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       # taz.de -- taz-Serie "Haben Sie noch Feuer?" Teil 1: "Man sollte als Raucher zivilisiert sein"
       
       > Die Schriftstellerin Iris Hanika sieht das Rauchverbot in Kneipen,
       > Restaurants und Clubs gelassen: "Ich kann alles machen, ohne zu rauchen,
       > nur schreiben nicht"
       
   IMG Bild: Die letzten Zigaretten vor dem Rauchverbot
       
       taz: Also, jetzt rauchen wir erst mal eine. 
       
       Iris Hanika: Gut, rauchen wir erst mal eine.
       
       Willst du eine Aktive? 
       
       Eine Filterzigarette soll eine Aktive sein?
       
       Ja, das ist angeblich Knastjargon. 
       
       Ich rauche inzwischen nur noch Selbstgedrehte.
       
       Gedrehte! Das hat auch überhand genommen. Seit Zigaretten so teuer sind,
       wird einem beim Schnorren immer mehr der blöde Tabak angeboten. 
       
       Aber ich bin nicht einfach zum Tabak zurückgekehrt, sondern zu einem Tabak
       ohne Zusatzstoffe und aus biologischem Anbau. Das ist die gesündeste Form
       des Rauchens, denke ich.
       
       Ich bin Krisen- und Genussraucherin, rauche nur in Gesellschaft und in
       Verbindung mit Alkohol. Ach, es ist schon etwas Schönes, das Rauchen! 
       
       Ja. Rauchen ist so eine angenehme Beschäftigung zwischen Tun und Nichtstun.
       Robert Musil hat gesagt, sinngemäß, die Zeit zwischen Geburt und Tod sei
       sehr unangenehm, Rauchen helfe einem aber dabei, sie herumzukriegen.
       
       Und das soll alles vorbei sein? Als Gelegenheitsraucherin ist es mir recht,
       dass Restaurants nicht mehr so verqualmt sein werden, dass mir bei
       Konzerten nicht mehr schlecht wird, wenn ich irgendwo in der ersten Reihe
       zwischen lauter Rauchern stehe. Aber das Rauchen abends in einer Bar, das
       werde ich sehr vermissen. 
       
       Das werde ich, glaube ich, gar nicht vermissen. Man sollte auch als Raucher
       zivilisiert sein, und in manchen Räumen kann man sowieso nicht rauchen. Bei
       Konzerten ist das auch eine Missachtung der Musiker, wenn man raucht, statt
       zuzuhören.
       
       Aber auch Nichtraucher sollten zivilisiert sein. Zivilisation ist keine
       Einbahnstraße. 
       
       Raucher sind eh sehr defensiv geworden in den letzten Jahren, Nichtraucher
       dafür eher offensiv.
       
       Ich befürchte auch, dass man tagsüber nicht mehr ins Café gehen kann. Wenn
       es rauchfrei ist, werden die ganzen Mütter mit ihren Babys und schreienden
       Kleinkindern in den Cafés sitzen. 
       
       Da würde ich mir keine Sorgen machen. Es gibt doch ganz unterschiedliche
       Arten von Cafés. Hier im Einstein zum Beispiel gibt es wohl auch tagsüber
       eher wenig Mütter.
       
       Stimmt. Es gibt schon jetzt so Kindercafés, in denen sich die ganzen Mütter
       treffen. 
       
       Eben. Mütter mit Kindern gehen doch wahrscheinlich lieber in helle Cafés,
       in denen stabile Holzmöbel stehen. Außerdem gingen wir da auch nicht so
       früh am Tag hin, weil wir da noch schlafen.
       
       Gut, da müssen wir uns also keine Sorgen machen. Wirst du das vermissen,
       die Zigarette zum Kaffee? 
       
       Das geht dann halt nicht mehr.
       
