekten-Info
       Nordrhein-Westfalen, einer vom Land NRW geförderten Beratungsstelle, rät
       zur Differenzierung: "Man darf nicht alle Bewegungen über einen Kamm
       scheren." Ein Alarmzeichen sei es aber, wenn eine Gruppe jegliche
       Kooperation mit anderen Kirchen ablehne. Wer mit solchen Bewegungen in
       Berührung kommt, solle vor allem die Veranstalter nach ihren Zielen und
       Wurzeln fragen.
       
       Doch das ist gar nicht so einfach, wie ein Anruf bei SFC in Köln zeigt.
       Nach außen gibt sich die Gruppe bürgerlich-studentisch. Mit ihren rund 300
       Mitgliedern wirbt sie meist an Unis mit Handzetteln, manchmal auch mit
       Theateraktionen. Auf die Frage, ob die Gruppe zu einer bestimmten
       freikirchlichen Strömung gehöre, lautet die Antwort: nein. Dabei
       verschweigt der Gruppenleiter, dass SFC der studentische Teil der
       Pfingstbewegung ist. In dieser christlichen Erneuerungsbewegung sind
       bibeltreu-radikale Ansichten weit verbreitet.
       
       Aber die verkaufen sich eben nicht so gut wie ein zünftiges christliches
       Event.
       
       7 Apr 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva-Maria Simon
       
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   DIR Fußball
   DIR Werder Bremen
       
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