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       # taz.de -- Geburtstags-Interview: "Das Leben ist ein ewiges Guantánamo"
       
       > Was ist Glück? Braucht man Freunde? Trifft sich Harald Schmidt heimlich
       > mit Männern in Netzhemden? Fragen an Herbert Feuerstein zum 70.
       > Geburtstag
       
   IMG Bild: "Man ist da, man muss da durch!". Herbert Feuerstein wurde 70.
       
       taz: Herr Feuerstein, wie feiern Sie Ihren 70. Geburtstag? 
       
       Herbert Feuerstein: Überhaupt nicht.
       
       Aber Ihre Frau wird doch bestimmt etwas vorbereitet haben? 
       
       Nein, das beruht auf Gegenseitigkeit. Eine solche Ehe kann nur
       funktionieren, wenn man sich über Fragen wie diese einig ist. Meine Frau
       ist geburtstagsmäßig genauso anspruchslos, weil sie alles hat, was eine
       Frau sich wünschen kann: mich. Was soll man da noch schenken?
       
       Können Sie "eine solche Ehe" genauer definieren? 
       
       Es ist meine dritte Ehe, und ich habe dazu gelernt.
       
       Eine Fortgeschrittenen-Ehe also? 
       
       Genau. Es ist die dritte und mit Sicherheit letzte. Bis jetzt sind die
       Frauen immer an meiner Infantilität gescheitert. Meine Frau ist wunderbar -
       und wird dadurch noch wunderbarer, dass sie mich erträgt. Mein Gott, also
       ich selber könnte das nicht!
       
       Warum reden Sie so ungern über Ihr Alter? 
       
       Ich habe eine Menge Sachen gemacht - von gut bis scheiße. Das Einzige, was
       ich nicht gemacht habe, ist meine Geburt. Ich sehe mich als Zufall, aus dem
       Nichts hineingeschmissen in ein Universum. Man hat mich nicht gefragt. Ich
       hatte auch keine Möglichkeit zur Abtreibung meiner selbst. Plötzlich war
       ich da. Warum sollte ich das feiern?
       
       Weil Sie mittlerweile 70 Jahre durchgehalten haben zum Beispiel. 
       
       Ja gut, wenn Sie das Überleben an sich als Leistung sehen, dann ist es
       wahrscheinlich die einzige Leistung, zu der der Mensch fähig ist. Ich
       wüsste keine andere. Aber auch das ist kein Grund zum Feiern, sondern eher
       zum Abhaken. Ich habe einfach kein großes Feierbedürfnis, was auch daran
       liegt, dass ich kein Erfolgsgen habe. Ich bin manchmal zufrieden, meistens
       nicht. Es treibt mich etwas, das ich nicht steuern kann. Das hat mich in
       meiner Jugend manchmal wahnsinnig gemacht. Aber dann habe ich meine
       Rastlosigkeit als mechanische Bestimmung angenommen. Ich habe ja keine
       andere Wahl. Als ich das noch nicht wusste, in meiner Jugend, da war ich
       pleite, hypochondrisch, unglücklich und kurz vorm Tod. Jetzt bin ich immer
       noch kurz vorm Tod, aber nicht mehr pleite, wahnsinnig gesund und
       gelegentlich sogar froh.
       
       Auch gelassener? 
       
       Absolut. Dabei hilft mir das österreichische "Is eh wurscht"-Gen.
       
       Geben Sie den Humor-Opa im Fernsehen eigentlich gern? 
       
       Was halten Sie von Quotengreis? Dazu habe ich mich selbst mal ernannt, hat
       sich nur leider nicht durchgesetzt. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass
       das Fernsehen nur ein kleiner Teil meiner Arbeit ist, der nur groß wird
       durch den Multiplikationsfaktor. Im Wesentlichen schreibe ich in der
       letzten Zeit Bücher, immerhin mittlerweile vier, oder kümmere mich um meine
       Musikpräsentationen, die zwar selten stattfinden, aber sehr viel Arbeit und
       Interesse fordern. Fernsehen ist für die Kohle da und dafür, dass man die
       anderen Sachen leisten kann, und vor allem natürlich, dass die Leute
       überhaupt kommen. Gegen die Verzerrung, die Auftritte im Fernsehen mit sich
       bringen, muss ich mich immer wieder wehren. Das klingt jetzt so, als würde
       ich das Fernsehen runtermachen. Aber das stimmt nicht. Ich habe dem
       Fernsehen unglaublich viel zu verdanken.
       
