URI: 
       # taz.de -- Immobilien-Roulette in Myanmar: „Manche haben mehr Macht“
       
       > Seit der Öffnung der Metropole Yangon in Myanmar kommen immer mehr
       > Spekulanten. Vor allem die Militärs profitieren.
       
   IMG Bild: Es ist laut geworden in Yangon, die Hochhäuser schießen aus dem Boden.
       
       Was für eine Aussicht! Über tropischem Grün funkeln die goldenen Spitzen
       der Shwedagon-Pagode in der Sonne. Wer hier einmal wohnen wird, der kann
       sich am „spektakulären Blick auf die heiligste Stätte des Buddhismus im
       Lande“ erfreuen, verspricht der Prospekt von „Dagon City 1“. Noch steht
       kein einziges Wohnhaus, aber schon steht fest: Das Immobilienprojekt auf
       dem ehemals vom Militär genutzten Gelände im Herzen der Stadt wird die
       Topadresse im neuen Yangon.
       
       Noch vor Kurzem verwitterten hier rote Kasernenmauern und hinfällige
       Soldatenunterkünfte. Heute lädt ein schnittiger Pavillon mit Showroom
       Immobilienkunden ein. Junge Maklerinnen im dezenten Kostüm lotsen die
       Interessenten zum Modell der Anlage mit Apartmentblocks, Fünfsternehotel,
       Clubhaus, Fitness-Center, Pool und Einkaufszentren.
       
       Bauherr ist ein internationales Konsortium, 300 Millionen US-Dollar will es
       investieren. Für einen Quadratmeter Wohnfläche mit unverbaubarem Blick auf
       die Shwedagon-Pagode verlangt es rund 3.700 US-Dollar. „Irgendwann zwischen
       September und Dezember 2017 können Sie einziehen“, sagt die Verkäuferin.
       Auf dem Nachttisch der Musterwohnung liegen Diamanten-Ohrringe, eine
       Edeluhr. „Nicht berühren“, fordert ein Schild.
       
       Yangon ist eine Stadt im Aufbruch und Dagon City 1 ist ein Symbol dafür.
       Statt wie früher politische Parolen (“Zermalmt die zerstörerischen
       Elemente“) künden Werbetafeln von neuem Luxus (“Noble Twin Dragons -
       Inbegriff von Exzellenz“) und schnellem Reichtum: „Kleine Investition, hohe
       Rendite“.
       
       Es ist laut geworden in der einst verschlafenen Metropole Myanmars.
       Allenthalben in der 5-Millionen-Einwohnerstadt reißen Tagelöhner alte
       Gebäude ein. Sie machen Platz für säulengeschmückte Herrenhäuser und
       gläserne Bürotürme. Die Eigentümer, darunter Generäle und ihre Günstlinge,
       verdienen sich eine goldene Nase damit, ihre Villen an UNO, EU oder
       Hilfsorganisationen zu verpachten. Von Mieten bis zu einer Million Dollar
       im Jahr ist die Rede.
       
       ## Noch gibt es ihn, den Charme vergangener Epochen
       
       In den alten kolonialen Schachbrettstraßen des Zentrums, zwischen
       Yangon-Fluss und Sule-Pagode, warten Investoren auf ihre Chance, die
       heruntergekommenen Bauten aufzukaufen und zu renovieren. Das frühere
       britische Polizeipräsidium will die Kempinski-Gruppe in ein 5-Sterne-Hotel
       verwandeln.
       
       Noch jedoch schimmeln viele Bauten vor sich hin und verströmen den Charme
       vergangener Epochen. Im Isaac-Sofaer-Building aus dem Jahr 1906 zum
       Beispiel, von Bagdader Kaufleuten gegründet, führen dunkle Stiegen zu den
       Wohnungen in den oberen Stockwerken. Die Flure bedecken grün-gold-blaue
       Fliesen aus Manchester, Stahlträger aus Lanarkshire in Schottland halten
       das Haus zusammen. Ein junger Mann bereitet sein Nachtlager unter einer
       Treppe, seine Freundin schaut vom Fenstersims aus in die Dunkelheit.
       
