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       # taz.de -- Speicherung von Verbindungsdaten auf Vorrat: Überwachte Kommunikation
       
       > Wolfgang Schäuble weiß nicht nur, was du letzte Nacht im Internet gelesen
       > hast. Er weiß auch, wem du im letzten halben Jahr SMS geschickt hast.
       
   IMG Bild: Belauscht vom Staat: Kommunikation soll protokolliert werden.
       
       Dass sich Terroristen per SMS absprechen, scheint ungewöhnlich, dennoch
       werden jetzt seit Jahresbeginn 2008 Daten gespeichert, die Auskunft geben,
       an wen und vor allem auch von wo aus eine Kurzmitteilung geschickt wurde.
       Diese Daten werden auf Vorrat für sechs Monate gespeichert. Ebenfalls
       aufgezeichnet und verwahrt werden alle Telefonverbindungen von Handy und
       Festnetz. Ab 2009 sollen auch die Internet-Verbindungsdaten dazu kommen.
       Die gesamte Kommunikation wird damit durchsichtig. Anonymisierungsdienste
       sollen verboten werden.
       
       30.000 legten Verfassungsbeschwerde ein 
       
       In der Bevölkerung stößt die Vorratsdatenspeicherung auf großen Widerstand.
       Insgesamt 30.000 Bürger bevollmächtigten den Arbeitskreis
       Vorratsdatenspeicherung für sie eine [1][Verfassungsbeschwerde]
       einzureichen - die taz [2][berichtete].
       
       Da die Erfassung und Auswertung der Vollmachten bislang noch nicht
       abgeschlossen werden konnte, wurde die Beschwerde am 31.12.2007 zunächst im
       Namen von acht Erstbeschwerdeführern eingereicht worden, darunter der
       FDP-Politiker Burkhard Hirsch. Doch ein Zeichen wurde gesetzt. Vertreten
       wird die Beschwerde durch den Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik.
       Hier wird der [3]["Anwalt der Bürgerrechte"] im taz-Portrait vorgestellt.
       Die öffentliche Liste der [4][Beschwerdeführer] steht im Internet, ebenso
       wie der [5][Beschwerdetext] (PDF) selbst.
       
       Seit Ende Januar ist nun auch die richterliche Zuständigkeit in Karlsruhe
       geklärt: Zuständig für die Massenverfassungsbeschwerde ist der erste Senat
       des Bundesverfassungsgerichts.
       
       Eilentscheidung im März 
       
       Das Bundesverfassungsgericht will seine mit Spannung erwartete
       Eilentscheidung rasch verkünden. "Wir beabsichtigen, noch im März zu
       entscheiden", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier am 13. Februar in
       Karlsruhe. Nähere Angaben dazu machte er nicht.
       
       Gespeichert werden laut dem Gesetzt alle Daten der Verbindungen, nicht die
       Inhalte der Kommunikation: Wer hat sich mit welcher IP-Adresse ins Internet
       eingewählt? Wann wurde von welchem Telefon welche Nummer angerufen? Von wo
       aus hat ein Mobilfunk-Teilnehmer telefoniert? Datenschützer mahnen aber an,
       dass von dem einen sehr einfach auch auf das andere geschlossen werden
       kann. Bei SMS ist eine Trennung von Inhalt und Verbindungsdaten rein
       technisch gar nicht möglich.
       
       Trotz umfangreicher Kritik wurde das Gesetzt zur Vorratsdatenspeicherung
       verabschiedet. Ausgerechnet am historisch bedeutsamen 9. November wurde die
       Neuregelung der Kommunikationsüberwachung von CDU/CSU und SPD beschlossen.
       Der genaue Wortlaut des [6][Gesetz] steht hier.
       
       Nichtigkeitsklage gegen Richtlinie 
       
       Deutschland hat sich damit ein Fleißsternchen von der EU verdient, denn mit
       dem Gesetzt wird eine [7][EU-Richtlinie] zur Vorratsdatenspeicherung
       umgesetzt. Erst acht der 27 EU-Staaten hätten entsprechende Gesetze bereits
       beschlossen, wie die dpa im Januar meldete. Die Richtlinie lässt den
       Ländern einen gewissen Spielraum: Sie sieht eine Speicherdauer von sechs
       bis 24 Monaten vor.
       
       Irland und die Slowakei [8][reichten] beim Europäischen Gerichtshof gegen
       sie eine [9][Nichtigkeitsklage] ein. Allerdings nicht, um die
       Vorratsdatenspeicherung zu verhindern: Die beiden Länder kämpfen um
       [10][ihre Idee], die Daten ein bis drei Jahre lang zu speichern. Dennoch
       hätte Deutschland auch das Ergebnis dieser Klage abwarten können.
       
