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       # taz.de -- Debatte Linke in Spanien: Zu unpolitische Slogans
       
       > Kritiker der etablierten Parteien verlieren in Spanien vor den Wahlen an
       > Zuspruch. Podemos muss sich klarer positionieren und bekommt Konkurrenz.
       
   IMG Bild: Wahlkampf mit Großbuchstaben in Spanien.
       
       Die Generalprobe für Spaniens junge Partei Podemos (Wir können) steht
       bevor. Am 24. Mai finden spanienweit Regional- und Kommunalwahlen statt.
       Erstmals muss die Partei der Anti-Austeritäts-Bewegung, die vor einem Jahr
       bei den Europawahlen mit acht Prozent für Überraschung sorgte, zeigen, wie
       stark sie nun wirklich ist.
       
       Im Herbst dann stehen die entscheidenden Wahlen für das spanische Parlament
       an. „Es ist jetzt. Wir können“ lautet der Wahlkampfslogan, der Zuversicht
       ausstrahlen soll. Doch ob Spanien tatsächlich vor einem tiefgreifenden
       Wandel steht, wie die Partei um den 36-jährigen Politikprofessor Pablo
       Iglesias hofft? Viel, wenn nicht alles, hängt vom Ergebnis Ende des Monats
       ab.
       
       Seit den Europawahlen hat sich das politische Panorama in Spanien
       grundlegend geändert. Denn seit Jahresbeginn versucht eine weitere Partei
       ebenfalls im Wasser der Enttäuschten zu fischen, und das zumindest laut
       Umfragen mit zunehmendem Erfolg. Sie heißt Ciudadanos (Bürger) und entstand
       in Katalonien. Lag Podemos bis Jahresbeginn auf Platz 1 oder auf Platz 2,
       sehen die Meinungsforschungsinstitute die Partei von Pablo Iglesias
       mittlerweile auf Platz 3 oder Platz 4.
       
       Jüngste Umfragen gehen von vier fast gleich starken Blöcken aus. Und
       schlimmer noch: Ciudadanos könnte in einer Koalition dafür sorgen, dass die
       konservative Volkspartei (PP) weiterregiert. Das Zweiparteiensystem steckt
       nach wie vor in der Krise, doch noch sind (PP) und die sozialistische PSOE
       stark genug, um auf die Herausforderung von „unten“ zu reagieren.
       
       Podemos nun ist Angriffen ausgesetzt, wie sie bisher keine Partei in
       Spanien erleben musste. In einer breit angelegten Kampagne, an der sich
       alle großen Tageszeitungen Spaniens und alle TV-Sender beteiligen, werden
       seit Ende Januar, als Podemos Hunderttausende in Madrid mobilisierte, nur
       noch negative Nachrichten über Iglesias und seine Partei verbreitet. In den
       Lebensläufen der Parteigründer wird nach dunklen Punkten gesucht.
       
       Gut bezahlte Berateraufträge aus lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien
       und Venezuela werden als Arbeiten im Dienste undemokratischer Regime
       gebrandmarkt; dass ein Vorstandsmitglied einen Forschungsauftrag einer
       südspanischen Universität in Madrid am Computer erledigt, als Vertragsbruch
       und Korruption. „Schaut her, die sind genauso unglaubwürdig wie wir,
       genauso besudelt“, heißt die Nachricht der beiden großen, in unzählige
       Korruptionsskandale verstrickten Parteien an die Wähler.
       
       ## Neue neoliberale Bürgerpartei
       
       Gleichzeitig wird Ciudadanos, der enge Kontakte zu den wichtigen spanischen
       Aktienunternehmen des Ibex 35 nachgesagt werden, von der Presse tagtäglich
       als „der ruhige, überlegte Wandel“ gepriesen. Alle Ungereimtheiten, wie
       Steuerhinterziehungen von führenden Parteimitgliedern mittels Schweizer
       Konten, werden ebenso totgeschwiegen wie Kontakte zu Rechtsradikalen.
       Alternative Medien gibt es in Spanien nur wenige, und wirklich unabhängige
       Umfragen so gut wie keine. Denn in Spanien ist die Presse in Händen
       weniger, wie es sonst nur selten in Europa vorkommt.
       