       Doch auch in das Isaac-Sofaer-Haus ziehen neue Zeiten ein. Im Erdgeschoss
       verkauft das japanische Gekko-("Mondschein“)-Restaurant rasierten
       Tintenfisch und Tokio-Gurken, die Galerie Lokanat stellt im ersten Stock
       moderne Kunst aus.
       
       Es ist noch nicht einmal fünf Jahre her, dass Myanmars Militärregime die
       Welt überraschte und sich in eine quasi zivile Reformregierung verwandelte.
       Internationale Sanktionen fielen, seither strömen ausländische Anleger ins
       Land, die an Gold-, Jade-, Kupfer- und Diamantenminen sowie an Öl- und
       Gasquellen heranwollen.
       
       Die Bürger der ehemaligen Hauptstadt drohen allerdings von der Wucht des
       neuen Geldes und den Planierraupen der Baukonzerne überrollt zu werden:
       Mitreden dürfen sie bislang nicht, was aus den historischen Vierteln werden
       soll, die in Asien einmalig sind.
       
       ## Der Masterplan für die Stadt fehlt
       
       Doch als nahe der Shwedagon-Pagode plötzlich Bulldozer auftauchten und
       Wachsoldaten Zugänge absperrten, schrien Journalisten, Historiker und
       Architekten auf. Der Alarmruf war so laut, dass ihn sogar der Präsident des
       Landes, Thein Sein, in der fernen neuen Hauptstadt Naypyidaw hörte.
       
       Dr. Kyaw Lat ist einer von den Kritikern. Der 72-jährige Architekt und
       Stadtplaner hat in Dresden studiert und in Malaysia, Bangladesch, Indien
       und Deutschland gearbeitet. Vor wenigen Jahren ist er zurückgekehrt.
       „Eigentlich wollte ich in den Ruhestand gehen“, sagt er. Doch erfahrene
       Fachleute wie er sind rar in Myanmar. Deshalb soll er nun im Planungsbüro
       der Stadtverwaltung die Blaupause für das künftige Yangon zeichnen. Andere
       Rückkehrer, wie der Enkel des früheren UNO-Generalsekretärs U Thant, Thant
       Myint-U, versuchen derweil, die historischen Stadtviertel zu erhalten. Eine
       Mammutaufgabe.
       
       Kyaw Lat und seine Kollegen sollen nicht nur das künftige Bild der Stadt
       bestimmen, sondern auch Bauvorschriften festschreiben. Sie müssen auch
       klären, welche Behörde für was zuständig sein wird und wie der
       Denkmalschutz geregelt werden soll.
       
       Denn obwohl da draußen bereits die Abrisskugeln schwingen und die
       Presslufthämmer dröhnen, fehlt immer noch ein „Masterplan“ für die Stadt,
       fehlen Gesetze und Standards. Wenn alles gut geht, kann der Plan
       „vielleicht in zwei oder drei Jahren verabschiedet und veröffentlicht
       werden“, sagt Kyaw Lat.
       
       Seine erst vor zwei Jahren gegründete Behörde, der Yangon City Development
       Council, ist nicht gerade gut vorbereitet auf den Wandel. Kyaw Lat fehlt es
       an gut ausgebildeten Leuten. In der Planungsabteilung kämpfen nur rund 100
       Mitarbeiter vor sich hin - „so viele, wie in Köln vielleicht oder einer
       anderen mittleren deutschen Stadt“, sagt Kyaw Lat.
       
       ## Vorest ist das lukrative Projekt gestoppt.
       
       Da hilft es nicht, dass Geldgeber aus Japan, den USA oder der EU in den
       vergangenen drei Jahren rund zehn Millionen Dollar spendierten, um
       Stadtplaner in Seminaren und Workshops zu schulen. Nützlicher wäre es nach
       Kyaw Lats Meinung, langfristig zu denken und junge Birmanen gründlich in
       Masterstudiengängen in den USA oder Europa ausbilden zu lassen.
       
