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       # taz.de -- Hokuspokus: Hausbesuch bei einer Hexe
       
       > Catrin Wildgrube nennt sich Bjarka. Sie kann fliegen, spürt Tote und legt
       > Karten - denn die Frau ist eine echte Hexe. Das liegt bei ihr in der
       > Familie.
       
   IMG Bild: Klischees hin oder her. Bjarka zumindest ist eine echte Hexe. In 5. Generation.
       
       Per Telefondiagnose sagen die Kartenleger und Pendelschwinger von Astro-TV
       oder Questico.de, obs mit der sexy Nachbarin klappt oder der Gatte mit der
       Sekretärin schläft. Aber hinter der Zukunftsguckerei stecken nicht
       ausschließlich Arbeitslose oder gewiefte Geschäftsleute, die im Crashkurs
       ein paar Kniffe über Kaffeesatz und Lebenslinien gelernt haben.
       
       Hausbesuch bei einer "richtigen" Hexe: Da ist man getauft und konfirmiert,
       hat mit Horoskopen und esoterischem Schnickschnack nichts am Hut - und
       plötzlich steht man vor einem kleinen Häuschen im kleinen Dorf Werbig in
       Brandenburg und hat Schiss: Denn da drinnen soll sie sein, Bjarka, die
       Hexe.
       
       "Hexenhaus" steht an der Gartenpforte. Sie ist seit Jahren nicht gestrichen
       worden. Das ganze Häuschen sieht aus, als würde es beim nächsten Sturm
       zusammenbrechen. Neben der Tür hängen Tierschädel. Links schnattern Enten
       und Gänse. Dahinter nichts als Felder und brandenburgische Einsamkeit. Im
       Nachbargarten mäht ein weißhaariger Mann den Rasen. Der wirds wohl hören,
       wenn bei der Hexe jemand schreit.
       
       Fettleibiges Kaninchen 
       
       Bjarka öffnet die Tür. Eine schlanke Frau, mit blonden langen Haaren. Keine
       Warze, keine Hakennase. Sie stellt sich als Catrin Wildgrube vor und könnte
       auch als Erzieherin eines Waldorfkindergartens durchgehen. Ihre Stimme
       klingt sanft. Drinnen, im Häuschen, ist alles klein und eng, in der Küche
       stehen jede Menge Tiegel mit Kräutern. Die alten Dielen knarren. Ein
       adipöses Kaninchen namens Hoppel robbt durchs Wohnzimmer. Dort stehen
       antike Polstermöbel, die Löcher im Stoff sind mit Tigerfell geflickt. Es
       riecht muffig.
       
       Catrin Wildgrube, alias Hexe Bjarka, ist Mitte dreißig, aber ihr
       faltenloses Gesicht würde auch als das einer 20-Jährigen durchgehen. Sie
       ist Hexe in fünfter Generation. "Mit zwölf habe ich Kartenlegen gelernt,
       von meiner Tante", sagt sie. Später ging sie zu einem magischen Zirkel,
       seitdem heißt sie Bjarka, die Birke. "Mit 20 hatte ich dann die ersten
       Erfahrungen mit Verstorbenen." - Mit Verstorbenen? Das unnatürlich fette
       Karnickel auf dem Sofa spitzt merkwürdig aufmerksam seine Ohren. Ihre
       Großmutter habe Geister auch sehen können, sie, Bjarka, könne die Toten
       aber nur spüren. Catrin Wildgrube erzählt das so, als würde sie über ihr
       neustes Kochrezept plaudern.
       
       "Mein Vater hatte die Fähigkeit, Menschen zu verfluchen. Die sind dann
       gestorben. Das ist dann die dunkle Seite der Hexenkraft. Es gibt eine
       dunkle und eine helle Seite", sagt Catrin Wildgrube, als wolle sie einem
       kleinen Kind die Welt erklären.
       
       Bjarka selbst konzentriert sich auf die helle Seite der Hexenkunst. Sie
       kann zum Beispiel heilen. Ein Freund habe etwa Probleme mit dem Darm
       gehabt, Antibiotika hätten nicht geholfen. Catrin Wildgrube hat ihm
       wochenlang Mohrrüben verordnet, ein altes Hexenmittel. Vermutlich will der
       Mann nie wieder Möhren essen, aber seinem Darm geht es offenbar wieder gut.
       Bjarka kann auch böse Dinge hexen. Tut sie aber nicht - zum Glück. "Das ist
       gegen meine Moral. Außerdem ist böser Zauber anstrengend. Böse Hexen sehen
       daher alt und krank aus." Fliegen kann Bjarka auch. Das ist aber nicht so
       spektakulär, wie man es sich vorstellt. "Der Hexenflug ist ein Geistflug.
       Das heißt, der Geist fliegt in Trance oder im Schlaf aus dem Körper", sagt
       Bjarka. Im Gegensatz zu normalen Menschen kann eine Hexe ihre Träume
       beeinflussen. Praktischerweise kann sie dann im Traum ihre Probleme im
       realen Leben regeln, zum Beispiel dem Angebeteten verklickern, dass er in
       sie verliebt ist.
       