       In diesem neuen politischen Panorama droht Podemos das zu verlieren, was
       Pablo Iglesias als „den zentralen Platz auf dem Spielbrett“ bezeichnet.
       Zentralität heißt dabei nicht, sich in der politischen Mitte anzusiedeln,
       sondern die politische Themenagenda zu bestimmen und mit eigenen
       Vorschlägen zu versehen. Wir von unten gegen die Eliten da oben, das
       einfache Volk gegen die „Kaste“ – das Geflecht aus Zweiparteiensystem und
       Wirtschaft – heißt bislang das Motto.
       
       Podemos will Ansätze aus der Theorie des argentinischen Professors Ernesto
       Laclau umsetzen. Der Postmarxist geht davon aus, dass für eine politische
       Veränderung die Bündelung unterschiedlichster Forderungen und Interessen
       gegen einen gemeinsamen Gegner notwendig ist. Spaniens Empörten gelang dies
       ebenso wie der Occupy-Bewegung mit ihrer Parole der „99 Prozent“. Podemos
       versucht dies parteipolitisch weiterzuentwickeln.
       
       ## Alte Schemata werden ersetzt
       
       Und es funktionierte: Bei den Europawahlen gaben nicht nur enttäuschte
       Sozialisten und ehemalige WählerInnen der postkommunistischen Vereinigten
       Linken der Anti-Austeritäts-Partei ihre Stimmen. Es waren auch Menschen,
       die 2011 zur absoluten Mehrheit des konservativen Ministerpräsidenten
       Mariano Rajoy beigetragen hatten. Seine Sparpolitik hat das Land in eine
       tiefe Krise gestürzt und sorgt für Enttäuschung. Nun soll Ciudadanos diese
       Stimmen an sich binden und so Podemos schwächen. Deshalb werden sie von
       Unternehmern und Medien hofiert. Laut Umfragen scheint diese Rechnung
       zumindest teilweise aufzugehen. Podemos verliert an Zuspruch.
       
       Denn mit einer weiteren Partei, die ebenfalls von „Veränderung“ redet, die
       sich ebenfalls den Kampf gegen die Korruption auf die Fahne geschrieben
       hat, ist die Diskussion eine andere. Iglesias und die Seinen können sich
       nicht mehr nur auf die „Kaste“ und die regierende PP konzentrieren. Sie
       müssen erklären und beweisen, dass und wie sie sich von Ciudadanos und
       deren vermeintlicher Veränderung unterscheiden. Plötzlich werden alte
       Schemata wie „links und rechts“, die bisher durch „unten versus oben“
       ersetzt worden waren, wieder interessant.
       
       Ciudadanos hat ein neoliberales Wirtschaftsprogramm, das sich von dem der
       am rechten Rand der PP angesiedelten Stiftung Faes kaum unterscheidet.
       Podemos hat es bisher verpasst, die eigenen Inhalte ordentlich zu
       definieren. Basisdemokratie ist neu, beliebt, aber auch langsam, wenn es
       darum geht, zu reagieren und Programme zu erarbeiten.
       
       Nur wenn es Podemos gelingt, erneut die politische Diskussion zu bestimmen,
       besteht eine Chance, die Wahlen im Herbst zu gewinnen. Eine
       Auseinandersetzung mit Ciudadanos ist dazu unerlässlich. Sie darf aber
       nicht dazu führen, dass Iglesias und Co. darüber die eigentlichen Gegner,
       die beiden großen Parteien, aus dem Blickfeld verlieren. Sonst könnte sich
       das „kleine Zeitfenster für eine Veränderung“, das die Podemos-Gründer
       ausgemacht haben, wieder schließen. Podemos würde dann nicht über die Rolle
       einer neuen, starken Linken hinauskommen.
       
       23 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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