       Mindestens ebenso schwer aber wiegt ein anderes Erbe der langjährigen
       Militärherrschaft: ein abgrundtiefes Desinteresse an Gesetzen und
       Verwaltungsbestimmungen. Jahrzehntelang blieben die Bürger außen vor.
       „Pläne und Bauregeln wurden nur als theoretische Papiere betrachtet und
       nicht ernst genommen, auch nicht von der Verwaltung“, sagt Kyaw Lat. Das
       galt auch für die Vorschrift, den Blick auf die Shwedagon-Pagode nicht zu
       blockieren. Im Radius von einer Meile (ca. 1,6 km) darf deshalb kein
       Gebäude über 20 Meter hoch ragen. Die Bauherren von „Dagon City 1“ wollten
       diese Vorschrift lieber ignorieren. „Eine Unverschämtheit ist das“, sagt
       Städteplaner Kyaw Lat.
       
       Die Proteste der Fachleute scheinen zu fruchten: Der Gouverneur von Yangon
       hat das Projekt „Dagon City 1“ vorerst gestoppt und Kyaw Lat beauftragt, in
       aller Eile einen neuen Plan für das etwa fünf Hektar große Areal zu
       entwerfen.
       
       Kyaw Lat weiß allerdings genau, dass es schwer werden dürfte,
       einflussreiche Geschäftsleute mit guten Beziehungen davon zu überzeugen,
       sich Gesetzen oder gar der öffentlichen Meinung zu beugen und ihr
       lukratives Projekt zu kappen.
       
       Und den Militärs selbst ist erst recht schwer beizukommen. Das
       Verteidigungsministerium sieht nicht ein, dass es gar nicht das Recht hat,
       sein Kasernengelände einfach auf 70 Jahre an die Investoren
       weiterzureichen, wie es im Fall „Dagon City 1“ geschah. „Das Problem ist“,
       sagt Kyaw Lat, „dass viele hier - auch in der Regierung - die Gesetze nicht
       verstehen.“
       
       So gelte bis heute das „Lower Burma Land Manual von 1894“ der früheren
       britischen Kolonialverwaltung: Danach müsste jede Behörde und jede
       Institution Grund und Boden an die entsprechende Abteilung für die
       Verwaltung der nationalen Liegenschaften im Innenministerium zurückgeben,
       wenn sie ihn nicht mehr wie ursprünglich vereinbart nutzen. „Es ist auch
       eine Frage der Machtverhältnisse in den Ministerien“, sagt Stadtplaner Kyaw
       Lat. „Und manche haben eben mehr Macht als andere.“
       
       29 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jutta Lietsch
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Immobilien
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Flüchtlinge
   DIR Schwerpunkt Myanmar
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Zugfahren in Myanmar: In drei Stunden durch Yangon
       
       Seit Myanmars Straßen heillos verstopft sind, haben Stadtplaner den Zug
       wieder im Blick. Eine Fahrt zwischen Vergangenheit und Zukunft.
       
   DIR Stadtentwicklung in Myanmar: „Die müssen sehr viel Geld waschen“
       
       Der birmesische Architekt und Stadtplaner Maw Lin über die Probleme von
       Yangon, Drogenbarone und die vielen gierigen Reichen.
       
   DIR Rohingya in Birma: Ein Volk, das es nicht geben darf
       
       Ihre Vorfahren waren arabische Händler. Viele von ihnen kamen schon zu
       Kolonialzeiten ins Land. Jetzt ist sogar das Wort „Rohingya“ verpönt.
       
   DIR Flüchtlinge in Südostasien: Weitere Massengräber entdeckt
       
       Neue Erkenntnisse über die grausamen Methoden von asiatischen
       Schlepperbanden: Die Polizei entdeckt in Malaysia weitere Dschungelcamps
       und Gräber.
       
   DIR Flüchtlingskrise in Südostasien: Myanmar holt erste Boote zurück
       
       Die Marine von Myanmar hat nach eigenen Angaben bei einem Einsatz über 200
       Flüchtlinge gerettet. Über 3.000 treiben wohl noch in Booten vor den Küsten
       Südostasiens.
       
   DIR Der Ethikrat: Darf man nach Birma reisen?
       
       Urlauben, wo Schüsse fallen? Geht das, rein moralisch betrachtet? Kommt
       ganz darauf an