       Zu Bjarkas Fähigkeiten gehört es auch, in die Zukunft zu schauen.
       Allerdings sei sie keine Hellseherin, sie kann also nicht aus dem Nichts
       sehen, was passiert. Bjarka braucht Karten, liest aus der Hand, aus der
       Stellung der Planeten oder aus dem Kaffeesatz. Geirrt habe sie sich noch
       nie bei ihren Vorhersagen. Sie hat zum Beispiel den Tod ihres Vaters
       vorausgesagt. Im Traum hat sie gesehen, wie er sich den Fuß gestoßen hat.
       "Wenn Blut aus dem Körper fließt, dann ist das ein Zeichen für den Tod."
       Tatsächlich stieß sich der Vater einige Monate später den Fuß an der Tür.
       Im Krankenhaus wurde dann eine tödliche Krankheit festgestellt. "Je
       nachdem, wie die Planeten stehen, weiß ich: Im nächsten Monat wird was
       passieren. Und dann passiert es auch", sagt Bjarka. Man glaubt ihr, dass
       sie es glaubt.
       
       Auch viele andere Menschen glauben an Bjarkas Blick in die Zukunft. Die
       Hexe arbeitet für die Questico AG. Ungeduldige, die nicht warten wollen,
       was die Zukunft bringt, können Bjarka anrufen. Für, je nach Uhrzeit, etwa
       80 Cent pro Minute sagt sie dann, ob es klappt mit dem feschen Typen aus
       dem Nachbarbüro. Sie findet es nicht unredlich, mit ihrer Wahrsagerei Geld
       zu verdienen. Für ihre zauberischen Fähigkeiten, zum Beispiel das Heilen,
       verlangt Bjarka kein Geld. Wahrsagen aber sei ein ganz normaler Beruf, den
       jeder erlernen könne. Sie lebt davon, reich macht es sie aber nicht. "Der
       eine backt Brot für andere und ich schaue für andere Leute in die Zukunft.
       Das kann jeder lernen."
       
       Einige Ratsuchende kommen auch persönlich zu ihr ins Hexenhäuschen. Zehn
       Euro kostet dann die Beratung. Für die meisten Formen des Hellsehens muss
       man psychisch aufgeschlossen sein, sonst klappt es nicht. Handlesen aber
       geht bei jedem. Auch bei der Journalistin, die getauft und konfirmiert ist
       und mit Esoterik nichts am Hut hat. Die Linien hat schließlich jeder.
       
       Man streckt Bjarka die Hände hin, sie schaut sich konzentriert die
       Handflächen an. "Ah ja, interessant", sagt sie immer wieder - das klingt
       irgendwie unheilvoll. Sie sucht nach der Lebenslinie und stutzt. "Ah, da
       ist sie, fast gar nicht zu sehen." Puh, Glück gehabt.
       
       Blasse Liebeslinien 
       
       Immerhin: Die Kopflinie, also der Verstand, ist sehr gut ausgeprägt. "Keine
       nervlichen Erkrankungen zu sehen", sagt Bjarka. Langsam und sanft fährt sie
       mit der Fingerspitze die Linie nach. Dann kommt sie zur Liebeslinie. "Etwas
       blass", lautet das Urteil. Blass? Was soll das heißen? "Es wird nur einmal
       eine Ehe geben", sagt Bjarka dann. Wenn mehrere Linien fünf Scheidungen
       bedeuten, dann sollte man mit einer kleinen blassen Linie wohl zufrieden
       sein. "Kräftige Daumen. Das ist ein Zeichen für gute Willenskraft", sagt
       Bjarka und biegt die Daumen hin und her. "Sehr anpassungsfähig." Fast eine
       halbe Stunde dauert es, bis Bjarka alle Linien gedeutet hat. Die linke ist
       die mütterliche, die rechte die väterliche Hand. In diesem Fall sind sich
       rechte und linke Hand ziemlich uneinig, was die Zukunft angeht. "Alles sind
       nur Anlagen", sagt Bjarka. "Es kommt drauf an, was man daraus macht."
       
       Das meiste, was sie sagt, bleibt vage. Aber auch, wenn die Zukunft ganz
       anders aussehen sollte, als Bjarka es prophezeit: Es fühlt sich gut an,
       wenn sie aus der Hand liest, Kinder, Magenschmerzen und einen lieben
       Ehemann voraussagt. Schließlich ist es selten, dass sich ein Mensch so
       intensiv mit einem auseinandersetzt.
       
       Am liebsten beschäftigt sich Bjarka allerdings mit Hoppel. Sie holt einen
       Hasencracker aus der Kommode und geschätzte acht Kilo Hase setzen sich mit
       unerwarteter Geschwindigkeit in Bewegung. Hoppel springt auf Bjarkas Arm,
       wie ein Baby. Was sie tun würde, wenn ihre Handlinien keine Kinder
       anzeigten, sie sich aber welche wünschte? "Naja, man kann dem Schicksal
       auch schon mal ein bisschen auf die Sprünge helfen", sagt Bjarka und lacht.
       Sie sei schließlich eine richtige Hexe.
       
       31 Oct 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Basel
       
       ## TAGS
       
   DIR Zukunft
       
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