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       # taz.de -- nachruf: Das Leben ein Streich
       
       > Der Bier-, Pilz- und Musikexperte, Humorist und Wahrheit-Autor Michael
       > Rudolf ist tot.
       
   IMG Bild: Zu Besuch in der Wahrheit-Redaktion im Jahr 2004: Michael Rudolf mit Tochter Eva und Redakteurin Corinna Stegemann
       
       Am Morgen des 2. Februar 2007 verlässt Michael Rudolf sein Haus. Geld,
       Schlüssel, Papiere steckt er nicht ein. Eine Nachricht von ihm findet sich
       nicht. Am Ortsausgang seiner Heimatstadt Greiz in Thüringen wird er ein
       letztes Mal gesehen. Er trägt jahreszeitlich übliche Kleidung und hat einen
       Rucksack bei sich. Seitdem war Michael Rudolf verschwunden.
       
       Auf dem Rucksack beruhte manche Hoffnung. Dass er sich vielleicht eine
       Auszeit genommen habe oder dass er sich heimlich ein Doppelleben aufgebaut
       habe - was Familie und Freunden in solchen Situationen in den Kopf kommt
       als letzter Strohhalm, an den man sich klammert in der Hoffnung, dass nicht
       das Schlimmste eingetreten ist. Doch selbst ein Unfall wurde immer
       unwahrscheinlicher. Eine Suchstaffel der Polizei fand nichts in der
       Umgebung von Greiz, und auch ein Aufruf im MDR-Fernsehen brachte keine
       Resonanz.
       
       Seit Montag gibt es die traurige Gewissheit: Michael Rudolf ist tot. Eine
       Pilzsammlerin entdeckte am Morgen des 9. Juli 2007 im dichten Unterholz
       eines abgelegenen Waldstücks nahe Greiz eine männliche Leiche. Offenbar hat
       sich Michael Rudolf an einem Baum erhängt. Nun ahnt man, was im Rucksack
       war.
       
       Eigentlich hätte man es wissen können, wie es um ihn steht. In seiner
       verschlüsselten Autobiografie "Morgenbillich", die 2003 erschienen war,
       berichtet er von seinem Alter Ego Holger Sudau, der keine 50 werden will
       und eines Tages sang- und klanglos verschwindet. Was bleibt, sind die
       unzähligen Texte und Bücher von Michael Rudolf - und sein seltsam krummer
       Lebensweg, der ihn zum Brauer, Humoristen, Verleger, Bier-, Pilz- und
       Musikexperten werden ließ.
       
       Am 14. Mai 1961 im thüringischen Marienberg geboren, durchläuft er eine
       typische Kindheit und Jugend in der DDR. Am meisten prägen ihn Erlebnisse
       in Jugendgruppen und -cliquen. Noch sehr viel später zehrt er von
       Erlebnissen in seiner Kindheit und Jugend, die sich immer wieder um Spiele
       im Wald, um Streiche untereinander drehen. Das Leben - ein einziger
       Streich, so hätte er es am liebsten gehabt, so wirkte es jedenfalls in
       seiner Darstellung der Schulzeit, der Zeit in der NVA, als Schichtleiter in
       einer Brauerei, auf Reisen nach Polen und Prag, als Teil der deutschen
       Humorszene. Wahrscheinlich waren ihm die Unzuträglichkeiten des Lebens nur
       in dieser Vorstellung erträglich. Und so behielt er sich immer etwas
       unbeschwert Kindliches, das zur ersten Grundlage seines Lebens als Autor
       werden sollte.
       
       Nach der grauenhaften Armeezeit, die wohl nur mit viel Alkohol und noch
       mehr Anekdoten zu ertragen war, studierte er zwei Semester lang in Halle,
       konzentrierte sich allerdings eher auf die örtlichen Bierlokale, sodass er
       bald sein Studium abbrach und lieber in einer Brauerei zu arbeiten begann.
       Im Fernstudium qualifizierte er sich zum Ingenieur für Gärungs- und
       Getränkeindustrie. Seine hervorragenden Kenntnisse des Bierbrauens bildeten
       - ganz kalauerfrei - die feste Grundlage für seine späteren Bücher.
       
       Rockmusik und die komische Literatur waren die anderen Pfeiler. Michael
       Rudolf war so klug zu bemerken, dass es hinter den Mauern der Brauerei eine
       andere Welt gab. Ein Onkel aus Westberlin schmuggelte ihm das "Rocklexikon"
       in die DDR, das er nach eigener Aussage "zwei Monate später auswendig
       hersagen" konnte. Er schrieb regelrechte Bettelbriefe an Diogenes, an
       Haffmans, an Fischer und andere Verlage mit der Bitte um Bücher zumeist
       komischer Autoren, die in der DDR nicht verlegt wurden. Und einige Verlage
       überließen ihm tatsächlich Remittenden, die für ihn zur literarischen
       Schule des Humors wurden. Auf einem Autorentreffen während der Buchmesse in
       Leipzig erzählte er einmal die verwickelte und rasend komische Geschichte,
       wie er Arno Schmidts "Schule der Atheisten" als "wissenschaftliche
       Forschungsliteratur gemäß Zollgesetz der DDR" ins Land hineinbekam.
       
       Nach dem Mauerfall wurde er schnell Teil der sogenannten Zweiten
       Frankfurter Schule, die im Umfeld des Frankfurter Satiremagazins Titanic
       entstanden war. Er schrieb die "Briefe aus den Kolonien" und stellte so dem
       westdeutschen Publikum die wahren Abgründe des Ostalltags vor. Er gründete
       1990 in Greiz den Verlag Weißer Stein, in dem er neue komische Literatur
       verlegte. Der Verlag wurde zu einem finanziellen Misserfolg, und Michael
       Rudolf haderte schwer damit. Seine Bierlexika und Pilzbücher wurden zwar
       viel beachtet, als Autor auch der Wahrheit in der taz war er eine
       anerkannte Größe, aber er hatte sich insgeheim mehr Anerkennung
       versprochen. Als dann vor einigen Jahren erstmals seine "Biermigräne"
       auftrat, wurden seine Depressionen offensichtlich. Ausgerechnet der
       Bierbrauer Rudolf konnte zeitweise nicht einen Tropfen Bier mehr
       hinunterbekommen, ohne nicht einen lang anhaltenden Kopfschmerz zu
       verspüren.
       
       Michael Rudolf war einer der wenigen ernst zu nehmenden Ostautoren des
       deutschen Humors. Und könnte er jetzt diesen gehobenen Satz aus dem
       Repertoire eines Nachrufers lesen, dann hätte er seine Augen spöttisch
       blitzen lassen und das Pathos sofort mit der ihm eigenen Fähigkeit zur
       komischen Fallhöhe gekontert: "Du kriegst die Tür nicht zu, Alter!" Michael
       Rudolf wurde 46 Jahre alt. Er hinterlässt seine Ehefrau Ina und seine
       dreizehnjährige Tochter Eva. Für ihn ist die Tür endgültig zugefallen.
       
       11 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
   DIR Michael Ringel
       
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