       Bei Ihren ersten TV-Auftritten waren Sie schon über 50. 
       
       Stimmt. Ich hatte nie das Problem, als junger Mensch unbedingt ins
       Fernsehen zu wollen. Ich bin da ungebrochen reingegangen und bin es immer
       noch - auch wenn ich mir manchmal Peinlichkeiten leiste.
       
       Für die Kohle? 
       
       Für den Trieb. Geld ist inzwischen kein Grund mehr. Ich bin nicht
       geldgierig. Wenn es da ist, schmeiße ich es sofort wieder raus, für
       luxuriöse Reisen
       
       und für Ihre junge Frau? 
       
       Nein, überhaupt nicht. Die wird ja auch jedes Jahr älter - und der Abstand
       zwischen uns kleiner. Wenn irgendjemand mal doppelt so alt war wie sein
       Partner, ist er nach hundert Jahren nur noch zehn Prozent so alt. Rechnen
       Sie das mal durch!
       
       Verblüffend. 
       
       Das glaubt man nicht, das vergessen die Leute leicht. Junge Leute sind ein
       enormes Risiko im Alter. Wer will mit einer Hundertjährigen verheiratet
       sein?
       
       Wie fühlt es sich an, alt zu werden? 
       
       Um mit Woody Allen zu sprechen: Alt werden ist eine einzige Scheiße. Mein
       einziger Lebensfreund, der Spieleerfinder Alex Randolph, der fünfzehn Jahre
       älter war und mittlerweile gestorben ist, hatte eine ziemlich grauenhafte
       Endzeit. So was will ich nicht erleben. Bis 75 kann man vielleicht noch vom
       Saft zapfen, der Rest ist eine einzige Durststrecke. Mit Ausnahme natürlich
       von unserem jungen Freund Johannes Heesters, der wahrscheinlich so
       unsterblich ist, wie man das bisher immer nur von Mozart behauptet hat. Das
       Einzige, was mich wirklich interessiert, ist die Frage, ob man es schafft,
       sein Leben bis zum letzten Tag ungebrochen zu führen. Den Tod fürchte ich
       nicht. Es gab genug Situationen, da hätte ich ihn dem Leben sogar
       vorgezogen.
       
       Haben Sie auch deswegen nie um Hilfe gerufen, als Sie mal dem Ertrinken
       nahe waren? Oder lag es wirklich nur daran, dass Sie niemanden zumuten
       wollten, sie zu retten, wie Sie mal gesagt haben? 
       
       Ich habe keinen Freundeskreis, halte mich fern von Kumpaneien. Ich brauch
       das nicht. Es gibt einen Punkt im Leben, an dem man sich entscheiden muss,
       ob man das, was man hat, annimmt oder ob man zeitlebens zum Psychiater
       rennt und versucht sich dagegen zu wehren, was auch nichts nützt. Annehmen
       ist leichter. Das Leben ist ein ewiges Guantánamo.
       
       Sitzen wir auch deswegen hier auf dem Balkon, weil Sie keine Lust auf die
       Leute in der Lobby haben? 
       
       Da wird geraucht, und es reden außer mir auch andere Leute - unerträglich.
       Ich hätte Sie gern zum Frühstück eingeladen, meiner Hauptmahlzeit, aber mit
       vollem Mund unterhält es sich so schlecht.
       
       Der WDR schenkt Ihnen eine Sendung zum Geburtstag. Konnten Sie das nicht
       verhindern? 
       
       Ach was. Es ist ehrenvoll, dass der alte Schmidt das übernommen hat, der ja
       immerhin zwanzig Jahre älter ist als ich. War ein schönes Gespräch, aber
       wahrscheinlich wird es boshaft zusammengeschnitten.
       
       Danke, dass Sie den Namen als Erster erwähnen. 
       
       Gerne.
       
       Eine Zeit lang hatte man das Gefühl, Sie wären nicht gut auf Harald Schmidt
       zu sprechen. Und plötzlich haben Sie bei der Neuauflage von "Pssst"
       mitgemacht. 
       
       Warum auch nicht? Schmidt schickte ein Fax: "Lust auf Pssst? Dann hab ich
       zurückgeschrieben: "Ja."
       
       Nichts weiter? 
       
       Was soll man sonst dazu noch sagen? "Liebe Grüße" - oder so was? Um Gottes
       Willen!
       
       Werden Sie sich die erste Folge der gemeinsamen Show von Harald Schmidt und
       Oliver Pocher anschauen? 
       