       Glaubst du, die werden das alle durchziehen? Ich hab immer noch so ein
       letztes Urvertrauen in unser anarchistisches Kreuzberg 
       
       Das wird sich von alleine ergeben. Als ich letztens von der Buchmesse
       zurückgefahren bin, ist mir aufgefallen, dass die Leute am Bahnhof
       tatsächlich nur noch an den Raucherinseln rauchen. Früher in Berlin haben
       sie in allen U-Bahn-Stationen geraucht, manche haben auch in der U-Bahn
       noch geraucht. Es wurde überall geraucht, ob es nun verboten war oder
       nicht. Offenbar hat man es jetzt schon verinnerlicht, dass man sich an die
       Vorschriften hält und sowieso nicht rauchen darf.
       
       Aber ich kann das nicht glauben. Die ganzen Bars und Clubs, die legalen und
       halblegalen, da wird doch auch gekifft und Kokain genommen. Meinst du, die
       halten sich ans Rauchverbot? 
       
       Kokain stört und schädigt ja keinen anderen, da kann man schwer mit der
       Volksgesundheit argumentieren. Kürzlich habe ich einen Nichtraucher
       getroffen, der gegen das Rauchverbot ist, weil er gegen
       Freiheitsbeschränkung ist. Ein sehr angenehmer Nichtraucher war das, ich
       glaube, das wird mein neuer Freund. Ich habe mir schon vor längerer Zeit
       vorgenommen, nicht mehr draußen, sondern nur noch zu Hause zu rauchen, bei
       der Arbeit, weil ich tatsächlich nicht schreiben kann, ohne zu rauchen.
       Wenn mir das jetzt abgenommen wird und ich in Lokalen auch gar nicht mehr
       rauchen darf, selbst wenn ich wollte, wird mir das helfen, meine guten
       Vorsätze in die Tat umzusetzen. Außerdem wird mein Lippenstiftverbrauch
       sinken.
       
       Und ich werde so frieren müssen in den nächsten Monaten, wenn ich dann aus
       Solidarität mit den Rauchern vor die Tür gehe, weil ich nicht alleine
       drinnen sitzen will. Ach, die Leute rauchen ja jetzt schon draußen, aus
       vorauseilendem Gehorsam. 
       
       Es wird keine frische Luft mehr geben. Es wird im Freien verqualmter sein
       als drinnen, dabei schmecken die Zigaretten im Freien gar nicht.
       
       Im Freien rauchen nur die ganz Abhängigen. Ich habe ja ein paar Jahre nicht
       geraucht, aus schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen, und dann wieder
       angefangen. Schön blöd, kann man sagen, aber ich rauche jetzt auch aus
       Trotz. Es hat so was Widerständiges, sich absolut unvernünftig zu
       verhalten. Aber wenn du rauchst, um schreiben zu können, ist das natürlich
       geradezu vernünftig. 
       
       Ich habe ja auch längere Zeiten in meinem Leben nicht geraucht. Einmal hab
       ich fast zwei Jahre nicht geraucht. Damals habe ich zwar für die Zeitung
       gearbeitet, aber sonst nichts geschrieben. Kurz bevor ich wieder angefangen
       habe, dachte ich, ich sei komplett darüber hinweg, ich sei jetzt wirklich
       Nichtraucherin geworden. Und dann habe ich eine Zigarette geraucht und
       hatte sofort das Gefühl: "Jetzt bin ich wieder ich." Ich kann alles machen,
       ohne zu rauchen, nur schreiben nicht.
       
       Weil dir dann nichts einfällt? 
       
       Schreiben ist ein unglaublich anstrengendes Geschäft. Zeitungsartikel
       schreiben geht auch ohne Rauchen, aber das andere Produzieren, alles, was
       über Berichterstattung hinausgeht, ist doch erst einmal etwas Eigenartiges.
       Vielleicht setzt man sich deswegen unter Drogen, um das Gefühl, etwas
       Eigenartiges zu tun, zu überwinden. Es ist schwer zu beschreiben. Außerdem
       rauche ich nun schon so lange Ich habe mit zwölf Jahren damit angefangen.
       Mein Körper hält Nikotin wahrscheinlich für einen Teil der natürlichen
       Umgebung, und wenn es fehlt, denkt er, es sei ein Notstand ausgebrochen.
       Natürlich ist der unmittelbare Notstand relativ schnell wieder vorbei, der
       Körper ändert die Zahl der Serotoninrezeptoren und so weiter. Trotzdem
       fehlt etwas. Rauchen ist schon die härteste Sucht, die es gibt, schlimmer
       als Heroin.
       