       Unschuldige Bürger werden überwacht 
       
       Datenschützer [11][kritisieren], dass mithilfe der gespeicherten Daten
       Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und
       Freundschaften ausgespäht werden können und von Polizei, Staatsanwaltschaft
       und ausländischen Staaten einsehbar seien.
       
       Hauptkritik: Diese Maßnahme trifft eben nicht Terroristen, sondern
       mehrheitlich unschuldige Bürger, die in ihren Rechten massiv beschnitten
       werden: In Deutschland liegt nach juristischer Argumentation ein Verstoß
       gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle
       Selbstbestimmung , gegen die Meinungs-, Informations- und Rundfunkfreiheit,
       gegen die Berufsfreiheit und gegen das Gleichbehandlungsgebot vor.
       
       Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leite sich laut Arbeitskreis
       Vorratsdatenspeicherung aus den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes ab: aus
       der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
       
       Schon der deutsche Gesetzentwurf stieß international auf Widerstand. Der
       europäische Konzerndatenschutzbeauftragte von Google , Peter Fleischer,
       empört sich in der [12][New York Times] über den deutschen Gesetzentwurf,
       der mit enormen Kosten für die Unternehmen verbunden wäre.
       
       Freiheit statt Angst 
       
       Nicht nur Konzerne wie Google legten Protest ein. [13]["Freiheit statt
       Angst"] lautete das Motto zahlreicher Demonstration in mehreren großen
       Städten. Am 22. September 2007 wurde in Berlin zur bislang größten
       Demonstration gegen die Überwachung seit dem Volkszählungs-Boykott vor 20
       Jahren aufgerufen. Die Polizei zählte mehr als 8000 Teilnehmer. Nach
       Angaben der Veranstalter beteiligten sich deutlich mehr als 15.000 Menschen
       an Kundgebung und Protestmarsch.
       
       Zur Kundgebung hatte neben den Veranstaltern vom Arbeitskreis
       Vorratsdatenspeicherung ein breites Bündnis von 50 gesellschaftlichen
       Gruppen aufgerufen, darunter Interessenvertreter von Journalisten, Ärzten,
       Juristen und sozialen Diensten. Sie sehen große Probleme für die Ausübung
       ihrer Berufe: Schweigepflicht und Informantenschutz wären durch die
       Vorratsdatenspeicherung und auch durch die Online-Durchsuchung massiv
       angegriffen.
       
       Protestzüge gab auch schon am 14. April 2007 in [14][Frankfurt am Main] und
       2006 auch schon [15][in Berlin] und [16][in Bielefeld].
       
       Argumente der Befürworter 
       
       Der Arbeitskreis hat die Argumente der Befürworter der
       Vorratsdatenspeicherung [17][kritisch beleuchtet]. Ein beliebtes Argument:
       Verbindungsdaten seien zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter
       Kriminalität unverzichtbar. Der Arbeitskreis und auch Bundesbeauftragte für
       den Datenschutz, Peter Schaar, [18][sagen], das sei falsch . Zur
       Kriminalitätsbekämpfung seien auch ohne eine Totalprotokollierung jeder
       Benutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet genügend Verbindungsdaten
       verfügbar, zum Beispiel die Verbindungsdaten, die für Abrechnungszwecke
       erhoben werden, und die Einzelverbindungsübersicht der Telefonanschlüsse.
       Auf richterliche Anordnung hin dürfen die Verbindungsdaten von bestimmten
       Verdächtigen ohnehin aufgezeichnet werden. Nach den terroristischen
       Anschlägen in Madrid konnten die Terroristen mit den bestehenden Daten
       überführt werden.
       
       Die Internet-Ermittler der Initiative "no abuse in internet" (naiin), eine
       von der Wirtschaft getragene Einrichtung zur Bekämpfung von
       Online-Kriminalität, [19][befürchten sogar], dass die Aufklärung von per
       Internet verübten Straftaten durch die massenhafte Speicherung von
       Verbindungsdaten weiter erschwert wird.
       
       Anonymes Surfen 
       
       Um das anonyme Surfen dennoch zu ermöglichen, hat der Verein zur Förderung
       des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD ) einen
       [20][PrivacyDongle] entwickelt. Der USB-Stick beherbergt die Software
       [21][TorPark]. Mit einem Klick auf das Programm-Icon kann man sich im
       Internet bewegen, ohne Datenspuren zu hinterlassen. Der eigene Computer
       verbindet sich mit dem Tor-Netzwerk und stellt die Verbindung über drei
       Server her. Jeder Server kennt lediglich seinen Vorgänger und seinen
       Nachfolger: Die Spur verblasst. Alle Verbindungen werden verschlüsselt.
       Allerdings leidet die Geschwindigkeit deutlich darunter. Wie lange solche
       Methoden dann noch legal bleiben, ist fraglich. Es könnte auch sein, dass
       man sich durch das Nutzen von Anonymisierungstechniken gerade erst
       verdächtig macht. In der Vergangenheit wurden auch schon Server von der
       Polizei [22][beschlagnahmt], die im Tor-Netzwerk Verbindungen zum
       Zielsystem herstellten und deshalb in dessen Log-Dateien auftauchten.
       