       Nein. Aber nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil ich ganz wenig
       fernsehe. Ich werde mir auch meine eigene Geburtstagssendung nicht
       anschauen, ich war ja dabei.
       
       Was halten Sie denn von Schmidts angekündigter Zusammenarbeit mit Pocher? 
       
       Das will ich gar nicht kommentieren. Pocher ist zwanzig Jahre jünger und
       Schmidt ist zwanzig Jahre älter - macht zusammen vierzig Jahre
       Altersunterschied, und sonst weiß ich eigentlich gar nichts. Wenn man ein
       bestimmtes Verhältnis zueinander hat und nicht zur Kumpanei neigt, will man
       ja auch nichts über die präferierten Sexualtechniken des anderen wissen.
       
       Das verbindet Sie. 
       
       Die Sexualtechniken?
       
       Nein, die Ablehnung von Kumpanei. 
       
       Auch das weiß ich nicht. Es könnte ja sein, dass Schmidt heimlich
       freitagabends in einen Bierkeller geht, um dort mit einer Runde von
       unrasierten Männern, die in Netzhemden da sitzen, Skat zu klopfen.
       
       Wann waren Sie zuletzt mit jemandem ein Bier trinken? 
       
       Zum Essen kommt das schon mal vor. Nur so auf Bierchen eigentlich überhaupt
       nicht. Ich könnte mich zumindest nicht dran erinnern.
       
       Sie kokettieren doch. 
       
       Nein, das ist keine Koketterie. Es gibt ein paar Freunde, die man einmal im
       Jahr in einer anderen Stadt sieht. Dann trinkt man natürlich einen Kaffee
       miteinander oder geht essen. Aber der Gedanke, jemanden anzurufen und zu
       fragen, ob wir uns mal eben auf ein Bierchen treffen wollen, der käme mir
       überhaupt nicht.
       
       Seltsam. 
       
       Wieso? Wenn Sie in diesem Gefühl leben, ist es selbstverständlich. Erst
       wenn man danach gefragt wird, erschrickt man: Mein Gott, wieso bin ich so
       anders?!
       
       Sind Sie glücklich, Herr Feuerstein? 
       
       Ja und nein. Ich bin zufrieden, aber nicht glücklich. Und der Rest der
       Antwort sind mehrere noch ungeschriebene Bücher. Schon die Definition fällt
       schwer: Was ist Glück? Was ist denn das für Sie?
       
       Ziemlich genau das Gegenteil folgender Aussagen: "Der Tod ist seit meiner
       Jugend mein Freund und Gefährte." - "Noch bin ich nicht tot, nicht ganz
       jedenfalls." 
       
       Tja, wenn Sie die Zitate so hintereinander weglesen. Da sind vielleicht
       Jahrzehnte dazwischen.
       
       Augenblick, ich bin noch nicht ganz fertig: "Das Leben ist grauenhaft." -
       "Ich fühle mich überall gleich unwohl." - "Die Welt ist sinnlos, man selbst
       auch." - "Ich fühle mich nicht nur schuldig, ich bin es." Du meine Güte! 
       
       Das ist ja großartig. Da sind jetzt nur noch Minuten dazwischen.
       
       Eher deprimierend, oder? 
       
       Man könnte dagegen halten: Was spricht denn aus diesen Zitaten? Daraus
       spricht der kleine Jude, der sich vor der Strafe Gottes fürchtet und sich
       für alles schuldig fühlt - damit der liebe Gott irgendwann sagt: Meine
       Güte, der leidet ja schon so sehr unter sich selbst. Den müssen wir in Ruhe
       lassen. Aber so trostlos wie in Ihrer Aufzählung ist mein Zustand mit
       Sicherheit nicht. Auch ich habe meine kleinen Glücksmomente: Es gab zum
       Beispiel ein sehr gutes Bircher-Müsli zum Frühstück. Aber das Negative ist
       da und möchte überwunden werden. Zum Beispiel die Miso-Suppe. Die war dünn,
       und es fehlten wichtige Zutaten.
       
       Sind wir nicht auf der Welt, um glücklich zu sein? 
       
       Um rundum glücklich zu sein, muss man dumm sein und unsensibel und die
       Augen schließen. Wir sind aber auch nicht auf der Welt, um unglücklich zu
       sein. So einfach ist das nicht. Wir sind auf der Welt. Basta! Damit sind
       wir auch wieder beim Thema Geburtstag: Man ist da, man muss da durch.
       
       14 Jun 2007
       
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