       Das würde ich aber stark bezweifeln. 
       
       Doch. Nikotin macht genauso schnell abhängig wie Heroin, es macht wirklich
       beim ersten Mal abhängig.
       
       Ach was! Vom Zigarettenentzug bekommst du keine Gliederschmerzen, der
       Beschaffungsstress, die Kriminalisierung und Verelendung, das fällt alles
       weg. 
       
       Darum rauchen die Leute eher, als Heroin zu nehmen.
       
       Ach, ich rauch jetzt mal noch bis zum Ende des Jahres und dann guck ich
       mal. Aber irgendwie ist es auch so ärgerlich! So erbärmlich, dass wir wegen
       des Verbots aufhören, dass wir uns das vom Staat vorschreiben lassen
       müssen. 
       
       Andererseits ist man wirklich nicht schon deshalb ein Rebell, weil man
       raucht. Diese Art von Rebellion ist doch auch erbärmlich.
       
       Eigentlich geht es mir beim Rauchen oft mehr um die Geste als ums Nikotin.
       Rauchen ist so eine schöne Ausdrucksform. Man kann provokant rauchen,
       melancholisch, hingebungsvoll, es gibt sogar ein gewissenhaftes Rauchen.
       Das habe ich mal beobachtet im alten Ostbahnhof, als es noch am Ende der
       langen Gänge eine Gepäckaufbewahrung gab. Hinter der Theke dort saßen zwei
       Frauen in Kittelschürzen, mit leicht verbrauchten Gesichtern und grauer
       Haut. Die saßen auf Stühlen, und vor sich hatten sie ganz ordentlich zwei
       Zigarettenschachteln liegen, daneben jede einen Aschenbecher. Beide hielten
       Zigaretten in den Händen, und aus jeder Schachtel war schon die nächste
       Zigarette ein Stückchen herausgezogen. Das hat mich sehr beeindruckt. Diese
       Hingabe an das Hobby Rauchen. 
       
       Wahrscheinlich haben sie das Rauchen auch gebraucht, weil sie keine
       besonders aufregende Arbeit hatten.
       
       Ja, sie haben sich die Arbeit schön geraucht. 
       
       Es gab in der taz mal ein Foto von Ingrid Caven mit einer Zigarette in
       ihrer graziös abgespreizten Hand. Darunter stand: "So hält man eine
       Zigarette."
       
       Ach ja, Rauchen und Singen und all die schönen Songtexte Hildegard Knef zum
       Beispiel: "Ich rauche noch eine Zigarette und leg noch mal die alte Platte
       auf." Wenn gar nicht mehr geraucht wird, wird auch ein Stück Kultur
       dahingehen. Was wird dann aus all den stereotypen Situationen, zum Beispiel
       aus der berühmten "Zigarette danach"? 
       
       Widerlich! Nur bei sehr großer Liebe gestattet! Ich selbst rauche nie im
       Schlafzimmer. Dort will ich keinen Gestank haben.
       
       Ach, der Gestank, der schale Rauch, der lässt sich doch noch am leichtesten
       verkraften am ganzen Liebeselend, da kann man lüften 
       
       Das Reden übers Rauchen ist eigentlich unsinnig. Rauchen ist eine
       Nebenbeschäftigung, die man neben den Hauptbeschäftigungen ausübt. Das
       Ärgerliche ist, dass man seit der Verbotsdiskussion immer wieder
       Hauptgespräche über diese Nebenbeschäftigung führen muss.
       
       Dann rauchen wir jetzt noch eine, und dann gehen wir.
       
       26 Dec 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christiane Rösinger
       
       ## TAGS
       
   DIR Literatur
       
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