URI: 
       # taz.de -- Japans Traditionssport in der Kritik: Tod eines Sumo-Ringers
       
       > Der japanische Traditonssport, ein Relikt aus der Feudalzeit, verweigert
       > sich der Moderne und setzt auf harten Drill. Einen jungen Kämpfer kostete
       > diese Mentalität das Leben.
       
   IMG Bild: Strenges Regime, ungesunder Lebenswandel: Sumo-Ställe haben Nachwuchsprobleme.
       
       Was alt ist, ist gut, weil es alt ist. Etwa in dieser Diktion versteht sich
       der japanische Sumo-Verband als letzte Bastion zur Verteidigung einer
       originären japanischen Kultur. Diesen hochkomplexen Begriff zu definieren
       und eine daraus abgeleitete Handlungsdoktrin zu formulieren ist nicht immer
       Ausweis geistiger Schärfe - oft eher der von fortschreitendem Starrsinn,
       der die persönlichen Ansichten unter Verweis auf etwas waberndes Großes
       nicht in Frage gestellt sehen will. Sumo hat sich in diesem Umfeld als
       Relikt des feudalistischen Japan erhalten, so auch die Analyse eines der
       namhaftesten westlichen Japanforscher, Edwin O. Reischauer.
       
       Der 17-jährige Takashi Saito trat im Mai dieses Jahres einem Sumo-Stall der
       mitteljapanischen Stadt Nagoya bei. Seine persönliche Freiheit hatte er
       damit weitgehend verwirkt. Von nun an war er nicht mehr Takashi Saito,
       sondern hörte auf den vom Stall vorgegebenen Kampfnamen "Tokitaizan". Junge
       Sumotori verbringen jede Stunde, jede Minute des Tages fremdbestimmt und
       abgeschottet von der Außenwelt im Regelkorsett des Trainingszentrums. Den
       Anweisungen älterer Ringer und des Ausbilders ist bedingungslos Folge zu
       leisten. Der Tag beginnt etwa um fünf Uhr morgens und nach einer ersten
       kurzen Trainingssession widmet man sich hauptsächlich hauswirtschaftlichen
       Tätigkeiten - Kochen, Putzen und Kurierdiensten für die älteren und
       erfolgreicheren Ringer. Das Bewusstsein um den eigenen Status darin
       durchdringt jede Faser eines hoch formalisierten Alltagslebens. Das soll
       abhärten und tut es wohl auch. Die Ausstiegsquote liegt bei über 50
       Prozent. Und auch Takashi Saito hielt es nicht sehr lange aus. Zweimal
       flüchtete er nach Hause. Zweimal konnte ihn sein Vater zum Durchhalten
       bewegen. Einen Tag nach der abermaligen Rückkehr, anderthalb Monate nach
       dem Beginn seines Ringerlebens, war Takashi Saito tot.
       
       "Ein Vertreter des Sumo-Stalls berichtete von einem bedauerlichen
       Trainingsunfall und bot an, den Leichnam gleich vor Ort verbrennen zu
       lassen", so Masato Saito, der Vater des jungen Ringers. Er drängte dennoch
       auf eine amtliche Autopsie des Leichnams, bei der dann etliche Wundmale und
       Verletzungen festgestellt wurden. In einem polizeilichen Verhör gestand der
       Chef des Sumo-Stalls, Tokitsukaze, den jungen Sumotori am Abend seiner
       Rückkehr mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen zu haben. Auch
       schritt er nicht ein, als ältere Ringer Saito mit einer Metallstange
       traktierten. Weitere Quellen sagen aus, dass auf Anordnung Tokitsukazes
       jegliche medizinische Hilfe verweigert wurde - auch nachdem Saito bereits
       zusammengebrochen war.
       
       Damit steht die abgeschlossene Welt des Sumo erneut im unbehaglichen Licht
       der Öffentlichkeit. Die Reaktionen des Sumo-Verbandes beschränkten sich
       bislang auf die unehrenhafte Entlassung des Hauptverdächtigen Tokitsukaze.
       Als Nachfolger wurde einer der älteren Ringer aus dem Stall bestimmt, der
       an den Ausschreitungen nicht beteiligt gewesen sein soll. Ein genauerer
       Blick auf die Tatumstände, die Vielzahl der Täter und Saitos mehrmalige
       Fluchtversuche lassen jedoch eine gewisse Systematik körperlicher
       Misshandlung erahnen. Unter diesen Vorzeichen erscheint es
       unwahrscheinlich, dass der wichtigste aktive Ringer des Stalls davon
       unberührt blieb. Unangemessene Gewalt ist keine Seltenheit in den 49
       verschiedenen Trainingsställen des Sumo-Verbandes und wird mit Hinweis auf
       leistungsfördernden, militärisch anmutenden Drill weitgehend toleriert.
       Kitanoumi - auch hier wieder der ehemalige Kampfname - bedauerte als
       Verbandschef zwar den Tod Saitos, beklagte aber schon im nächsten Atemzug
       den damit einhergehenden Renommeeverlust des Sports.
       
