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       # taz.de -- Fernsehfilm zur RAF: Eine Familienaufstellung
       
       > Ein radikal subjektiver Film über die Familie Albrecht und den Mord an
       > Jürgen Ponto – das muss schiefgehen, oder? Tut es dann aber gar nicht.
       
   IMG Bild: Regisseurin Julia Albrecht im Gespräch mit Matthias Albrecht
       
       Susanne Albrecht gehörte in den frühen siebziger Jahren des vorigen
       Jahrhunderts zur Hamburger RAF-Unterstützerszene. Als sie innerhalb der RAF
       die enge Freundschaft ihrer Eltern mit der Familie des damaligen
       Vorstandssprechers der Dresdener Bank, Jürgen Ponto, bekannt macht, setzt
       das ein Geschehen in Gang, mit dessen Folgen noch heute etliche Menschen zu
       kämpfen haben:
       
       Die Vertrautheit ausnutzend, verschafft sich Susanne Albrecht am 30. Juli
       1977 Zugang zur Ponto-Villa in Oberursel – Susanne Albrechts Eltern hatten
       den Besuch der Tochter telefonisch angekündigt. Doch der Versuch, Ponto zu
       entführen, scheitert. Er wird tödlich getroffen, wahrscheinlich von
       Christian Klar. Mit dabei: Brigitte Mohnhaupt. Fünf Wochen später wurde
       stattdessen der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt.
       
       Julia Albrecht, die jüngste Tochter der Familie, ist damals 13 Jahre alt.
       Es vergehen 13 Jahre bis zur Verhaftung Susanne Albrechts im Juni 1990 in
       der gerade zusammenbrechenden DDR. 13 Jahre, in denen niemand weiß, weder
       die Schwestern noch der Bruder, noch die Eltern, ob und wo sie lebt. Wenn
       am Geburtstag der Mutter das Telefon klingelt und sich niemand meldet –
       könnte es nicht Susanne gewesen sein?
       
       Doch dann die Verhaftung: Julia Albrecht freut sich, dass die innig
       geliebte große Schwester noch am Leben ist. Doch die hat sie vergessen.
       1991 wird Susanne Albrecht zu 12 Jahren Haft verurteilt, von denen sie nur
       die Hälfte absitzen muss, bereits nach drei Jahren wird sie Freigängerin.
       Sie hatte von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht und arbeitet heute in
       Bremen als Lehrerin.
       
       ## Möglichkeiten zu einer Annäherung
       
       Vor wenigen Jahren hat Julia Albrecht ein Buch mit der Ponto-Tochter
       Corinna veröffentlicht. Es besteht aus Briefen, in denen Möglichkeiten zu
       einer Annäherung der Familien ausgelotet werden. Mit ihrem Film „Die Folgen
       der Tat“ (Mittwoch, 22.45 Uhr, ARD) geht Julia Albrecht nun noch einen
       Schritt weiter: Sie stellt die Familie der Täterin, also ihre eigene, in
       den Mittelpunkt.
       
       Zwar gibt es Leerstellen – der Vater ist verstorben, beide Schwestern, also
       auch Susanne Albrecht, wollten nicht vor die Kamera. Es bleiben: ein
       Bruder, ein früherer Freund, ein Cousin, das ehemalige RAF-Mitglied Silke
       Maier-Witt – und die Mutter. Der radikal subjektive und mutige Film lastet
       zu gefühlten 80 Prozent auf den schmalen Schultern der fast 90-Jährigen,
       die von Julia Albrecht nach der Geschichte jener Familie, die sie beide
       verkörpern, befragt wird, zuweilen unterlegt durch frühe Filmaufnahmen mit
       der Super-8-Kamera der Familie.
       
       Eigentlich muss das schiefgehen – aber es geht nicht schief. Akribisch
       durchforstet Julia Albrecht mit der Mutter die Stationen im Leben von
       Susanne Albrecht, in denen man hätte anders reagieren können, ja müssen. Es
       scheint fast, als suche sie nach der entscheidenden Weiche, die man noch
       umstellen könnte, um die über beide Familien hereinbrechende Katastrophe zu
       verhindern.
       
       „Ich bin davon überzeugt“, schrieb 2007 eine ehemalige RAF-Unterstützerin
       in einem anonymen Beitrag zu dem Buch „Nach dem bewaffneten Kampf“, „dass
       aus Strukturen, die nicht stimmen, keine richtige Politik kommen kann.
       Sobald man anfängt, faule Kompromisse zu machen, Menschen zu benutzen,
       sobald es Hierarchien, Befehle und Gemauschel usw. gibt, mit der
       Begründung, dass das halt notwendig sei, um – aus einer Position der
       Schwäche – ein höheres Ziel zu erreichen, kann man’s besser lassen.“
       
       ## Die Pontos ausspionieren
       
       Ohne Frage ist Susanne Albrechts Herkunft und die Freundschaft der Eltern
       mit der Familie Ponto benutzt worden. Aber sie hat sich auch benutzen
       lassen, und man ahnt, in welcher Dynamik sich das vollzogen haben muss,
       wenn Silke Maier-Witt, die mit Susanne Albrecht gemeinsam zur RAF gestoßen
       war, in dem Film eingesteht, dass sie damals dachte, was für eine tolle
       Möglichkeit Susanne Albrecht hatte, sich der RAF mittels der Familie Ponto
       nützlich zu zeigen.
       
       Vielleicht hat es die eine Weiche, die man hätte umstellen können, gegeben.
       Die Mutter erinnert sich an eine Bemerkung der ältesten Tochter: als die
       davon hört, dass Susanne Albrecht die Familie Ponto besucht hat und dort
       noch im Mai 1977 übernachtete, die Vermutung äußert, dass sie die Pontos
       ausspionieren will. Empört hatte die Mutter ihre älteste Tochter
       beschimpft. „Ganz unmöglich“ und „schrecklich“ sei das, was sie da sage.
       
       Man kann den Vorwurf Julia Albrechts an ihre Eltern, unendlich naiv gewesen
       zu sein, durchaus nachvollziehen. Das ist aber nicht Julia Albrechts
       Anliegen.
       
       Sie kämpft als jüngstes Kind der Familie gegen die Zerstörung dieser
       Familie an – und gegen die „strukturelle Schuld“, so Julia Albrecht, in die
       die Familie verwoben ist. Da sich Susanne Albrecht der Familienaufstellung
       verweigert, bleibt das Bild unvollständig. Aber: „Mein Gefühl einer
       Mitschuld ist schwächer geworden“, sagt Julia Albrecht am Ende des
       bemerkenswerten Films, „und selbst der Wunsch, Susanne möge endlich
       Verantwortung übernehmen, ist nicht mehr sehr stark.“
       
       27 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Soukup
       
       ## TAGS
       
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