       Die Suchmaschine Google , die bislang alle IP-Adressen von Suchanfragen
       speichert, kündigt Mitte März an, dies zukünftig [23][nur noch 18 bis 24
       Monate] lang zu tun. Alle anderen Dienste werden weiterhin auf unbestimmte
       Zeit persönliche Daten sammeln.
       
       Gegen die Menschenrechtskonvention 
       
       In Europa [24][wächst] der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung.
       Die niederländische Datenschutzbehörde kritisiert in einer
       [25][Stellungnahme] die Umsetzung und den [26][Gesetzentwurf] der Regierung
       in Den Haag. Gegen Artikel 8 der [27][Europäischen
       Menschenrechtskonvention], der das Privatleben der Bürger schützt, werde
       dadurch verstoßen.
       
       Wer sich an weiteren Aktionen gegen die Speicherung der Kommunikationsdaten
       engagieren will, der werfe einen Blick ins [28][Wiki des
       AK-Vorratsdatenspeicherung]. Eine große Materialsammlung der Aktivisten
       gegen die Überwachung, samt Radioartikel, Umfrageergebnisse, Stellungnahmen
       und Kampagnen-Flyer, steht [29][hier] online.
       
       Zu den weiteren Brennpunkten: [30][Biometrische Systeme im Einsatz],
       [31][Heimliche PC-Durchsuchungen], [32][Ausweise mit biometrischen Daten]
       und [33][Schnüffelchips in Kleidung].
       
       11 Feb 2008
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de/
   DIR [2] http://onlinetaz.hal.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/30000-menschen-klagen-in-karlsruhe/?src=SE&cHash=5c9c160662
   DIR [3] /1/leben/koepfe/artikel/1/starostik-gegen-den-staat/
   DIR [4] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/64/70/lang,de/
   DIR [5] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Verfassungsbeschwerde_Vorratsdatenspeicherung.pdf
   DIR [6] http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl107s3198.pdf
   DIR [7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/69881
   DIR [8] http://www.heise.de/newsticker/meldung/73751
   DIR [9] http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/gettext.pl?where=&lang=de&num=79939084C19060301&doc=T&ouvert=T&seance=REQ_COMM
   DIR [10] http://www.heise.de/ct/04/23/058/
   DIR [11] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/index.php?option=com_content&task=view&id=78&Itemid=86#ritik
   DIR [12] http://www.nytimes.com/2007/02/20/business/worldbusiness/20privacy.html?ex=1329627600
   DIR [13] http://www.freiheitstattangst.de/
   DIR [14] http://www.heise.de/newsticker/result.xhtml?url=/newsticker/meldung/86698&words=Vorratsdatenspeicherung
   DIR [15] http://www.heise.de/newsticker/meldung/74384
   DIR [16] http://www.heise.de/newsticker/meldung/79824
   DIR [17] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/83/87/lang,de/
   DIR [18] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/78/86/lang,de/#Kriminalit.C3.A4tsbek.C3.A4mpfung
   DIR [19] http://www.naiin.org/de/content/presse/news/280108-1.php
   DIR [20] http://www.foebud.org/privacydongle
   DIR [21] http://tor.eff.org/
   DIR [22] http://www.heise.de/newsticker/meldung/77915
   DIR [23] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24854/1.html
   DIR [24] http://www.heise.de/newsticker/meldung/84794
   DIR [25] http://www.cbpweb.nl/documenten/adv_z2006-01542.shtml
   DIR [26] http://www.justitie.nl/images/5460513%20wetsvoorstel%20wijz%20MvJ_tcm34-33511.pdf
   DIR [27] http://www.uni-potsdam.de/u/mrz/coe/emrk/emrk-de.htm
   DIR [28] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Hauptseite
   DIR [29] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/170/129/lang,de/
   DIR [30] /1/archiv/dossiers/dossier-ueberwachung/biometrie/artikel/1/biometrische-systeme-im-einsatz/
   DIR [31] /1/archiv/dossiers/dossier-ueberwachung/online-durchsuchung/artikel/1/heimliche-pc-durchsuchungen/
   DIR [32] /1/archiv/dossiers/dossier-ueberwachung/e-pass/artikel/1/zeigt-her-eure-finger/
   DIR [33] /1/archiv/dossiers/dossier-ueberwachung/rfid/artikel/1/funkende-kleidung/
       
       ## AUTOREN
       
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