       Sumo fußt als japanischer Kampfsport auf der Kriegerethik des Bushido.
       Unterordnung, Duldsamkeit und Hierarchiebewusstsein sind die zentralen
       Werte dieser konfuzianisch geprägten Weltsicht. Da kann es hier und da zu
       blauen Flecken kommen. Strenge wie auch Verantwortungsbewusstsein werden
       auf den oberen Hierarchieebenen von Ausbildern und Jahrgangsälteren
       erwartet. So der Idealfall, ein Korrektiv ist nicht vorgesehen. Gerade
       deshalb ist der Tod des jungen Saito systemimmanent. In einem Umfeld
       körperlicher Bedrohung verdienen die schwächsten, noch minderjährigen
       Sportler besonderen Schutz. Stattdessen werden sie in einem Vabanquespiel
       ausgesetzt - je nach charakterlicher Eignung ihrer Kollegen und Trainer.
       Das Mindeste wäre der Respekt vor der freien Entscheidung, vor dem "Ich hab
       keinen Bock mehr". Die taz hätte diesen Gedanken gerne mit Vertretern des
       Verbandes oder einzelner Sumo-Ställe erörtert. Zu einer Stellungnahme war
       jedoch niemand bereit. Mehrseitige Interviewanmeldeformulare wurden
       ausgefüllt, intensive Telefon- und E-Mail-Korrespondenz wurde gepflegt -
       bis dem Autor nach mehrwöchiger Verzögerung endlich mitgeteilt wurde, dass
       man "schwierige Themen" nicht behandeln wird. Die Kontaktaufnahme zu den
       einzelnen Ställen hat ebenfalls über das PR-Büro des Verbands zu erfolgen.
       Demnach konnten auch die aktiven Ringer nicht befragt werden.
       
       Die Berichterstattung der japanischen Medien zum Tod des jungen Saito
       beschränkte sich weitgehend auf offizielle Verlautbarungen seitens der
       ermittelnden Behörden und des Sumo-Verbandes. Ein anderer Fall bekam weit
       mehr Öffentlichkeit. Asashoryu, der aktuell erfolgreichste Sumotori, fehlte
       unter Verweis auf eine Verletzung bei einem Promo-Turnier. Einige Tage
       später filmten ihn japanische Journalisten, als er bei einem
       Benefizfußballspiel in seiner mongolischen Heimat mitwirkte. Wie alle
       Sumotori ist auch Asashoryu direkt beim Verband angestellt und hat dessen
       Termine wahrzunehmen. Das Vortäuschen einer Verletzung führte zu einer
       mehrwöchigen Medienhatz auf allen Kanälen. Asashoryu war bereits in einen
       früheren Skandal involviert, der im unerlaubten Tragen westlicher Kleidung
       bestand. Wegen der neuerlichen Verfehlung belegte ihn der Verband mit einer
       4-monatigen Wettkampfsperre.
       
       Hinter den exotischen Ritualen der japanischen Urreligion Shinto und den
       dicken Männern in nur das Nötigste verdeckenden Kampfkostümen verbirgt sich
       ein äußerst kurzweiliger und attraktiver Sport. Der hat allerdings ein
       gewaltiges Nachwuchsproblem. Immer weniger Eltern wollen ihren Kindern das
       strenge Regime in den Sumo-Ställen und den ungesunden Lebenswandel zum
       Zwecke der Gewichtszunahme zumuten.
       
       29 Dec 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Falk Schäfer
       
       ## TAGS
       
   DIR Ringen
   DIR Japan
   DIR Japan
   DIR Japan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Sumo will aus der Nische: Um die Welt ringen
       
       Der japanische Sumoverband möchte seinen Sport internationalisieren, weil
       zu Hause die Begeisterung und der Nachwuchs schwinden.
       
   DIR Legendärer Sumo-Großmeister hört auf: Sogar größer als Federer
       
       Niemand hat Japans Nationalsport so dominiert wie Sumo-Großmeister Hakuho.
       Doch aus gesundheitlichen Gründen muss der gebürtige Mongole zurücktreten.
       
   DIR Japanologin über Sumo-Krise: „Es gibt kaum starke Japaner“
       
       Osunaarashi ist der erste Afrikaner im professionellen Sumo. Verena Hopp
       sieht in der Internationalisierung eine Chance für den Sport.
       
   DIR Sumo-Ringen in der Krise: Nackte Pobacken vor dem Aussterben
       
       Japans Traditionssport fehlen die Idole. Dem Sumo-Nachwuchs fehlt die
       Perspektive und das Image ist durch Wett- und Gewaltskandale ruiniert.